Wochenlang haben die Medien auf dieses Ereignis hin getrommelt. Auf „das Duell“! Gleichsam auf das deutsche „Highnoon“! Und jetzt? Anders als im Western-Klassiker ist keiner auf der Strecke geblieben. Theoretisch bleibt der Ausgang der Bundestagswahlen am 22. September also weiterhin offen. Ebenso, übrigens, wie die in den Berliner Parteizentralen kursierende bange Frage, ob das Fernsehspektakel wenigstens einen Teil der potenziellen Nichtwähler oder politisch Desinteressierten doch animiert haben könnte, zu den Urnen zu gehen. Die aktuellen Umfragen deuten auf eine Beteiligung von deutlich unter 80 Prozent, wobei die 19- bis 33-Jährigen sogar den weitaus größten Enthalter-Anteil stellen.
Erst vier TV-Zweikämpfe
Was am 22. September ansteht, ist die Entscheidung über den 18. Deutschen Bundestag in den 64 Jahren bundesdeutscher Geschichte. Und obwohl sich die Parteien und ihre Wahlkampfstrategen bereits seit den 60-er Jahren zunehmend an den amerikanischen Kampagnen orientieren, kamen die direkten Fernseh-Begegnungen in Deutschland erst relativ spät in Mode. Gerade einmal vier fanden seit 2002 statt. Auch der Einsatz der „neuen, modernen Medien“ des digitalen Zeitalters mit den „Sozialen Netzwerken“ und Ähnlichem steckt (epochal gesehen) im Grunde noch in den Kinderschuhen.
Interessanterweise glauben die Planer in den politischen Zentralen (um Aufmerksamkeit beim Publikum zu wecken) noch immer nicht auf Plakatwerbung verzichten zu können, obwohl Spötter diese schon lange in die Requisitenkammer der Dampflokzeit verbannen möchten. Selbst die Computer-Anbeter der „Piraten“ sind in diesen Tagen mit solchen Druckwerken an den Masten und Bäumen, auf Strassen und Plätzen vertreten. Offensichtlich geht selbst diese Gruppe das eine oder andere Mal vor die Tür.
Auf die Persönlichkeiten kommt’s an
Bei Lichte besehen, sind die Wahlplakate im Grunde immer nur das optische Beiwerk des Ringens gewesen seit jenem regnerischen und ungemütlichen 14. August 1949, als rund 31 Bundesbürger zur ersten freien Wahl nach 17 Jahren Nazi- und erster Nachkriegszeit aufgerufen wurden. In Wirklichkeit fielen die Entscheidungen damals und meistens auch später im Vergleich zwischen den führenden Persönlichkeiten der beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD. Das waren in der Union bis Anfang der 60-er Jahre Konrad Adenauer, später Ludwig Erhard („Vater des Wirtschaftswunders“), Kurt-Georg Kiesinger, Franz-Josef Strauß und Rainer Barzel sowie Helmut Kohl, Edmund Stoiber und danach Angela Merkel.
Die Sozialdemokraten starteten mit dem charismatischen von Folter und Knechtschaft gezeichneten Kurt Schumacher, gefolgt von dem seriösen, aber eher unscheinbaren Erich Ollenhauer, Willy Brandt, Hans Jochen Vogel, Johannes Rau und Oskar Lafontaine, dazu Rudolf Scharping, dann Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier und jetzt Peer Steinbrück.
In der Vergangenheit klare Feindbilder
Dabei entsprachen, kein Wunder, Gestaltung, Stil und Inhalt der grafischen Werbematerialien natürlich den jeweils beherrschenden Themen der Zeit. In den frühen Jahren des westdeutschen Teilstaats ging es (wie es damals hiess) „ums Ganze“. Also um die grundsätzliche, künftige Richtung der Politik für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Denn – nicht zu vergessen – es gab im sowjetischen Besatzungsgebiet (der späteren DDR) ja ein Alternativmodell.
Insofern waren die Wähler1949 schon zu einem Votum aufgerufen, das sehr viel später (nämlich 1976) von der bayerischen CSU in eine, dann allerdings heftig umstrittene, Kampfparole umgemünzt wurde: Freiheit statt Sozialismus. Ende der 40-er freilich ging es tatsächlich um parteipolitischen Pluralismus statt einheitlicher Staatslenkung, um soziale Marktentfaltung oder Planwirtschaft.
