Anthony Levandowski ist Ingenieur und hat bei Google entscheidend an der Entwicklung fahrerloser Autos mitgewirkt. Ein Techniker und Mann der Rationalität, möchte man meinen. Bis man hört, dass Levandowski auch Gründer einer religiösen Vereinigung namens „Way of the Future“ ist, die sich der Verehrung einer „Gottheit basierend auf künstlicher Intelligenz“ verschreibt, um auf diese Weise zur „Verbesserung der Menschheit“ beizutragen. Derlei seraphische Töne aus der Bay Area ist man in letzter Zeit gewohnt und aus europäischer Distanz betrachtet, befällt einen schon mal die Frage, ob den Technologen jenseits des Teichs denn allmählich die intellektuellen Sicherungen durchbrennen.
Technologische Delirien
Levandowski ist aber nicht meschugge. Andere intelligente Köpfe sind in ähnliche Verzückungen geraten, etwa Marvin Minsky, einer der Gründerväter der modernen Artificial Intelligence: „Alles, was wir sehen, ist vergänglich, sagen uns die Christen. Wir könnten aber, wenn wir unsere Zeit nicht verschwenden, in etwa 20 oder 30 Jahren in eine neue Welt des Geistes wiedergeboren werden, in der man Gedanken direkt in die Maschine diktieren kann – und das wird sein wie der Himmel.“ Ray Kurzweil von Google, der Singularitäts-Zarathustra, wartet darauf, dass er – oder sein Datendouble – dereinst eine postbiologische Existenz in irgendeinem elektronischen Paradies führen wird. Der Transhumanist Zoltan Istvan tourt in einem Wohnmobil durch die USA, um für die Idee zu werben, dass die Singularität jener schon vom kosmologischen Hymniker Teilhard de Chardin besungene Punkt Omega sei, an dem Wissenschaft, Technologie und Religion endgültig konvergieren, also Gott sich manifestieren würde. Istvan liess sich sogar als Präsidentschaftskandidat aufstellen, von einer Partei, die Unsterblichkeit anstrebt. Ein unsterblicher US-Präsident. Nicht gerade die erbaulichste Vorstellung, angesichts des gegenwärtigen Amtsinhabers.
Religion der Technologie
Solche Tendenzen stehen nicht im Widerspruch zu Wissenschaft und Technologie, sie gehören zu ihnen. Entscheidende wissenschaftlich-technische Durchbrüche sind ja stets Entgrenzungsereignisse, und sie nähren ein Transzendenzbedürfnis in uns. In jeder Maschine steckt ein Stück Religion. Fortschritt hat daher neben seiner profanen Bedeutung immer auch eine sakrale Aura. Er kann bedeuten, dass die weltlichen Lebensbedingungen des Menschen mit wissenschaftlich-technischen Mitteln um des Menschen willen verbessert werden. Das ist die Interpretation der Technik als Entlastung von Plackerei, Beschwerlichkeiten, Leiden mittels Werkzeug und Gerät. Gleichzeitig aber haftet an der Technik eine religiöse Bedeutung und Erwartung: nicht nur der Entlastung, sondern der Erlösung von „irdischen“, körperlichen Bedingungen, der Befreiung zu einem anderweltlichen Leben. Von dieser zweiten Bedeutung zehrt die Rhetorik des technologischen Fortschritts bis heute – gerade heute. Und sie ist nicht harmlos.
Der Ursprung der Maschineneuphorie
Die neuzeitliche Maschineneuphorie setzte ein mit einer philosophischen Weltvernichtung. Der Philosoph Thomas Hobbes spielte im 17. Jahrhundert mit dem Gedanken der „Privation“ der Welt: „Den Eingang in die Naturlehre werden wir (...) am besten von der Privation aus nehmen, d. h. von einer ersonnenen Aufhebung des Weltalls aus.“
Ein ungeheurer Satz. Er wischt nicht nur alle überkommenen Weltbilder vom Tisch, sondern eröffnet zugleich das grandiose Projekt eines künstlichen Wiederaufbaus mittels Wissenschaft und Technik. Wer die Welt in Gedanken vernichtet, um sie dann zu rekonstruieren, setzt sich letzlich – wenn auch nur theoretisch – an die Stelle des Weltbaumeisters. Diese Idee nobilitiert die Arbeit des Ingenieurs als quasi-göttlich. Sie inspiriert auch das grandiose Projekt einer vollständigen Durchleuchtung der Welt. So wie man eine Uhr am besten versteht, indem man sie auseinandernimmt und wieder zusammenbastelt, so hat man, wenn man die Weltbauelemente und die Prinzipien ihres Zusammenwirkens kennt, den göttlichen Durchblick. Die Idee hat eine verführerische Plausibilität, die sich vor allem im 19. Jahrhundert und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts triumphal entfaltete. Die Weltmaschine ist physikalisch und chemisch „lesbar“, an ihr gibt es nichts, was sich dem wissenschaftlichen Blick entziehen könnte. In diesem Sinne waren die Maschinen bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auch Instrumente der Säkulariserung, der Entzauberung von Gottes Werk.
