An der Spitze der Kampagne stand ein deutscher Journalist, der seit Jahrzehnten für private TV-Sender und einige Tageszeitungen in Deutschland arbeitet; seine politische Grundierung ist hinlänglich bekannt. Als geradezu beschämend jedoch haben Personen hierzulande, die Raheb seit vielen Jahren kennen und seine politisch-pädagogische Arbeit schätzen gelernt haben, zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich auch der Deutsche Koordinierungsrat für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Deutsch-Israelische Gesellschaft für diese Kampagne hergegeben haben.
Denn gerade sie lassen es sich üblicherweise nicht nehmen, die biblische Verheißung von der Versöhnung der Menschen in den Mund zu nehmen und Ausgewogenheit in der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu fordern. Bislang ist jedoch kein Beispiel bekannt, dass sie die israelische Besatzungspolitik mit den verheerenden humanitären Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung in Jerusalem und in der Westbank zum Anlass einer auch nur milden Kritik genommen haben. Stattdessen weisen sie gern darauf hin, dass sie kritische Worte in Hintergrundgesprächen mit den Regierenden in Israel fallenlassen. Diese Selbstrechtfertigung steht freilich in diametralem Gegensatz zu Äußerungen politisch Verantwortlicher vor Ort, die diese Organisationen gern als Bollwerke der israelischen „Aufklärungsarbeit“ in Deutschland loben.
Wir publizieren hier die Dankrede von Pfarrer Dr. Mitri Raheb anlässlich der Verleihung des „Deutschen Medienpreises“ am 24. Februar 2012 durch Alt-Bundespräsident Prof.Dr. Roman Herzog in Baden-Baden.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident Prof. Herzog, Sehr geehrter Herr Koegel, liebe Schülerinnen und Schüler, meine sehr verehrte Damen und Herrn,
Ich war positiv überrascht, als ich die Nachricht bekam, den „Deutschen Medienpreis“ bekommen zu haben. Was für eine Ehre! „Was hatte ich Außerordentliches geleistet?" habe ich mich gefragt. Womit habe ich das verdient? Dann musste ich als evangelischer Pfarrer mir selbst sagen, das meiste verdienen wir nicht, sondern wird uns geschenkt, wie sagte damals der deutsche Reformator, „allein aus Gnade“. Natürlich habe ich mich sehr gefreut, dass die harte und leise Arbeit über zwei Jahrzehnte und unter den schwierigsten Umständen nicht nur von mir, sondern auch von den vielen Mitarbeitern, nun eine Anerkennung auf solch einer Ebene bekommt. Deshalb richte ich heute ein besonderes Wort des Dankes an die Jury. Ich muss mich vor allem auch bei Prof. Herzog und Herrn Koegel herzlich bedanken. Nicht nur ich weiß das sehr zu schätzen, sondern Tausende von Freunden in Palästina, in diesem Land und weltweit.
Der Kontext, in dem ich lebe, hat unsere Arbeit von Anfang an bestimmt. Ich bin „zu Bethlehem geboren" (das klingt vertraut!), und zwar in einer palästinensisch-christlichen Familie. Palästina ist meine Heimat und das Christentum mein Glaube. Das ist das Land meiner leiblichen wie meiner geistlichen Vorfahren. Geboren unter jordanischer Herrschaft, erlebte ich mit fünf Jahren den Beginn der israelischen Besatzung von Bethlehem. Ich bin nicht einmal 50 und habe schon 9 Kriege miterleben müssen. Als Arafat und Rabin 1994 den Friedensnobelpreis erhalten hatten, da habe ich noch gedacht, dass Israelis und Palästinenser endlich in Frieden leben werden. Aber es kam erstens anders und zweitens als erwartet. Beide sind Hetzkampagnen zum Opfer gefallen.
Heute bange ich, ob meine beiden Töchter, Dana und Tala, die heute hier sind, ob sie in ihrem Leben jemals Frieden erleben werden. Aber ich bin überzeugt, dass Krieg kein Schicksal ist. Daher haben die Engel mitten unter römischer Besatzung damals Frieden auf Erden verkündigt: Frieden auf Erden als einen Auftrag. Frieden im Heiligen Land muss unser aller Auftrag sein. Mauern zu bauen und Land für Siedlungen zu enteignen, wie jetzt um Bethlehem der Fall, oder Gewalt anzuwenden egal aus welchem Grund und auf welcher Seite, darf nicht einfach hingenommen werden. Genau hier setzt unsere Arbeit ein.