Stil und Inhalt im Wandel der Zeiten
Kein Wunder, dass sich zwischen den Parteien klare Feindbilder auftaten - in Sonderheit eben CDU/CSU und SPD, aber auch FDP und der sich als Sachwalter der Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen fühlenden Deutschen Partei (DP) sowie der kommunistischen KPD. Aber auch die beiden herausragenden Figuren jener Jahre, Adenauer und Schumacher, trennten Welten. Hier der vehement für die Westbindung eintretende Adenauer, dort der unbeugsame Einheitspatriot Schumacher, dem der Kommunismus zwar ebenfalls ein Graus war, der sich jedoch aus Sorge vor nationaler Spaltung vehement gegen eine Integration im Westen stemmte. Entsprechend kämpferisch die Plakate – neben Radio und Zeitungen seinerzeit die einzigen Kommunikationsmittel für politische Botschaften.
Die Union schürte die Angst vor dem Kommunismus unter anderem mit einer Zeichnung, auf der ein verzerrtes Russengesicht dargestellt war und eine Hand, die gierig nach der verbliebenen deutschen Landmasse greift. Die Sozialdemokaten, wiederum, liefen gegen den Kapitalismus Sturm und warben um „Stimmen der Millionen gegen die CDU-Millionäre“. Einig waren sich die beiden großen Kampfhähne immerhin in einem – in dem Ziel, dass es wieder ein ganzes Deutschland geben müsse. Und das natürlich in den Vorkriegsgrenzen.
„Schluss mit Entnazifierung“
Wahlkampf ´49 – das war nicht nur politische Überzeugungsarbeit inmitten von Ruinen und zerstörten Landschaften. Das war mitunter auch Positionierung zwischen Kriegsschuld-Aufarbeitung und beginnendem Kalten Krieg. Auf einem roten Plakat mit weißer Kursivschrift empfahlen sich die Liberalen, beispielsweise, ungeschminkt als Fürsprecher jener Deutschen, die schlimme Taten am liebsten schnell vergessen machen wollten. Die FDP war in den Anfangsjahren (wenigstens in etlichen Landesverbänden, wie dem nordhessischen) ein regelrechtes Sammelbecken für Rechtskonservative bis hin zu alten Nazis.
Kein Wunder, dass deren plakative Kernforderung lautete: „Schlussstrich drunter! Schluss mit Entnazifizierung, Entrechtung, Entmündigung. Schluss mit dem Bürger 2. Klasse!“ Ja, die Partei schreckte nicht einmal davor zurück, für die beiden „s“ am Wortende die Runen-Schreibweise der NS-Mörderbande SS zu verwenden. Gemessen daran wirkte die KPD geradezu zahm: „Ollen-, Aden-, Eisenhower machen uns das Leben sauer. Wählt Max Reimann und die KPD“.
Oft noch „alte Schule“
Was seinerzeit auf die Wähler an politischer Grafikkunst losgelassen wurde, hatte nun wirklich kaum etwas zu tun mit den heutigen, von Computer gesteuerten und tausendfach von Werbepsychologen und Designern getesteten Produkten. Damals waren in der Regel Gebrauchsgrafiker am Werk, mitunter sogar Comic-Zeichner. Nicht selten verrieten die Bilder allerdings auch, dass ihre Schöpfer das künstlerische Handwerk zu einer früheren Zeit gelernt hatten – als die staatliche Propaganda in Deutschland offen zu Diffamierung und Verfolgung von Minderheiten aufrief. Nun stellte man sein Können halt in den Dienst von Demokraten und deren Appellen, wie etwa den CDU-Aufruf: „Wer nicht wählt, wählt kommunistisch und damit seinen und seines Volkes Untergang“.
Übrigens: die CDU/CSU und Konrad Adenauer wurden 1949 mit 31,0 Prozent Stimmenanteil Wahlsieger vor Kurt Schumachers und Erich Ollenhauers SPD (29,2) und der FDP (11,9) und bildeten mit den Liberalen und der Deutschen Partei (DP/4,0) die erste Bundesregierung.
Eingeschränkte Auswahl von Begriffen
Auch nachdem Adenauers erbitterter Gegenspieler, Schumacher, 1952 gestorben war, mochten die westdeutschen Parteien auf diese Art propagandistischer Hammermethode noch lange nicht zu verzichten. Schon gar nicht, als im Juni 1953 bei der Niederschlagung des Aufstands in der DDR die Sowjetmacht und deren ostdeutsche Vasallen sämtliche Freiheitsbestrebungen niedergewalzt hatten. "Nicht gesamtdeutsche Beratungen, sondern FREIE WAHLEN“, verlangte deshalb die SPD im Bundestags-Wahlkampf 1953. CDU und CSU setzten gleich auch noch auf totale optische Abschreckung. Ihr Plakat markierte eine, abwechselnd mit roten und grauen Streifen zentriert auf die drohenden Augen eines sowjetischen Soldaten zuführende, Fläche mit dem Satz: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!“
Zufall oder nicht -, 1976 tauchte exakt das gleiche Motiv noch einmal auf. Diesmal allerdings mit dem Signum der rechtsextremen NPD… Sozialdemokratische Kommunismus-Nähe versuchte die FDP zu verbreiten mit der Behauptung: „Wo Ollenhauer pflügt, sät Moskau“.
