Verschwörungstheorien sind eines der beliebtesten und erprobtesten Mittel im Wahlkampf Donald Trumps. Auch seine Anhänger verbreiten via soziale Medien Fake News – je verrückter, desto besser. Jüngste Quelle abstruser Behauptungen sind die Hurrikane Helene und Milton, welche die Staaten North Carolina, Florida und Georgia heimgesucht haben.
In der Fernsehdebatte mit Kamala Harris auf ABC hatte Donald Trump noch behauptet, in Springfield (Ohio) würden illegale Einwanderer aus Haiti Katzen und Hunde ihrer Nachbarn essen. Es war eine Lüge, die auch sein republikanischer Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance wiederholt äusserte. Ende vergangener Woche nun fand der Ex-Präsident ein neues Ziel: die Stadt Aurora in Colorado, aus der ein Video die Runde machte, das zeigt, wie bewaffnete Männer durch ein Mietshaus marschieren, das von Einwanderern aus Venezuela bewohnt wird.
In seiner Wahlkampfrede sprach Trump davon, Mietshäuser in Aurora würden von «barbarischen Schurken» überrannt und die Strassen der Stadt seien nicht mehr sicher – eine Äusserung, der selbst der republikanische Bürgermeister der Stadt ausdrücklich widersprach.
Die Schuld für die Misere in Aurora gab der Republikaner Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris: «Keine Person, die wie Kamala Harris für die Gewalt und den Schrecken in dieser Gemeinschaft verantwortlich ist, darf je Präsidentin der Vereinigten Staaten werden.» Später, in Reno (Nevada), behauptete Donald Trump, die USA seien «ein besetztes Land: «Ich gelobe euch: Der 5. November wird in Amerika der Tag der Befreiung sein. Liberation Day.»
Bewaffnete Gangs in Aurora, Hunde und Katzen essende Haitianer in Springfield – man mag solchen Unsinn als relativ harmlos einstufen. Unverantwortlicher aber wird es, wenn Verschwörungstheorien, in Amerika nicht selten mit antisemitischen Untertönen, in Zeiten der Not zu kursieren beginnen und die Bevölkerung verunsichern, wie das jüngst bei Hurrikan Helene oder Wirbelsturm Milton der Fall war, die unlängst den Süden Amerikas heimgesucht, über 200 Menschen getötet und schwere Verwüstungen angerichtet haben.
Kein Wunder hat Donald Trump gut drei Wochen vor der Präsidentschaftswahl versucht, die Naturkatastrophen mittels Fake News für seinen Wahlkampf zu instrumentalisieren. Anfang letzter Woche behauptete er in Georgia, Gouverneur Brian Kemp habe Präsident Joe Biden nicht erreichen können, um über Nothilfe für seinen Staat zu sprechen. In Wirklichkeit war Kemp bereits zuvor mit dem Weissen Haus in Kontakt gewesen.
Trump verbreite auch Lügen, die sein enger politischer Alliierter Elon Musk, Gründer von Tesla und SpaceX sowie Besitzer des Kurznachrichtendienstes X, auf seiner Plattform verbreitet hatte. Musk gab an, die Bundesagentur für Katastrophenschutz (FEMA) würde Hilfsflüge ins Katastrophengebiet blockieren, was er als «militante Inkompetenz der Regierung» brandmarkte. Der Unternehmer sagte ferner, ebenfalls ohne Beleg, die FEMA würde es nicht nur versäumen, Betroffenen adäquat zu helfen, sondern Menschen sogar aktiv daran hindern, Hilfe zu leisten.
Andere Trump-Anhänger behaupteten, die Bundesagentur würde Hilfsgelder abzweigen, um illegalen Einwanderern finanziell zu helfen, oder sie habe kein Geld mehr. Auch wurde insinuiert, demokratische Politiker würden Republikanern gezielt Nothilfe vorenthalten. «Es gibt viele gefährliche, irreführende Gerüchte, die verbreitet werden, was die Reaktion auf Hurrikan Helene betrifft, und diese Gerüchte können aktiv verhindern, dass Menschen geholfen wird», sagte FEMA-Sprecherin Jaclyn Rothenberg: «Unsere Priorität ist es, sicherzustellen, dass die Katastrophenhilfe die Leute in Not erreicht.»
Wenig überraschend war es Marjorie Taylor Greene, die verhaltensauffällige republikanische Abgeordnete aus Georgia, die sich zur abstrusesten aller Behauptungen verstiegt. «Ja sie können das Wetter kontrollieren», schrieb sie vorletzte Woche in einem Tweet für ihre 1,2 Millionen Follower: «Es ist lächerlich zu lügen und zu sagen, das sei nicht möglich.»
Einer von ihr gezeigten Landkarte zufolge hatte Hurrikan Helena in North Carolina nur Orte getroffen, die 2020 für Donald Trump stimmten, aber Städte verschont, die demokratisch wählten. Für ihre Beweisführung bezog sich Greene auch auf eine Fernsehsendung von CBS aus dem Jahr 2013, die über Versuche berichtet hatte, mit Lasern Regen und Blitze auszulösen. Stichwort Laser: Greene hat auch schon behauptet, Laser im All, die der Familie Rothschild gehören, hätten die Buschfeuer in Kalifornien ausgelöst.
