Die Meldung ging kürzlich im Getöse der Hauptthemen anlässlich des G20-Gipfels im ostaustralischen Brisbane beinahe unter. China und Russland werden im kommenden Frühling zum ersten Mal gemeinsame Flottenmanöver im Mittelmeer abhalten. Für Russland ist dies normal; Moskau sucht angesichts seiner schlagartig getrübten Westperspektive um jeden Preis die Annäherung an seinen grossen asiatischen Nachbarn, die neue Weltmacht China.
Für China ist dies neu und zeigt, wie sehr Beijing seine globale Wirtschaftsmacht nun auch militärisch untermauern will. Hier soll aber nicht vom europäischen, sondern vom pazifischen Ende chinesischer Expansion die Rede sein.
Chinas Präsenz in der pazifischen Inselwelt
Nach seiner Teilnahme am Gipfel in Brisbane, dem verkehrstechnischen Tor zur weitverstreuten Inselwelt im Pazifik, besuchte der chinesische Präsident Xi Jinping Suva, die Hauptstadt von Fidschi.
Fidschi ist das Verbindungsglied zwischen Melanesien und Polynesien, dem südlichen Teil des Südpazifiks, wo einige kleine, aber – dank Wirtschaftsinteressenzone rund um alle ihre Küsten – ausgedehnte Inselgruppen liegen. Tahiti, das teilweise unabhängige Französisch-Polynesien (Collectivité d’outre-mer) ist eine davon. Die polynesischen Ureinwohner, zu deren entfernten Cousins auch die Hawaianer gehören, sind vor rund 3000 Jahren aus Asien eingewandert, oder genauer ausgedrückt als die damals wohl geschicktesten Seefahrer eingesegelt.
Ganz anderen Ursprungs und viel älter als ihre polynesischen Nachbarn sind die Melanesier, zu denen wiederum als entfernte Cousins die australischen Ureinwohner gehören. Nach neusten genetischen Forschungen lassen sie sich in direkter Linie auf die ersten aus Afrika kommenden intelligenten Menschen zurückführen und wären damit rund 50’000 Jahre alt. Die Melanesier also bewohnen die Inselgruppen im nördlichen Teil des Südpazifiks, insbesondere Neuguinea.
Auf Fidschi halten sich Melanesier und Polynesier ungefähr die Waage, wobei aber ein gutes Drittel der Bevölkerung Inder sind, deren Vorfahren von den englischen Kolonialherren als Plantagenarbeiter hierher verfrachtet wurden. Einen kleinen, aber wichtigen Teil der Fidschianer, wie überhaupt auf allen poly- und melanesischen Inseln, stellen chinesische Händler dar. Geführt wird Fidschi seit rund zehn Jahren vom ehemaligen Putsch-Obersten Frank Bainimarama, einem Ureinwohner, welcher die damalige demokratisch legitimierte, von einem Inder geführte Regierung stürzte, heute aber nach einer mehr oder weniger sauberen Wahl als Demokrat regiert.
Der Besuch des chinesischen Präsidenten brachte Bainimarama die endültige Anerkennung als international unumgehbaren Gesprächpartner, sowie dem Land einige handfeste wirtschaftliche Vorteile. Er fand aber kaum lokalen Widerhall, da die Chinesen im Pazifik generell nicht beliebt sind und oft als Sündenböcke für eigene Versäumnisse und Verbrechen bis hin zu grausamen Prognomen büssen müssen.
Indische Diaspora im Südpazifik
Gerade umgekehrt stellte sich der unmittelbar folgende bilaterale Besuch des indischen Premierministers Narendra Modi in Fidschi dar. Indien kann im Vergleich mit China bei der wirtschaftlichen Potenz in keiner Art und Weise mitziehen. Modi wurde aber so begrüsst, wie das für ihn weltweit zur Gewohnheit geworden ist: als politischer Rockstar, welcher der riesigen indischen Diaspora im Ausland endlich Hoffnung zu geben scheint, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt global einigermassen präsentabel auftritt.
Beiden hochrangigen Besuchern lag indes primär daran, ihre Intressensphäre im Pazifik, somit auf einem Drittel der Weltoberfläche, klar zu markieren. Noch viel stärker als im 20. atlantischen Jahrhundert werden in unserem, vom Grossraum Asien-Pazifik beherrschten 21. Jahrhundert die Seewege im Mittelpunkt stehen. Wer diese sicherheitspolitisch beherrscht, gewinnt. Das Seilziehen um die Vormacht in Asien-Pazifik zwischen den USA und China, mit Indien als wichtigem dritten Pol, wird sich also sicher auch als Wettrüsten der Seestreitkräfte und als Kampf um Flottenstützpunkte und Aufklärungsbasen darstellen.