Wollte jemand eine Untersuchung darüber anstellen, was in der Bevölkerung noch an Wissen über frühere Wahlkämpfe vorhanden ist, würde sich, außer vielleicht einer Handvoll Slogans, nicht viel zutage fördern lassen. Es sind eben im Kern immer wieder dieselben Sprüche, die – in Verbindung von den ihnen zugeordneten Personen – selbst in historischen Umbruchzeiten hervorgekramt werden. Kein Wunder, schließlich ist die Zahl der Wörter und Begriffe für eine positive Botschaft an die Bürger ziemlich begrenzt: Freiheit, Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit, Wohlstand, Aufschwung, Stabilität, Deutschland, Menschen, sozial, modern...
Ähnlich verhält es sich mit Anti-Attributen zur negativen Charakterisierung des politischen Gegners: Sozialismus, Schulden, reich, rote Socke. Klar also, dass alles irgendwann einmal in dieser oder jener Form wieder auftaucht.
Alles schon mal da gewesen
Hatte nicht Ludwig Erhard mit seinem Standardwerk „Wohlstand für alle“ erfolgreich für das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft geworben? 1961 leuchtete das Konterfei Willy Brandts von den Plakaten und die Losung: „Wohlstand ist für alle da“. Ganz besonders gut scheint den Sozialdemokraten ihr eigenes Versprechen von 1969 gefallen zu haben: „Wir schaffen das moderne Deutschland“. Denn 2002 griff die (von der SPD für viele Millionen Euro engagierte) Werbeagentur KNSK ungeniert darauf zurück: „Für ein modernes Deutschland!“ Jener Wahlkampf (Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber) war geradezu ein Anschauungsbeispiel dafür, wie sehr die moderne Werbung und deren Strategen mittlerweile Stimmungen zu schaffen vermochten, um Stimmen zu fangen. Nach Schröders Wahlsieg 2002 zeigte sich KNSK mit auf dem Podium – sozusagen als Mitgewinner. Es war eine Premiere auf der politischen Bühne in der Zeit moderner Massen-Beeinflussung.
„Keine Experimente“
Wie bieder präsentierte sich dagegen Konrad Adenauers Rat an die Deutschen von 1957: „Keine Experimente“. Doch augenscheinlich traf genau das die damalige Volksstimmung. Denn mit 50,3 Prozent errang der „Alte“ mit der CDU/CSU die absolute Mehrheit im Bundestag; ein bis heute einmaliger Vorgang. Erfinder des Slogans war der Essener Werbetexter Hubert Strauf. Der war kein Unbekannter in der „Szene“; auf ihn geht das 1954 geschaffene, erfolgreiche Coca-Cola-Motto „Mach mal Pause“ zurück.
In der Beratungsrunde allerdings fand die Sache mit den Experimenten keine Freunde. Bis Konrad Adenauer, der „Alte aus Rhöndorf“, in seiner rheinischen Mundart kurzerhand entschied“: „Nee, nee, meine Damen und Herren. Wenn die Reklamefritzen dat meinen, dann machen wa dat esu“. Adenauer und Strauf hatten ganz offensichtlich ein gutes Näschen. Dabei war, wie sich später herausstellte, auch dieser Spruch gar nicht neu. Er hatte bereits jahrelang eine Weinbrandsorte (Jacobi 1880) beworben…
Wahllokomotive Kanzler
Auch wenn das seinerzeit kaum so empfunden wurde, so kann die Kampagne von 1957 durchaus als ein Wendepunkt in der Gestaltung der Wahlplakate gelten. Genau jenes berühmte Adenauer-Konterfei beweist nämlich den Wandel von der bis dahin üblichen, „realistischen“ Darstellung der traditionellen Grafiker hin zur visuellen Manipulation. Durch entsprechende Retuschen verlieh man dem immerhin schon 81-Jährigen ein deutlich jüngeres Aussehen; er sollte halt mehr Dynamik ausstrahlen. In Erinnerung geblieben ist gewiss bei den Älteren auch noch der mit dem Bild von Kurt-Georg Kiesinger (Regierungschef der Großen Koalition 1966 – 1969) verbundene Wahlspruch „Auf den Kanzler kommt es an“. Der Schwabe Kiesinger hat keine tiefen Spuren in den Geschichtsbüchern hinterlassen. In jener Wahlnacht 1969 aber verfehlte er die absolute Mehrheit für die CDU/CSU nur um Millimeter. Es folgte die Sozialliberale Koalition Brandt/Scheel aus SPD und FDP.
