Man mag ja zur Tatsache stehen, wie man will: Immer öfter bemühen sich Theaterregisseure und Bühnenbildner in einer Person um eine Werkumsetzung. Selten jedoch dürfte diese Symbiose so einleuchtend und auch ästhetisch begeisternd ausfallen wie die aufsehenerregenden Schauspiel-Einrichtungen des deutschen Regisseurs und Bühnenbildners Ulrich Rasche. Für seine Bühnenwelten entwirft er zum Teil gigantische Maschinen – Herausforderungen nicht nur für die Ensemblemitglieder, die darin und darauf spielen müssen, sondern auch für die Technik des jeweiligen Hauses.
„Wie ein offenes Rasiermesser“
Im Fragment gebliebenen „Woyzeck“ des schon mit 23 Jahren verstorbenen Georg Büchner (1813–1837) verzweifeln die Protagonisten an der Sinnlosigkeit des Lebens. Vor allem der arme und einfache Soldat Franz Woyzeck, der sich abmüht, für seine Geliebte Marie und sein uneheliches Kind ein paar Groschen zum Sold dazu zu verdienen, ist diese Unabänderlichkeit der Tretmühle Leben kaum auszuhalten.: „Immerzu, immerzu ...!“ stöhnt er vor sich hin und läuft und läuft und funktioniert zweifelnd, aber gehorsam weiter, bis es nicht mehr geht. Das wird von seiner ihn verhöhnenden und benutzenden Umgebung wohl bemerkt: „Er läuft wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt.“
Um dieses immer quälender werdende Anrennen gegen die Zeit deutlich zu machen, schuf Rasche eine die ganze Bühne einnehmende Drehscheibe, welche in sich nochmals getrennt laufen kann, die sich hebt und senkt und schräg bis fast senkrecht stellt wie bei einem Kirmes-Karussell. Doch das Licht ist kalt, die Beteiligten sind ausnahmslos schwarz gekleidet, und jedes Lachen verstummt, während die Schauspieler drei Stunden lang ununterbrochen gegen die Scheibenrotation angehen müssen. Es gibt in dieser Inszenierung keine Begegnungen, während des Gehens sprechen die Schauspieler in einem eindringlich verlangsamten Duktus ausschliesslich zum Publikum, dem sie so Büchners Gedanken und Worte einträufeln, ja, zu eigen machen – ein zuerst kaum merkliches, mit der Zeit jedoch fast unerträglich werdendes Anschwellen der eigenen Gefühle angesichts der Unabänderlichkeit und Grausamkeit des Lebens, das da vor uns abrollt.
Musik als unerbittlicher Antrieb
Verstärkt wird das alles durch die düster den Takt vorgebende Musik der jungen deutschen Jazz-Gitarristin und Band-Leaderin Monika Roscher, ein Ostinato-Grundschlag der Trommel, verstärkt und erweitert durch Piano, Viola, Fagott, Kontrafagott und E-Bass. Da ist alles mit dem Text der Szene genauestens getaktet – bewunderungswürdig die Disziplin aller Beteiligten, welche so das Ambiente von Unausweichlichkeit bis ans bittere Ende einhalten. Und wenn Woyzeck seine Marie aus Eifersucht erstochen und das blutige Messer in den See geworfen hat, können die Schaulustigen am Tatort der trockenen Konstatierung des sadistischen Doktors nur beipflichten: „Ein guter Mord, ein schöner Mord.“ Er muss es ja wissen. Schliesslich hat er mit seinen mitleidlosen Versuchsanordnungen den armen Woyzeck an den Rand der Schizophrenie getrieben.
Basler Schauspiel im Aufwind
Ausnahmslos alle Schauspieler haben einen grossen Abend (Nicola Mastroberardino, Franziska Hackl, Thiemo Strutzenberger, Florian von Manteuffel, Michael Wächter, Max Rothbart, Barbara Horvath, Toni Jessen, Justus Pfankuch). Nicht nur eine intensive Regie- und Probenarbeit zeigt hier ihre Früchte, sondern auch hohes persönliches schauspielerisches Können und der unbedingte Wille, sich dem ganzen Werk unterzuordnen. Professionalität, mit einem Wort.
Andreas Beck amtet nun die dritte Spielzeit in Basel als Theaterdirektor. Soeben ist ihm das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien überreicht worden. Zum Glück wird er der Stadt Basel weiterhin erhalten bleiben – er wurde als aussichtsreicher möglicher Kandidat für den Direktorenposten des Burgtheaters gehandelt. Mit der Verpflichtung des zum ersten Mal in Basel arbeitenden Ulrich Rasche hat er einmal mehr seinen Instinkt und Mut bewiesen, für eine seit seiner Intendanz herausragende Qualität des Basler Schauspiels zu sorgen. Die neue Spielzeit ist dunkel, aber verheissungsvoll gestartet. Und das Publikum geht begeistert mit.