Endgültige Verbannung von Erotik und Romantik oder unverzichtbare Waffe zum Schutz der wehrlosen Frauen im Kampf gegen Macho-Männer?
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der neuen Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Annina Schmid ist siebzehn Jahre alt und wohnt in Herrliberg, wo sie sich bereits während der Primarschule im Schülerparlament engagierte. Seit vier Jahren besucht sie das Realgymnasium Rämibühl. Beim kantonalen „Jugend-debattiert“-Wettbewerb erreichte sie den zweiten Rang und war Finalistin beim Schweizer Finale in Bern. Annina interessiert sich für Social Media, Politik und gesellschaftliche Fragen. In ihrer Freizeit widmet sie sich ihrem Pferd.
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Durch den Hashtag #metoo, unter dem Frauen aus der ganzen Welt in den letzten Wochen auf sämtlichen sozialen Netzwerken von sexuellen Übergriffen berichten, ist das Thema Alltagssexismus wieder in die Schlagzeilen gekommen. Ein unlängst in der „Zeit“ veröffentlichter Artikel mit dem Titel „Regelt den Verkehr!“ schlug hohe Wellen. Kulturkonservative prophezeien seither die Überregulierung der Sexualität und das Ende der Leidenschaft. In der Welt der Political Correctness gebe es keinen Platz mehr für körperliche Intensität. Andere sehen in solchen Einverständniserklärungen aber gerade die Zukunft unserer humanistischen Gesellschaft und wetteifern schon, wie detailliert sie genau ausfallen sollen.
Solche Ideen werden prinzipiell immer den politisch korrekten Feministinnen in die Schuhe geschoben, doch die Idee hat weit mehr Verfechter. Der Journalist der „Zeit“ etwa sagt, dass solche Vereinbarungen nur einer Gesellschaft albern vorkommen können, die der Angst der Frauen mitleidslos gegenüberstehe: Genaue Regeln für sexuelles Begehren seien nicht der Anfang der totalitären Gesellschaft, sondern vielmehr ein Schutzmechanismus gegen sie. Und auch Slavoj Zizek unterstützt den Sexvertrag, indem er erklärt, dass politische Verhandlungen über Sex nicht zwingend ein Stimmungstöter sein müssen und man doch bitte nicht bei jeder Reglementierung gleich eine ungeile Dystopie im Kopf abspulen solle.
Sex ist die intimste und vom geregelten öffentlichen Leben am weitesten entfernte Sache überhaupt. Dem heutigen Bürger wird aber offensichtlich nicht zugetraut, ohne rechtliche, schriftlich festgehaltene Dokumente verantwortungsvoll zu handeln. Doch hier Verträge einführen zu wollen, käme einer Bürokratisierung der menschlichen Gefühle gleich. In mancherlei Hinsicht hat diese bedauerlicherweise wohl schon stattgefunden, aber der unnatürliche Versuch, auch unsere letzten animalischen Triebe noch unter Kontrolle zu bringen, würde wahrscheinlich zu mehr Übergriffen und Gewalt führen, als dass er sie verhindern würde. Natürlich soll das nicht heissen, dass sexuelle Übergriffe akzeptabel sind und nichts dagegen unternommen werden muss. Es ist höchste Zeit für Massnahmen. Doch einige sind letztlich eher kontraproduktiv.
Was vielleicht viele – und damit meine ich explizit nicht nur „die Männer“ – erstaunen wird, ist, dass nicht alle Frauen gleich denken und gleich empfinden. Manche Frauen möchten nicht angefasst werden, gleichgültig, wo sie sich befinden. Manche möchten keine anzüglichen Sprüche zu hören bekommen. Es gibt aber auch Frauen, die – ebenso wie viele Männer – nicht auf die Spannung einer unerwarteten Berührung oder einen Flirt verzichten wollen, nur um das Sicherheitsrisiko so weit wie menschenmöglich herunterzuschrauben und in absolut langweiliger Sicherheit den Rest ihres Lebens zu verbringen.
