Das Wahlresultat soll am 5. Juni bekannt gegeben werden. Der ehemalige General hat nur einen Gegenkandidaten, Hamdeen Sabbahi, einen Veteranen der ägyptischen Linken "nasseristischer" Färbung. Sabbahi hat sich persönlich stark engagiert und eine fleissige Wahlkampagne geführt. Er hat alle Ecken und Enden Ägyptens besucht und in sehr vielen Städten und Dörfern Reden gehalten.
Angst vor Auftritten
Al-Sisi ist so gut wie nie persönlich aufgetreten. Er sprach mehrmals am Fernsehen. An Wahlversammlungen war sein Bild, meist überlebensgross, überall präsent. Begeisterte Anhänger priesen ihn als den Retter Ägyptens. Er selbst zeigte sich nicht persönlich. Offenbar rieten ihm seine Sicherheitsleute, das Risiko öffentlicher Auftritte nicht auf sich zu nehmen. In geschlossenen Räumen empfing al-Sisi sorgfältig ausgewählte Anhänger, Politiker und Journalisten, die bereit waren, seine Botschaft vom „Retter Ägyptens“ hinaus ins Volk zu tragen.
Dass al-Sisi gewählt wird, gilt als sicher. Alle Mittel des Staates stehen seiner Kandidatur zur Verfügung, darunter - diskret im Hintergrund - auch alle Kräfte der Polizei, der Justiz und der Armee.
Sabbahi weiss, dass das Ringen sehr ungleich angelegt ist. Er spricht dies offen aus, betont jedoch auch, er hätte sich seit seiner Studentenzeit immer mit Wahlen befasst. Die Ägypter müssten immer von Neuem versuchen, demokratische Wahlen durchzuführen, solange, bis echte Wahlen wirklich stattfinden.
41‘000 Personen verhaftet und angeklagt
Dies ist eine indirekte Kritik an das gegenwärtige Wahlprocedere. Offen ausgesprochene, direkte Kritik wäre wohl für Sabbahi, der den Vorteil geniesst, der offiziell anerkannte Gegenkandidat zu sein, zugefährlich.
Kurz vor den Wahlen erschien im Internet eine ausführliche Statistik über die Repressionsmassnahmen seit dem Sturz von Präsident Mursi, das heisst ab dem 3. Juli 2013. Diese einzige Übersicht befindet sich auf der Webseite Wikithawra (Thawra heisst Revolution).
Danach sind in der Periode vom 3. Juli 2013 bis zum 15. Mai dieses Jahres 41‘163 Personen verhaftet und angeklagt worden: 89 Prozent von ihnen wegen "Teilnahme an politischen Ereignissen", lies Demonstrationen und Ähnliches. Nur 4 Prozent wurden wegen Terrorakten festgenommen. 53 Personen seien in "Haft gestorben". 2‘964 stünden vor Militärgerichten.
Pläne für 100 Milliarden
Was wird al-Sisi tun, nachdem er gewählt ist? Er hat kein detailliertes Wahlprogramm vorgelegt. Nur in einem seiner Fernsehauftritte hat er gewaltige Pläne für Ägypten umrissen. Sie sollen 100 Milliarden kosten. Das Nilland soll neue Provinzen erhalten, sowohl in der westlichen wie in der östlichen Wüste. Wasser müsse aus unterirdischen Schichten gewonnen werden. Eine Verbesserung des gesamten Bewässerungswesens sei geplant. Mit Sonnenenergie sollen riesige Mengen Megawatt gewonnen werden.
Die Armee werde bei alledem eine wichtige Rolle spielen, schon weil die Gebiete, deren Entwicklung geplant sei, unter ihrer Kontrolle stünden. (In Ägypten ist die Armee zuständig für Schutz und Kontrolle der weiten Wüstengebiete des Landes. Sie selbst pflegt sich in der Praxis als die Besitzerin dieser Wüstenzonen anzusehen.)
„Das Problem ist immer das Geld“
Die 100 Milliarden könnten, so al-Sisi, von den 8 Prozent der im Ausland lebenden Ägyptern aufgebracht werden (allerdings sind viele dieser 8 Prozent mittellose Wanderarbeiter). Auch ausländische Geldgeber und Investoren aus den Golfländern würden beisteuern. Der Präsidentschaftskandidat erklärte, die sozialen Forderungen müssten warten, bis die Wirtschaft wieder auflebe.
Al-Sisi sagte auch, Ägypten sei bedroht. Er, al-Sisi, könne sich nicht den Luxus erlauben, eine Reform durchzuführen und dann die Entwicklungsarbeit zu beginnen. Er müsse eine Strategie paralleler Entwicklungsachsen befolgen. "Ich kann nicht mit einem Dossier arbeiten und den Rest warten lassen, bis die Reform verwirklicht sein wird. Ich kann nicht sagen, dass ich von der Entwicklung reden will und die Gesundheit oder die Erziehung vergesse. Wir müssen auf allen Gebieten gleichzeitig arbeiten. Das ist hart, ja, es braucht eine Anstrengung, zweifellos! Aber das Problem ist immer das Geld".
„Die Muslimbrüder wird es nicht mehr geben“
Von der Sicherheitslage im Lande sprach al-Sisi nicht. Er sagte nur, wenn er Präsident werde, werde es die Muslimbrüder "nicht mehr geben". Natürlich weiss er, dass die Polizei und die Armee die Lage noch nicht voll beherrschen. Immer noch finden weit über das Niltal verstreut und besonders in den ländlichen Zentren am Freitag nach dem Mittagsgebet Demonstrationen für die Muslimbrüder statt. Sie enden meist mit Verhaftungen und einigen Toten. Doch bereits ist ein Teil der islamistischen Opposition zu Bombenanschlägen übergegangen. Der Sinai wurde zum Zentrum eines gewaltsamen Aufruhrs, der gelegentlich bis an den Suezkanal hin ausstrahlt. Einzelne Anschläge gegen militärische und zivile Würdenträger kommen auch im Niltal vor.
Al-Sisi und den Armee- sowie Polizeichefs ist klar, dass auf Entwicklungsgelder im grossen Stil erst gehofft werden kann, nachdem diese Widerstände gebrochen sind.
Unvermeidlicher Subventionsabbau
Al-Sisi weiss auch, dass die Finanzen Ägyptens ins Gleichgewicht gebracht werden müssen, bevor Investoren im grossen Stile zu finden sind. Vorbedingung dazu wird ein Abbau der riesigen Subventionen für Weizen und für alle Energieträger sein, die der Staat heute leistet. Doch ein grosser Teil der Ägypter, wohl nahezu die Hälfte der 88 Millionen, lebt mit knapp unter oder knapp über zwei Dollar im Tag. