Die Zeitschrift PhotoKlassik erscheint seit dem Dezember 2012 vier Mal im Jahr. Sie richtet sich an die Liebhaber der analogen Fotografie, ohne aber dogmatisch die Digitalfotografie abzulehnen. Das wäre auch dumm. Denn die analoge Fotografie profitiert von der digitalen ganz ungeheuer, indem ihr Wert vor diesem Hintergrund klar hervortritt.
Findige Köpfe
In den vergangenen Jahren erwacht ein neues Interesse am Umgang mit Filmen, Chemikalien und Fotopapieren. Nachdem viele, auch namhafte Unternehmen vom Markt verschwunden waren, werden manche wiederbelebt und neue gegründet. Findige Köpfe haben neue Ideen für die Fotochemie und kreieren neue Filme und Papiere. Die Materialien sollen praktischer und haltbarer werden und zudem den Sehgewohnheiten Rechnung tragen, die durch die digitalen Erzeugnisse beeinflusst sind.
PhotoKlassik bietet diesen Themen breiten Raum. So kann man sehen, wie unterschiedlich die Bildvarianten sind, die in der Kombination verschiedener Filme und Entwickler entstehen. Und selbst wer sich nicht allzu tiefschürfend mit solchen Varianten beschäftigt, erkennt, dass Schwarzweissbilder, die mit analogen Materialien erzeugt worden sind, sich in der Feinheit und dem Ausdruck der Grauabstufungen von den digitalen Erzeugnissen deutlich unterscheiden.
Die Faszination
Und in jedem Heft werden Klassiker der analogen Kameras vorgestellt. Bei den älteren Lesern werden Erinnerungen wach. Und Jüngere stossen auf Apparate, die sie noch nie gesehen haben, die aber aufgrund ihres Charakters auch sie faszinieren können. Faszinieren können, nicht müssen: Faszination entsteht oder sie entsteht nicht. Sie lässt sich nicht herbeiargumentieren. Aber man kann versuchen, besser zu verstehen, warum ein an sich technisch überholter Apparat faszinieren kann.
Gemessen an der Perfektion digitaler Kameras wirken die analogen Vorläufer weniger vollkommen. Geht man in den professionellen Bereich der digitalen Spiegelreflexkameras, so stellen sie selbst die leistungsfähigsten analogen Kameras in den Schatten. Das gilt nicht nur für die Bildauflösung, sondern auch für die extreme Lichtempfindlichkeit. Dazu kommen die immensen Vorteile der Speicherung grosser Bildmengen und ihrer sofortigen Verfügbarkeit. Digitale Bildbearbeitungsprogramme steigern diese Vorteile zusätzlich.
Digitales Nirwana?
Werden die Bilder damit aber so viel besser? Alessandro della Valle, Cheffotograf der Bildagentur Keystone, sieht eine deutliche Qualitätssteigerung in der alltäglichen Pressefotografie. Das gilt in technischer Hinsicht. Die Bilder sind schlicht und einfach schärfer, der Tonwertumfang in Schattenpartien ist grösser, und aufgrund der Serienbildschaltung erwischen auch mittelmässige Fotografen den richtigen Moment beim Händeschütteln oder dem Torschuss.
Aber die Bilder werden auch eintöniger. Der hohe technische Standard sorgt dafür, dass man nicht mehr allzu viel falsch machen kann. Damit geht aber etwas verloren, was der Fotografie erst ihren Reiz verleiht: die Subjektivität. Natürlich lässt sich auch heute noch mit einer technisch perfekten Kamera subjektiv fotografieren. Aber gerade die frühere Unvollkommenheit der analogen Kameras zwangen die Fotografen, ihre begrenzten Mittel optimal einzusetzen. Sie mussten Entscheidungen treffen, die man nicht braucht, wenn einem alles zur Verfügung steht.
Kreative Beschränkung
Es ist auch ein grosser Unterschied, ob man das Bild vor der Aufnahme eins zu eins auf einem Display sieht und unmittelbar nach der Aufnahme kontrollieren kann, oder ob man durch einen Sucher schaut, der einem – wie bei einer Leica M6 - lediglich den Bildausschnitt mit dem Feld für die Scharfeinstellung anzeigt und man das Bild nach der Aufnahme eben nicht unmittelbar betrachten kann. Denn es muss erst entwickelt werden. In diesem Fall muss der Fotograf sehr viel mehr denken und sich vorstellen.
Dazu kommt, dass ambitionierte Fotografen unmittelbar nach einer Aufnahme oder einer Bildserie darüber nachdenken, was sie anders oder besser hätten machen können. So entsteht ein innerer Druck, der zu einer gesteigerten Kreativität führen kann. Der wichtigste Sensor ist eben der Kopf.
Das ist ein Grund dafür, dass auch junge Fotografen wieder vermehrt zur analogen Technik greifen. Ihre Herausforderungen haben einen ganz speziellen Reiz. Man braucht mehr Zeit, und Filme sind begrenzte Bildspeicher. Die analoge Technik bietet aber nicht nur Herausforderungen. Sie hat auch immense Vorteile. Denn die meisten analogen Kameras sind weitaus kompakter als digitale Vollformat-Spiegelreflexkameras. Für den Vorteil des digitalen Aufnahmeprozesses muss man also ein recht klobiges Gerät in Kauf nehmen.