Weitere Videos und Posts in den sozialen Medien warfen Katastrophenhelfern unbelegt Verrat oder Diebstahl von Hilfsgütern vor. Der Denkfabrik Institute of Strategic Dialogue zufolge sind solche irreführenden Posts auf X insgesamt Millionen Mal angeklickt worden. Neben Katastrophenhelfern wurden im Netz auch Meteorologen, Wissenschaftler und Medienschaffende bedroht. Im Fall von Meteorologen blieben selbst Todesdrohungen von Leugnern des Klimawandels nicht aus. «Meteorologen zu ermorden wird keine Hurrikane stoppen», schrieb eine Wetterfrau auf X: «Ich kann nicht glauben, dass ich das soeben getippt habe.»
«Die steigende Frequenz und die zerstörerische Kraft von grösseren Stürmen, Hitzewellen, Buschfeuern und anderen Wetter-bezogenen Katastrophen pflegen eine besonders emotionale Reaktion auszulösen, was es Klimaleugnern, Lobbyisten der Öl- und Gas-Industrie und den Verbreitern von Gerüchten erlaubt, die Besorgnis und die Verwirrung von Menschen auszunutzen», analysierte die «New York Times» das Phänomen der Verschwörungstheorien, deren Verbreitung heute durch Künstliche Intelligenz (KI) erleichtert wird. So wurden etwa auf sozialen Medien herzzerreissende Bilder von fliehenden Kindern oder gefakte Videos von zerstörerischen Stürmen verbreitet.
«Hört mal. Ich weiss nicht, wo dieses Foto herkam und ehrlich gesagt, es spielt keine Rolle», schrieb eine Vertreterin der republikanischen Parteiführung (RNC) in Georgia über das KI-generierte Bild eines kleinen Mädchens, das mit einem Hündchen im Arm vor dem Hurrikan flieht: «Ich lösche es nicht, weil es symptomatisch ist für das Trauma und den Schmerz von Leuten, die das jetzt durchleben.» Der Journalist Parker Molloy hat Screenshots von Usern gemacht, die zugaben, dass das fragliche Bild ein Fake war, gleichzeitig aber darauf beharrten, dass es auf einen tieferen Ebene wahr sei – für Molloy ein Indiz dafür, «dass wir in einer Post-Realität leben.»
«Selbst in einem Jahrzehnt, das von Online-Betrügern, schamlosen Politikern und einem rechtsalternativen Medienkomplex, der wissenschaftsfeindliche Randtheorien verbreitet, geprägt ist, stechen die Ereignisse der letzten Wochen durch ihre Verderbtheit und ihren Nihilismus hervor. Während zwei katastrophale Stürme amerikanische Städte verwüsteten, hat ein Flickenteppich aus Influencern und Fake-News-Verkäufern sein Bestes gegeben, um Misstrauen zu säen, Ressentiments zu schüren und die Hilfsmassnahmen zu behindern», analysiert im Magazin «The Atlantic» der Tech-Experte Charlie Warzel.
Warzels Schlussfolgerung: «Aber dies ist mehr als nur eine Fake-News-Krise. Wer zusieht, wie echte Informationen von verrückten Theorien überlagert werden und Beamte mit Morddrohungen konfrontiert werden, wird mit zwei alarmierenden Tatsachen konfrontiert: Erstens, dass ein dauerhaftes Ökosystem existiert, das die Bürger in einer alternativen Realität gefangen hält, und zweitens, dass die Menschen, die diese Lügen konsumieren und verbreiten, keine hilflosen Dummköpfe, sondern willige Teilnehmer sind.»
Zwar war angesichts der Wirbelstürme in North Carolina, Georgia und Florida zu beobachten, dass sich die Menschen vermehrt wieder traditionellen Medien wie lokalen Radio- oder Fernsehstationen zuwandten, um verlässliche Informationen zu erhalten. Doch das ist ein schwacher Trost, wenn man in Betracht zieht, dass für viele Leute soziale Medien wie X, YouTube oder Instagram bereits in normalen Zeiten zu Hauptinformationsquellen geworden sind.
Das Ganze gekoppelt mit der Entwicklung, dass ein soziales Medium wie X weitgehend Posts jeglicher Art toleriert, ohne sie näher auf ihren Wahrheits- oder Wahrscheinlichkeitsgehalt zu prüfen, wie das die Plattform früher getan hat und andere soziale Medien wie Facebook oder TikTok es noch heute tun. Auf X ist es denn auch möglich, ein blaues Häkchen zu kaufen, das früher Usern vorbehalten war, die überprüft worden waren und deren Identität bekannt war.
Nun aber garantiert der Algorithmus X-Usern, die ein Häkchen erworben haben, unabhängig vom Wahrheitsgehalt ihrer Posts grössere Verbreitung und erlaubt ihnen, auch finanziell an den Einnahmen von Anzeigen teilzuhaben, die in den Antwortspalten geschaltet werden. Je nackter einer lügt, desto mehr Geld kann er verdienen. So wächst in der amerikanischen Bevölkerung scheinbar unaufhörlich der Anteil jener, die sich zunehmend von der Realität entfernen, was aber nicht nur im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl am 5. November für die Nation wenig Gutes verspricht.