Was ist ein gerechter Lohn? Die Frage stellt sich, seit es Lohnarbeit gibt. Menschen vergleichen, was sie bekommen. Es lässt sich nicht verhindern, dass viele unzufrieden sind. An Gründen wird es nie fehlen. So sind bei der Zumessung der Löhne Ungerechtigkeiten kaum völlig zu vermeiden. Kriterien der Abstufung enthalten immer einen Anteil des Willkürlichen. Zudem können nicht alle Branchen gleich hohe Saläre zahlen. Auch die Tatsache, dass gewisse Arten von Arbeit überhaupt nicht oder kaum entlohnt werden, stösst zunehmend auf Widerspruch.
In einer freien und offenen Gesellschaft sind Lohnkonflikte normal. Man bewältigt sie am Verhandlungstisch, wenn nötig auf der Strasse und im äussersten Fall mit massivem Druck in Form von Streiks. In solchen Mechanismen zum Austarieren von Löhnen mag es manchmal knirschen, doch im grossen Ganzen funktionieren sie. Ausser in zwei Bereichen. Der erste ist derjenige der tiefsten Arbeitsentgelte. Zu Löhnen unterhalb des Existenzminimums kommt es dort, wo wir nicht hinschauen und wo die Balance der gesellschaftlichen Kräfte nicht – oder noch nicht – spielt.
Die zweite Problemzone ist die der Top-Saläre, die eine relativ kleine Gruppe von Spitzenleuten in den Stand des Finanzadels heben. Sie gesellen sich dann zu jener schmalen Schicht, die mit Erbschaften und Kapitalgewinnen Reichtum anhäuft. Dies allein ist noch nicht problematisch. Wenn die Mehrheit anständig versorgt ist, verträgt der gesellschaftliche Konsens einige Reiche. Daran müssten auch die an Manager ausgeschütteten Millionensaläre nichts ändern.
Was diese letzte Lohnkategorie jedoch zum Problem macht, ist die Tatsache, dass es sich um Arbeitslöhne handelt. Sie stehen in Relation zu Leistungen. Die vergoldeten Manager sind Angestellte. Als solche tragen sie – im Unterschied zu echten Unternehmern – kein persönliches Risiko. Nichtsdestotrotz werden Top-Saläre stets mit extra grosser Verantwortung begründet.
Daran stimmt einiges nicht. Denn die riesige Verantwortung ist immer dann kein Thema, wenn Geschäfte schlecht laufen oder Missstände an den Tag kommen. Ohnehin endet sie schlagartig mit der Kündigung oder Pensionierung.
Mögen die exorbitanten Spitzensaläre auch seltene Einzelfälle sein, so zeitigen sie doch breite Wirkungen. Sie setzen nämlich Vergleichsmarken, die sich auf den ganzen Arbeitsmarkt der Top-Kader auswirken.
Kritik an Salär-Auswüchsen wird gern als «Neid-Debatte» diskreditiert. Doch das führt nicht weiter, weil es von den erwähnten systemischen Effekten der Millionenvergütungen ablenkt. Es geht in dieser Frage weder um Neid noch um Moral, sondern um Wertesysteme der Wirtschaft, Unternehmenskulturen und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Da sich die manchmal über 200-fachen Lohnunterschiede in Unternehmen schwerlich mit Leistung begründen lassen, wird zur Rechtfertigung der Exzesse stets die angebliche Knappheit der besten Leute ins Feld geführt. Sie seien rar wie Spitzensportler und Ausnahmekünstler. Die hohen Löhne widerspiegelten schlicht den Markt für solche Genies. Dem widerspricht aber die Art, wie Top-Saläre zustande kommen: Es ist eine abgehobene Kaste von Hochbezahlten, die für ihresgleichen die Bezüge absegnet.
Vor sieben Jahren genehmigte das Schweizer Volk mit sensationellen 68 Prozent Ja und allen Ständestimmen die sogenannte Abzocker-Initiative. Es war eine der erfolgreichsten Initiativen in der Geschichte des Landes. Doch geändert hat sie nichts. Die Problematik der für die Marktwirtschaft destruktiven Selbstbedienungs-Mentalität einer kleinen, aber tonangebenden Minderheit mottet weiter.