Es fällt ihnen nichts Neues mehr ein, den Kommunikationsstrategen des Präsidenten im Elyseepalast. Es ist, als könnten sie es einfach nicht lassen. Die Rede ist von den immer wieder gleichen "Déplacements du Président de la République", die sie organisieren oder organisieren müssen.
"Deplacements du Président de la République": So heissen offiziell diese thematischen Blitzbesuche des Staatspräsidenten in der französischen Provinz, die nichts anderes sind, als eine schamlose, mittlerweile von allen durchschaute Inszenierung, eine Millionen Euro teure, von rund 1000 Polizisten gesicherte und abgeschottete Peinlichkeit, ein einzig und allein für die lupenreinen Fersehbilder fabriziertes Spektakel.
Dieses variantenlose Schauspiel steht jetzt schon seit fast fünf Jahren auf dem Spielplan. Müsste es sich auf dem von Präsident Sarkozy einst so gefeierten freien Markt behaupten, wäre es schon längst abgesetzt und eingestampft, so aber gibt es seit Herbst letzten Jahres sogar zwei Vorstellungen wöchentlich nach dem Motto: Der Präsident ist Präsident. Er kann tun, was er will, und er will wiedergewählt werden! Er sagt das zwar nicht offiziell und ist noch nicht Kandidat , muss aber trotzdem - auf Staatskosten - Wahlkampf betreiben. Also gibt es für das Wahlvolk ab jetzt zweimal wöchentlich die perfekt ausgeklügelte Zirkusvorstellung, Marke Sarkozy.
Des Präsidenten Blitzbesuche
Der Präsident hatte die vergangene Woche mit einer Reihe von Reformankündigungen im allerletzten Moment vor den Wahlen eingeläutet, über die - nach 24 Stunden des Erstaunens und der Sprachlosigkeit - eigentlich nur noch geschmunzelt werden konnte. Darunter war die Massnahme, die Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig die katastrophale Wohnungsnot lindern sollte und die darin besteht, dass man die Baugesetzgebung dahingehend ändert, dass pro Grundstück 30 Prozent mehr Wohnfläche gebaut werden darf.
In Anbetracht aller geplanten Ausnahmen und geltender, unumstösslicher Regeln - wie etwa die Bebauung am Meer oder in den Bergen - erwies sich dieses präsidiale Ansinnen gelinde gesagt als ein schnell zusammengeschustertes Machwerk, von dem in der Zukunft so gut wie nichts übrig bleiben wird. Trotzdem wurde den Impresarios des Präsidenten im selben Atemzug aufgetragen, zu diesem Thema einen Blitzbesuch des Staatsoberhauptes irgendwo in der Provinz zu organisieren.
Und sie fanden schliesslich auch etwas, nicht all zu weit von Paris entfernt. Eine Baustelle, die den Empfang des Präsidenten verkraften konnte, jedoch ein Problem hatte: Es arbeiteten dort nur noch ein knappes Dutzend Handwerker. Und das war ein echtes Problem für die Kommunikationsstrategen im Elysee, denn es drohte die Leere. Der Präsident in Sonntagsanzug und Lackschuhen unter nur zehn bis zwölf Arbeitern - das war nicht genügend Masse, die am Kommen des Präsidenten angeblich interessiert war.
Doch daran sollte es nicht scheitern. Die alten Fahrensmänner der Sarkozyschen Propagandamaschine lösten das Problem im Handumdrehen. Für den mitgezogenen Pressetross hatte man kurzum auch Ingenieure und Büroangestellte von Baufirmen in makellose Arbeitskleidung gesteckt, ihnen einen frischen, knallroten Helm verpasst, sie zu mässig glaubwürdigen Statisten degradiert - und ausserdem zahlreiche Arbeiter von anderen Baustellen herangekarrt, um die Kulisse zu füllen.
Eine Stunde fünf Minuten
Um die Tragweite der Inszenierung dieser Austritte des Präsidenten der republikanischen Monarchie zu erfassen, möge man sich zum Beispiel nur das offizielle Communiqué auf der Zunge zergehen lassen, das da letzte Woche in die französischen Redaktionsstuben flatterte, um den nächsten Blitzbesuch des Präsidenten in dieser Woche zu annoncierern. Er wird in einer Kleinstadt des südwestfranzösischen Departements Tarn stattfinden - zum Thema Familienpolitik und Vorschule bzw. Kinderkrippen. Man achte vor allem auf den Zeitplan, der dazu angetan ist, einen wirklich profunden Austausch zwischen Bürgern und Präsident möglich zu machen:
11h 40 : Ankunft von Monsieur le Président de la Republique, Nicolas Sarkozy, Besuch der Kinderkrippe "Les Bouts de Choux"
11h 50 Arbeitssitzung mit Betroffenen und Fachleuten
12h 15 Rede von Monsieur le Président de la République
12h 45 Abfahrt von Monsieur le Président de la Republique
Das wär´s dann zur Familienpolitik. Der Präsident war da, eine Stunde und fünf Minuten, die Bilder sind gemacht, die Probleme angeblich gelöst - Nicolas Sarkozy scheint sich nach wie vor um wirklich alles zu kümmern und süsse kleine Kinder, sowie die Familie sind im Wahlkampf natürlich immer ein gutes Thema.
Warum, so fragt man sich fast jede Woche angesichts derart unsinniger Besuche, macht die ganze Presse diesen Zirkus eigentlich so willfährig mit? Warum stellen Kameraleute und Photographen ihre Geräte nicht manchmal auf den Boden, packen die Tonleute und Radioreporter ihre Mikrophone nicht ein, verschränken die Arme und sagen, wir werden diese arrangierten Vorführungen nicht zum 270ten Mal abfilmen, ablichten und aufnehmen - so dämlich darf man uns einfach nicht kommen, so hemmungslos darf man uns nicht missbrauchen?