Willy Brandt, wie 1998 auch Gerhard Schröder, sind gute Beispiele dafür, wie politische Mehrheiten kippen und Regierungswechsel erfolgen, weil inzwischen der „Zeitgeist“ entsprechend weht. Ende der 60-er Jahre war eine neue Generation in der Bundesrepublik herangewachsen. Man hatte die Kalte-Kriegs-Phraseologie und deren Exponenten satt, die Existenznot war mittlerweile einem materiellen Überfluss gewichen; zudem waren viele Moralvorstellungen und Rechtsnormen ins Wanken geraten. Mit John F. Kennedy in Amerika und Willy Brandt in Deutschland tauchten plötzlich Lichtgestalten auf. Insbesondere nachdem der damalige CDU-Vorsitzende Rainer Barzel versucht hatte, Brandt mit einem Konstruktiven Misstrauensvotum aus dem Sattel zu haben, nahm die schon vorher bestehende „Willy-wählen!“-Kampagne den Charakter einer wahren Volksbewegung an.
Bei der vorgezogenen Wahl 1972 gewann Brandt haushoch – um freilich nur zwei Jahre später wegen der Spionageaffäre Guillaume, aber auch infolge seiner Depressionen und Unlust zu scheitern.
Helmut Kohls Aufstieg
1976 - inzwischen war die Brandt-Euphorie weitgehend verrauscht – besannen sich die Sozialdemokraten unter dem Kanzler Helmut Schmidt auf das einstige Kiesinger-Plakat und verkündeten ihrerseits dem Wahlvolk: „Der bessere Mann muss Kanzler bleiben“. Der Hamburger blieb es auch, wenngleich sein damaliger Herausforderer, der junge Mainzer Ministerpräsident Helmut Kohl, ein (für heutige Maßstäbe) geradezu sensationelles Ergebnis mit 48,6 Prozent erzielte. Zusammen mit seinem Partei-Generalsekretär (und später erbitterten Gegner) Kurt Biedenkopf schaffte es Kohl, den bis dahin behäbigen Honoratioren-Verein CDU zu einer modernen Mitgliederpartei zu machen.
Äusseres Zeichen dafür war das freche, leicht erotisch angehauchte Plakat mit einem hübschen blonden Mädchen in Boxhandschuhen und der Aufforderung „Komm raus aus Deiner linken Ecke!“. In den folgenden Jahren wurde es eher eine Spezialität der Grünen, mit kessen Bildern und Sprüchen auf sich aufmerksam zu machen.
Die „Rache“ des Volkes
Wahlplakate sind freilich nicht bloß „Augenfänger“. Sie waren und sind auch immer ein gern genutztes Mittel „des Volkes“, um seinen Politik-Frust zu demonstrieren. Kohl mit Lippenstift, Schröder mit Clown-Nase – keineswegs alle Verfremdungen sind freilich witzig. Zum Beispiel, wenn Menschen (wie etwa Franz-Josef Strauß) zu Adolf Hitler “umgestaltet“ werden. Für Plakat-„Verschönerungen gibt es keine besonderen Konjunkturen. Sie finden statt in Zeiten großer Auseinandersetzungen und Entscheidungen (Wiederbewaffnung, Ostpolitik, Kanzlersturz), aber auch in Jahren der „Normalität“ Als ein Zeichner der Satire-Zeitschrift „Titanic“ einer Birne mit Stiel die Gesichtszüge Helmut Kohls verlieh, fanden sich tausende Nachahmer. Das Wahlkampfposter von 1994 mit der kurzlebigen SPD-„Troika“ Gerhard Schröder, Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine reizte einen Witzbold zu der Unterschrift „Kohl II, Loser, Versager“. Doch nicht alle Politiker animierten die Schmierer gleichermaßen; Helmut Schmidt war fast immer tabu…
Hat sich das Wahlplakat, angesichts der neuen Medien und TV-Duelle, überholt? Frank Stauss glaubt das nicht. Und der ist immerhin ein erfahrener Fahrensmann. Weit über 20 Kampagnen hat er bereits bestritten; unter anderen für Gerhard Schröder, Hanelore Kraft und Klaus Wowereit. Gewiss, auch er kritisiert, die derzeitigen Plakate unterforderten die Bürger intellektuell – „da bleibt nichts hängen“. Andererseits hat er allerdings festgestellt, dass selbst Social-Media-Freaks und Online-Hippies wie die „Piraten“ nicht ohne das bunt bedruckte Poster auskommen. „Plakate“, so Stauss, „erreichen eben Alle“.