Niemals würde ich vor einem Dinner jeden Gast fragen müssen, ob ich ihn umarmen darf oder nicht. Die Selbstverständlichkeit, in der in der allgemeinen und hysterisch aufgeladenen Diskussion davon ausgegangen wird, dass Frauen sowieso immer mehr Absicherung und Schutz wollen und gar nicht auf die Idee kommen, Sex-Verträge keineswegs zu unterstützen, finde ich massiv sexistischer als viele der aktuell ins Feld geführten Beispiele für Alltagssexismus!
Immer noch herrscht die überholte Überzeugung vor, dass die arme, hilflose Frau vor dem bösen, überlegenen Mann beschützt werden muss. Und alle, die diese Idee unterstützen, egal ob Mann oder Frau, verbreiten dieses Bild und zementieren dadurch die Ungleichheit, die sie zu bekämpfen vorgeben. Viel zu oft scheinen solche Initiativen darauf hinauszulaufen, dass Frauen für den Makel, als Frau geboren zu sein, entschädigt werden sollen; und dass man sie doch trotz ihres Makels bitte so behandeln soll wie Männer, weil sie doch auch so gerne welche wären. Ich sehe nicht ein, was schlecht daran sein soll, dass wir keine Männer sind. Es ist eine Tatsache, dass wir uns biologisch grundlegend vom männlichen Geschlecht unterscheiden. Darin sehe ich aber weder einen Nachteil noch eine Schwäche.
Und ebenso wie wenigstens einige Frauen nicht als Opfer dargestellt werden wollen, wollen auch nicht alle Männer als unsensible, sexbesessene Machthengste abgestempelt werden. Kaum je wird thematisiert, dass auch ein Mann sich Sicherheit wünschen könnte. Die Rede ist stets vom verständnislosen, den Status quo verfechtenden Alphamännchen. Aber auch Frauen können Grenzen überschreiten und nicht nur Reh, sondern auch Wölfin sein.
Eine Lösung für sexuelle Belästigung diesseits der Strafbarkeit ist ein dringendes Anliegen. Und dennoch finde ich es über alle Massen entsetzlich und zutiefst schockierend, dass uns hierzu nichts anderes einfällt, als Verträge aufzusetzen und die einzige Sache reglementieren zu wollen, die in unserer Gesellschaft noch ausschliesslich von Emotionen gesteuert wird – und nicht vom gewinnorientiert denkenden, rationalen Homo oeconomicus. Diese Verträge stammen aus den leidenschaftslosen Gehirnwindungen von abgestumpften, Risiken jeder Art scheuenden, sicherheitsbedürftigen Durchschnittsbürokraten und ihren veralteten Klischeebildern.
Ich werde nie irgendein Papier unterzeichnen, das dokumentiert mit wem – und auf welche Weise – ich Geschlechtsverkehr habe. Es ist eine Illusion, sämtliche Risiken kontrollieren zu können und vollkommene Sicherheit zu erlangen. Alles läuft auf die grundlegende Entscheidung zwischen Freiheit und Sicherheit hinaus, wobei ich mich immer für die Freiheit entscheiden werde. Wenn das Leben nur noch aus risikofreier Monotonie besteht, dann kann man es auch gleich ganz sein lassen.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend-schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Das Realgymnasium Rämibühl (RG, bis 1976 Realgymnasium Zürichberg) ist ein Langzeitgymnasium. Es ist neben dem Literargymnasium die einzige öffentliche Schule des Kantons Zürich, die einen zweisprachigen Bildungsgang in Verbindung mit dem International Baccalaureate anbietet, wobei die Fächer Geographie, Biologie und Mathematik auf Englisch unterrichtet werden. Zu den berühmten Schülern gehören Max Frisch und Elias Canetti.
Weitere Informationen finden sich auf der Homepage www.rgzh.ch