Des Präsidenten Neujahrswünsche an die Presse
Vor allem nach dem, was sich der Präsident in der vergangenen Woche gegenüber den Medienvertretern geleistet hat - nämlich eine seiner grössten Geschmacklosigkeiten der letzten fünf Jahre. Es war die Ansprache im Rahmen seiner Glückwünsche zum Neuen Jahr 2012 vor 400 handverlesenen, überwiegend Pariser Journalisten im Elyseepalast:
Mehr als 20 Minuten lang hat sich der Präsident zappelnd und künstlich lächelnd über die höflich grienende Journaille lustig gemacht, eine Journaille, die über die erlittene Erniedrigung sogar manchmal lachte, ja dem Präsidenten fast Beifall spendete dafür, dass er sie höhnisch und voller Verachtung zum Besten gehalten hatte, in einem Monolog, der ironisch sein sollte und doch bedrohend wirkte, in dem Nicolas Sarkozy von sich und der Presse, wie von einem Paar sprach, das Turbulenzen durchlebt, sich trennen möchte, aber doch nicht ohne den anderen weiterleben kann - eine schlechte schauspielerische Vorstellung, die mehr als peinlich war, von der aber die Botschaft des Präsidenten in Richtung Presservertreter übrig blieb, die da lautet: Im Grunde geht Ihr mir auf den Geist, ich nehme Euch ohnehin nicht ernst und spiele ab und zu gerne mit Euch. Ihr mögt mich nicht, aber letztlich braucht ihr mich, und ich, der ich am längeren Hebel sitze, mache mit Euch, was ich will.
Auch da ist keiner der Journalisten aufgestanden und hat den Saal verlassen. Vergeblich hat man gewartet, dass aus der Tiefe des Saals jemand - weil man ihm kein Mikrophon gegeben hat - brüllend interveniert, mit den Worten: "Monsieur Sarkozy, auch wenn Sie Präsident der Republik sind, ich lasse mit mir nicht weiter so reden, als wäre ich ein ungezogenes 12-jähriges Kind, das sich von einem Onkel mit Schlipps zu Unrecht tadeln lassen muss."
Doch nichts passierte, im Gegenteil. Kaum hatte der Präsident die letzten bissigen Worte gesprochen und war von der Empore heruntergeschritten, bildete sich unter den Lustern und Goldverzierungen des Festsaals im Elyseepalast ein gigantischer Pulk aus Journalisten, die nur eines im Sinn zu haben schienen: einen Blick oder eine schüttelnde Hand des Präsidenten zu erhaschen, der sie da gerade eben gemassregelt hatte.
Alte Affären
Natürlich kann man Nicolas Sarkozys gespanntes und gespaltenes Verhältnis zu den Medien nur all zu gut verstehen - gerade in diesen Wochen. Denn am Mittwoch droht ihm schon wieder Unheil, könnte es schon wieder sein, dass diese ungeliebten Zeitgenossen von Pressevertretern Dinge zu berichten haben, die für den Präsidenten höchst unangenehm sind.
Denn an diesem Tag wird Nicolas Sarkozy, mit allergrösster Wahrscheinlichkeit, erneut von der Bettancourt-Affäre eingeholt werden. Ein Untersuchungsrichter in Bordeaux - wohin die Bettencourt-Affäre ausgelagert wurde, weil der politische und öffentliche Druck auf die Justiz in Paris nicht mehr tragbar war - wird den ehemaligen Arbeitsminister, Eric Woerth, wegen Verdachts auf illegale Parteien- und Wahlkampffinanzierung anklagen. Woerth, den der Präsident einst sogar für das Amt des Premierministers im Sinn hatte, war nicht nur der Schatzmeister der Präsidentenpartei UMP, sondern vor und während des Wahlkampfs von Nicolas Sarkozy in den Jahren 2006/2007 auch der Vorsitzende des so genannten "Cercle Restreint" gewesen - des engen Kreises von Millionen - und Milliarden schweren Geldgebern für den Präsidentschaftskandidaten Sarkozy.
Als solcher soll Woerth im Januar 2007 vom Vermögensverwalter der L'Oreal-Erbin Bettencourt, der seine, Woerths Frau beschäftigte und dem er, Woerth, ein Jahr später persönlich den Orden der Ehrenlegion ans Revers heften sollte, 150 000 Euro in bar erhalten haben. Und dies ist bei weitem noch nicht alles . Die Karachi Affäre, wo es auch schon um mögliche illegale Wahlkampffinanzierung ging und um illegale Kommissionen in Millionenhöhe im Zusammenhang mit einem Waffengeschäft , sowie eine Abhör - und Bespitzelungsaffäre von Journalisten, die sich just mit diesen Affären befasst hatten, beschäftigen derzeit ebenfalls die Justiz. Personen aus dem nahen Umfeld des Präsidenten sind sogar schon angeklagt worden und die Affären rücken dem Staatsoberhaupt immer näher auf den Leib. Kein Wunder also, dass der französische Präsident die Journalisten ebenso hasst, wie die Richter seines Landes , die er einmal als "kleine Erbsen" bezeichnet hat. Kein Wunder aber auch, angesichts eines derartig feindseeligen, herausfordernden und drohenden Verhaltens des Präsidenten gegenüber Journalisten und im Grunde seines nachtragend-strafenden Gebahrens gegenüber allen, die nicht seiner Meinung sind und sich ihm in den Weg stellen oder auch nur stellen könnten , dass eine der fünf grossen Wochenzeitungen Frankreichs vor einiger Zeit ihre Titelseite mit dem Satz zierte : "Sarkozy - le Voyou de la Republique". Voyou heisst so viel wie kleiner Gauner.