Herr Hollerith und seine „lesbare“ Karte
Das hat sich dramatisch geändert. Dabei begann die Geschichte der Automatisierung unspektakulär im Rahmen der amerikanischen Volkszählung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Das Tabellieren und Sortieren von Listen waren ein ödes Geschäft. Ein Ingenieur und Unternehmer namens Herman Hollerith liess sich vom Knipsen der Bahnkarte inspirieren und erfand die Lochkarte. Sie war sozusagen eine Bahnkarte, deren verteilte Löcher eine entsprechende Maschine „lesen“ konnte. Sie ermöglichte ein automatisches Tabellieren und Sortieren. So etwas hatte noch niemand gesehen und ein Beobachter schrieb schon damals voller Ehrerbietung: „Der Apparat läuft so unbeirrbar wie die Mühlen Gottes, aber er schlägt sie um ein Vielfaches, was die Geschwindigkeit betrifft.“ Holleriths Firma verschmolz in der Folge mit anderen Unternehmen zur Computing-Tabulating-Recording-Society (Rechnungs-Tabellierungs-Aufzeichnungs-Gesellschaft), die später umbenannt wurde zu IBM (International Business Machines).
In der Ära der autonomen Artefakte
Was mit einer Maschine zur Erfassung der amerikanischen Bürger begann, sollte sich im 20. Jahrhundert zum „disruptiven“ gesellschaftlichen Prozess par excellence entwickeln. Immer mehr Tätigkeiten – physische und intellektuelle – delegiert der Mensch an Maschinen. Die Maschinen, oder genauer: ihre Algorithmen werden dabei zusehends undurchsichtiger. Sie verknäueln sich zu einem unentwirrbaren Nest. Wahrscheinlich verstehen die Algorithmendesigner ihre Artefakte selber nicht mehr vollständig. Sie schreiben einfach weitere Codeschichten auf bereits existierenden Code, so wie mittelalterliche Mönche auf bereits beschriebene Pergamente neue Texte schrieben: Palimpseste.
Wir leben in einer Ära der autonomen Artefakte. Schon seit längerem ist die Rede von Automaten, die „entscheiden“, „planen“, „wahrnehmen“, „auswählen“, „voraussehen“. Umgangsformen greifen Platz, in denen Maschinen die Rolle von Partnern, Akteuren, Quasi-Personen, Usurpatoren, womöglich Feinden übernehmen. Das zwingt uns zur Verabschiedung unserer souveränen Position als Herren und Meister über das Reich der Artefakte. Die Maschine beginnt sich sozusagen in unseren technisierten Lebensformen einzubürgern. Wir brauchen sie nicht bloss, wir leben mit ihr zusammen, wie mit Mitmensch und Tier.
Das seltsame Objekt der Vergötzung
Mehr noch, die neuen Maschinen bieten sich – wie Figura zeigt – an als Objekte der Vergötzung. Das Problem sind die Verzerrungen des menschlichen Augenmasses durch die neuesten Technologien der Verzauberung. „Während die Maschine verlässlich funktioniert, entgleitet ihr Gebrauch ins Irrationale“, schreibt der deutsche Theologe und Physiker Hans-Dieter Mutschler. Das trifft genau den Nerv der Zeit, ihren schwärenden Grundwiderspruch. Entgegen der verbreiteten Meinung von der „Entzauberung“ der Welt leben wir heute in einer Welt des technischen Zaubers ohnegleichen. Man sehe sich nur die Werbung an, die durchsichtig genug den Hokuspokus der Gadgets und Apps ausnutzt. Neue Apple-Produkte werden oft in einer Atmosphäre auf den Markt gebracht, die an Gottesdienste erinnert. Und Facebooks Zuckerberg gebärdet sich ohnehin wie ein Hohepriester der technologischen Schlaraffia. Die Gottheit in der Maschine ist der letzte Ausdruck einer Perversion technologischer Rationalität: Wir tanzen um die goldenen Kälber aus Silicon Valley und im Hintergrund schauen die „Götter“ der Technogiganten zufrieden zu, wie wir allmählich in der Technikfrömmigkeit verdämmern und verblöden.