Auch Frankreich ist noch da
Frankreich mit seinen territorialen Interessen in Polynesien (Tahiti) und Melanesien (Neu-Kaledonien) – Präsident Hollande reiste von Brisbane ebenfalls östlich weiter nach Nouméa, der Hauptstadt der CSG (Collectivité Sui Generis) Nouvelle Calédonie – ist zumindest sicherheitspolitisch nur spärlich präsent. Nicht besucht hat Hollande Französisch-Polynesien. Ein möglicher Grund dafür konnte seither den internationalen Medien entnommen werden: Die französischen Nuklearwaffentests in den 60er Jahren auf dem tahitischen Atoll Mururoa könnten noch Spätfolgen im der Form grösserer Schadenersatzklagen der dortigen indigenen Bevölkerung zur Folge haben.
Aber auch in Neu-Kaledonien wird es in den nächsten Jahren kaum ruhig sein. Für den Zeitraum 2015 bis 2020 ist ein allseitig verpflichtendes Referendum über die völlige Unabhängigkeit vorgesehen. Wann genau und mit welchem Ausgang ist noch nicht klar abzusehen. Indes stehen sich dort die «Caldoches» (Nachfahren eingewanderter Franzosen und Neuzuzüger aus dem Mutterland) – welche die vor allem auch finanzielle Nabeschnur zu Paris nicht kappen wollen – und die Kanaken (offizieller Name der melanesischen Urbevölkerung) gegenüber. Letztere wollen, wie die nahen Nachbarn in Vanuatu (ehemalige gemeinsam britisch-französiche Kolonie Neue Hebriden), unbedingte und volle Souveränität.
Zwischen Bürgerkrieg und Boom: Papua-Newguinea
Ein verpflichtendes Referendum zur Frage der Unabhängigkeit ist ebenfalls vorgesehen für die Ostprovinz Bougainville von Papua-Newguinea (PNG), wo ein verheerender Bürgerkrieg bis zum Jahre 2000 über 10`000 Todesopfer forderte; eine für ein so spärlich besiedelte Inselgruppe unvorstellbar hohe Zahl. Auch hier stehen sich nicht zuletzt wirtschaftliche Interessen(Bodenschätze) der lokalen Bevölkerung und der Zentralregierung in Port Moresby scheinbar unversöhnlich gegenüber.
PNG könnte indes an seinem anderen Ende bald einmal in einen separatistischen Konflikt verwickelt werden. Die Grossinsel Neuguinea wird ja ungefär in der Hälte geteilt in den unabhängigen Staat PNG auf der Ostseite und in die indonesische Provinz West-Papua im Westen. Die dortigen Melanesier werden durch die indonesische Zentralregierung, und vor allem sein Militär harsch unterdrückt; vom Rohstoffbonanza, welches in West-Papua erst anläuft, fällt wenig für sie ab. Ob und wie PNG bei einer Verschärfung des Autonomiekonfliktes in Westpapua eingreifen wird, ist noch kaum absehbar. Nachdem nun aber in PNG das grosse Öl- und Gasgeld rollt, wird Port Moresby die ethnischen Bande über seine Westgrenze hinweg auch sicherheitspolitisch sicht- und fühlbar machen können.
Stabilisierende Rolle Australiens
Um den tatsächlich und potentiell mörderischen Reigen in Melanesien noch zu vervollständigen, seinen schliesslich die unmittelbar neben Bougainville gelegenen Solomonen erwähnt. Dort hatten sich Stammeskämpfe in den 90er Jahren ebenfalls zu einem Bürgerkrieg mit genereller Anarchie entwickelt, welche erst 2003 mit der australisch-neuseeländischen Eingreiftruppe RAMSI beendet werden konnten. RAMSI ist elf Jahre später zwar reduziert, aber noch keineswegs vollständig zurückgezogen worden. Aus guten Gründen.
Damit wird offensichtlich, dass neben den drei Grossmächten USA, China und Indien auch verschiedene Mittelmächte am Wettstreit um Krieg und Frieden im südlichen Teil von Asien-Pazifik direkt teilnehmen, ja teilnehmen müssen. Allen voran Australien, welches insgesamt doch recht erfolgreich eine stabilisierende Rolle im Pazifik spielt. Gewiss vertritt Canberra dabei auch eigene, vor allem wirtschaftliche Interessen. Durch Militär- und, wo nötig, Entwicklungshilfe – Australien ist mit weitem Abstand der grösste Geberstaat in der pazifischen Region – hat das Land aber entscheidend dazu beigetragen, dass bislang keiner der lokalen Konflikte sich zur eigentlichen Katastrophe ausgewachsen hat.
Stellt man den hier dargestellten potentiellen Problemen sicherheitspolitischer Art noch weitere absehbare Bedrohungen im Pazifik zur Seite, so etwa im Bereich Umwelt – der Anstieg des Meersspiegels stellt für pazifische Inseln teilweise eine direkte Existenzbedrohung dar – dann wird eines klar: Auch in Europa werden wir uns mit diesem weit entfernten Teil der Welt wieder näher zu befassen haben. Ein chinesisches Kriegsschiff im Mittelmeer ist so gesehen nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein klarer Hinweis darauf, dass wir nun wirtschafts- und sicherheitspolitisch in einer flachen Welt leben.