Woher kommt das Tröstliche des Schneefalls? Kommt es von der Helligkeit? Von der weissen Decke, die alles zudeckt, alles verpackt? Sie bringt die düsteren Farben des Winters zum Verschwinden. Zugedeckt sind die grauen Felder, die schwarzen Äste der Bäume, die in den kalten Himmel ragen. Die Natur ist eine Verpackungskünstlerin. Die Welt wird weiss und makellos. Das beruhigt ein wenig.
Natürlich haben nicht alle Zeit, das Fallen der Schneeflocken zu goutieren. Die Autofahrer sind gestresst, die Hauswarte denken ans Schneeschaufeln, die Arbeiter vom Strassendienst wissen, dass wieder Nachtschichten kommen. Mit Ausnahme der Tourismus-Branche wirkt Schneefall störend fürs Business, aber selbst Börsen-Händler und News-Redaktoren lösen den starren Blick vom Bildschirm, wenn jemand sagt: Draussen ist es am Schneien. Man lehnt sich zurück und sieht den Schnee fallen. Time out.
Der tobende Verkehr der Stadt wird plötzlich leiser. Der Schnee dämpft alle Töne. Er legt ein kühles Tuch auf den Durchlauferhitzer unseres täglichen Lebens. Der Schnee ist eine Beruhigung, gleichsam ein Signal zur Pause. Er bremst alle Geschäftigkeit, denn im Schnee geht alles langsamer: das Gehen, das Fahren, die Reisen, die Transporte, das Delivering.
Die Schneeflocken, die dicht vom Himmel fallen, sind eine Aufforderung zum Innehalten.
Die Welt präsentiert sich mit einem Mal in einem weissen Outfit. Das ist der Moment, sie neu zu betrachten und nachzudenken.
Robert Walser fasste es in einem kurzen Text mit dem Titel „Winter“ in die lapidare Bemerkung: „Fällt Schnee, so kommt Schneeballwerfen in Frage. Dies ist ein Zeitvertreib für Kinder, während Erwachsene lieber einen Stumpen rauchen, am Tisch sitzen und Karten spielen oder an seriösen Gesprächen Geschmack finden.“
Berühmt ist Adalbert Stifters Erzählung „Bergkristall“, wo die beiden Kinder sich im Wald verirren, denn „der Schneefall war nach und nach so dicht, dass auch nicht mehr die nächsten Bäume zu erkennen waren, sondern dass sie wie neblige Säcke in der Luft standen.“ Und in der Stille war es „als ob sie das Knistern des in die Nadeln herabfallenden Schnees vernehmen könnten.“ Heutzutage verirren sich keine Kinder mehr im verschneiten Wald. Statt dessen verirren sich manchmal Outdoor-Sportler, oder sie geraten in Lawinenhänge.
Es gibt aber auch die andern, die sich nicht verirren, die alten Schneefüchse. Kaum fallen die ersten Flocken, sind sie nicht mehr zu halten. Sie müssen hinaus in den Wald, sobald sie Schneeluft schnuppern. Aus dem dichten Schneetreiben tauchen sie schemenhaft in irgendeiner Waldlichtung auf. Kämpfen sich mit den Fellen unter den Skiern durch den hohen Schnee. Und sind glücklich, denn sie wissen sich in Sicherheit. Die Hänge im Wald sind nicht dem Wind ausgesetzt. Da gibt es keine Kammlagen, über die der Sturm tonnenweise Schnee geblasen hat. Wer den Hütten entlang über Alpgelände hochsteigt, riskiert keinen Schneerutsch. Denn wo Alphütten gebaut wurden, ist in der Regel kein Lawinengelände. Das wussten die Menschen früher aus jahrhundertelanger Beobachtung.
Der Weg zurück
Weiter oben über der Waldgrenze ist alles anders. Da ist im Schneetreiben alles nur noch weiss. Das Skifahren wird ein einziges Gleichgewichtsproblem, denn man sieht nicht mehr, ob es rauf oder runter geht. Im Wald dagegen kann man sich an den Bäumen orientieren, sie bilden den dunklen Kontrast, der zeigt, wie steil der Hang ist.
Wenn es schneit, ist der Winterwald das Terrain, in dem wir zurückfinden zu alten Instinkten. Da werden sinnliche Fähigkeiten geweckt, die in der urbanen Welt verloren gingen.
Der Schnee tut daher auch der Psyche gut: er weckt animalische Überlebens-Instinkte. Er kühlt nicht nur den Kopf – rein physikalisch – sondern ist vielleicht auch ein gutes Mittel gegen heisse Schmerzen der Seele.
Nicht zu vergessen das Ideologische und der Heimatmythos. Da kann man verweisen auf den alten Hit „Im Sommer scheint Sonne, im Winter da schneit‘s, in der Schweiz, in der Schweiz, in der Schweiz.“ Und das hat - laut Vico Torriani und dem Sunshine Quartett - seinen besonderen Reiz.