Das Deaster von Leica
Das gilt auch für die digitale Leica, die der legendären Leica M6 entsprechen soll. Stellt man beide Gehäuse nebeneinander, sieht man, dass die Leica M im Gegensatz zur analogen Vorgängerin sehr viel dicker geworden ist. Aus einer Jugendliebe ist eine Matrone geworden. Und technisch hat Leica die Sensortechnik erst nach sehr holprigen Anfängen nur mühsam in den Griff bekommen. Gegen Ende des Jahres 2014 geschah zudem ein Supergau: Leica musste etwas zugeben, was in der Netzgemeinde schon länger kolportiert wurde, dass nämlich bei der Leica M9, M9-P, M Monochrom oder M-E an den Deckgläsern der Sensoren Korrosionsschäden entstanden sind, die das komplette Auswechseln des Sensors erforderlich machen. Leica hat jetzt bekannt gegeben, dass dies kostenlos erfolgen soll.
Aber auch unabhängig von diesem mehr als peinlichen Supergau gibt es sehr gute Gründe dafür, dass heute noch viel mit der Leica M6 und der Leica M7 fotografiert wird. Als die Leica vor 100 Jahren auf den Markt kam, wurde sie aufgrund ihrer unschlagbaren Vorteile sehr schnell zum bevorzugten Werkzeug professioneller Fotografen. Denn die Leica war klein, präzise, schnell und leise. Sie war die erste Kamera, für die man den 35-mm-Film verwendete, mit dem Spielfilme gedreht wurden. Ihre Handlichkeit bei Top-Qualität der Aufnahmen ist bis heute ein unschlagbarer Vorteil.
Am Anfang der Leica stand also eine geniale Idee, die jetzt digital gar nicht mehr eingeholt werden kann. Entsprechend hat das Marketing von Leica mit grossem Erfolg einen neuen Weg eingeschlagen: Die Leica wurde zu einem Lifestyle Produkt für Leute, für die der hohe Preis noch einen zusätzlichen Reiz ausmacht. - Zum Anfang des Jahres 2015 erhöht Leica die Preise für die M. - Die Marketingleute wissen, warum.
Massenmarkt und Massengeschmack
Der Stellenwert der analogen Fotografie erschöpft sich nicht in Nostalgie. Es kommen einige Elemente zusammen. Eines davon ist die Zeit. Im neuesten Heft von PhotoKlassik steht der schöne Satz des Autors Martin Lorenz: „Die Arbeit in der Dunkelkammer ist für mich wie Meditation. Sie holt mich aus der schnelllebigen Zeit in die Konzentration, Ruhe und Stille.“
Überhaupt sollte man nicht nur die Frage nach der Technik stellen, sondern auch beachten, was die Technik mit einem macht. Was passt zu mir, was nicht? Die technisch hochgerüsteten digitalen Kameras sind auf den internationalen Massenmarkt, also auch den Massengeschmack abgestimmt. Zumindest die anspruchsvolleren Kameras der analogen Zeit waren jeweils auf ein spezielles Zielpublikum ausgerichtet.
Einfluss auf die Aufnahmesituation
Und man kann auch einmal fragen, wie die Aufnahmesituation durch die Kamera beeinflusst wird. So hat der Fotograf Robert Frank immer grossen Wert darauf gelegt, völlig unbemerkt fotografieren zu können. Allein schon deshalb hätte er eine voluminöse Vollformat-Kamera kaum in Betracht gezogen. Dazu kommt sein subjektiver Blick: Er wollte ja gerade das Verwischte, Skizzenhafte, um mit seinen Bildern den Ausdruck zu erreichen, der ihm für seine Bilder aus Amerika und später anderen Themen angemessen erschien.
Ganz anders wieder Sebastião Salgado. Jahrzehntelang hat er mit der Leica und später mit Mittelformatkameras gearbeitet. Weil die Filme seiner Meinung nach aber bei den Flughafenkontrollen in Mitleidenschaft gezogen werden, ist er auf die digitale Fotografie umgestiegen. Seine Art zu fotografieren ist völlig anders als die von Robert Frank. Seine Landschaftsfotos sind monumental und technisch in jeder Weise perfekt. Und wenn er Menschen fotografiert, kommuniziert er mit ihnen. In dem Film von Wim Wenders, „Das Salz der Erde“, ist zu sehen, wie Salgado die Bilder auf dem Display den Fotografierten zeigt. So baut er Beziehung und Vertrauen auf.
Der Stil von Barbara Klemm wiederum erfordert die leise, kompakte Kamera. Bis heute fotografiert sie ausschliesslich schwarzweiss. Der Tonwertumfang des Kodak Tri-X-Films und der Barytpapiere schafft einen eigenen Reiz, der selbst durch die besten Drucke in ihren Bildbänden nicht ganz eingeholt wird. Nur nebenbei: Sebastião Salgado lässt seine digitalen Fotos aufwendig auf analoge Filme kopieren, um die spezielle Anmutung des Analogen zurückzugewinnen.
Individueller Stil
Wer heute fotografiert und nicht nur einfach mit dem Handy knipst, steht vor einer Vielzahl von Optionen. Diese Optionen sind viel komplexer als der Eindruck, der bis heute von den Anbietern vermittelt wird: Je mehr Pixel, desto besser, je mehr Video, desto toller, und dazu noch GPS und W-Lan. Die Wahl der Kamera oder genauer: des Aufnahmeverfahrens ist zu einer Entscheidung geworden, die über technische Bewertungen weit hinausgeht. Es geht um den individuellen Stil und um die Frage, welchen Einfluss die Kamera auf die Aufnahmesituation hat.
Diese Fragen sind nicht abstrakt. So kann man in PhotoKlassik immer wieder nachlesen, welche Beziehungen Fotografen zu ihren Kameras haben und wie die unterschiedlichen Verfahren der Entwicklung und Vergrösserung von Bildern etwas sehr Persönliches sind. Die grösste Gefahr der digitalen Fotoindustrie besteht in der Überschätzung der technischen Möglichkeiten und der Unterschätzung der subjektiven Faktoren in der Fotografie.