Wir haben erstens gesagt, dass das Heilige Land keine Mauern braucht, sondern Brücken. Deshalb haben wir unser Zentrum, „Dar annadwa“, Internationales Begegnungszentrum, genannt. Martin Buber, der jüdische Philosoph, dem ich geistig sehr nahestehe, hatte Recht, als er schrieb: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ Das Du der anderen bekommt in der Begegnung ein Gesicht und einen Namen. Dialog kann nur dann ein wahrer Dialog sein, wenn es ein Dialog von Gleichberechtigten ist, wenn das Du und das Ich auf gleicher Augenhöhe stehen. Wenn jeder seinen Narrativ, seine Geschichte und Identität haben kann, aber auf den Narrativ des anderen hören kann. Ein Monopol über Wahrheit, Sicherheit oder Opferrolle gehört nicht zum echten Dialog.
Dann haben wir gesagt: wir dürfen nicht zu Friedensschwätzern werden. In einem Kontext, wo so viele destruktive Fakten täglich geschaffen werden, gleichzeitig vom Friedensprozessen ständig die Rede ist, müssen wir ohne Unterlass Lebensräume schaffen: Lebensräume zum Aufatmen, wo Kinder aus Flüchtlingslagern musizieren; wo Frauen aus entlegenen Dörfern einen Beruf im Kunsthandwerk erlernen; wo christliche und moslemische Kinder gemeinsam zur Schule gehen; wo junge Männer, die keinen Job auf dem Arbeitsmarkt finden, weitergebildet werden; wo Führungskräfte eine politische Bildung bekommen; wo junge palästinensische Frauen Fußball spielen und weltweit konkurrieren, wo Senioren in Würde ein Leben in Fülle führen können, und wo jüdische und palästinensische Akademiker und Aktivisten gemeinsam nach einer anderen Zukunft suchen.
Was wir mit ihnen üben ist dies: Der Himmel und nicht die Mauer soll die Grenze des Denkens und der Kreativität sein. Das hört sich zwar gut an, ist aber in unserer Region (und nicht nur da) sehr gefährlich. Zu denken ist gefährlich, Meinungsfreiheit zu fordern, wird nicht gern angesehen, und Mythen zu hinterfragen, wird öfters mit dem Leben bezahlt. Aber Leben ist nur dann echt, wenn es in Freiheit gelebt wird.
Wir haben sehr früh gesagt, dass die wichtigste Frage für die Zukunft unserer Region sein wird, was für eine Kultur dort herrschen wird. Was für ein Geist wird sich im Heiligen Land ausbreiten lassen? Wird hier eine Kultur der Gewalt Menschen fesseln, oder wird die Kraft der Kultur Menschen faszinieren? Wird eine Kultur des Hetzens verbreitet, oder wird eine Kultur des Dialogs gepflegt? Wenn Gruppen dort wie hier die Zeit, die sie für Hetzkampagnen oder Gewaltaktionen nutzen, für Kampagnen des Friedens einsetzen, hätten wir schon längst Frieden. Kriege, auch Medienkriege zu gewinnen, ist eine Sache. Was aber wirklich gewonnen werden muss, ist der Friede. Hier haben unsere Region und die Welt total versagt.
In unserer Arbeit, wollten wir nicht warten, bis der große Friede auf Erden anbricht, sondern wir wollten durch unsere Arbeit, durch eine Politik der kleinen Schritte exemplarisch zeigen, wie Palästina heute aussehen könnte und müsste, wenn eine Vision, der Glaube, der Wille und das richtige Management der Ressourcen da wären. Wir wollten uns der Verantwortung für unsere Mitmenschen nicht entziehen. Verantwortung gehört zum mündigen Bürger. Der mündige Bürger ist das Ziel unserer Arbeit auf regionaler Ebene mitten in dem sogenannten arabischen Frühling. Die jungen Menschen in Palästina und in der arabischen Welt, die über 55 Prozent der Bevölkerung ausmachen, müssen spüren, dass es ein Leben vor dem Tod gibt, wofür es sich zu leben lohnt. Sie verdienen ein Leben in Würde, in Frieden und in Freiheit.
Was ganz klein als ein Senfkorn begonnen hatte, ist innerhalb von 16 Jahren zu einem großen Werk geworden, mit mehr als 100 Mitarbeitern, 2.500 Mitglieder und über 60.000 Menschen, die wir jährlich erreichen.
Meine Damen und Herren,
Schlechte Nachrichten aus der Region haben für lange Zeit die Schlagzeilen bestimmt. Es ist höchste Zeit, dass gute Nachrichten wieder aus Palästina kommen. Dafür stehen wir. Danke.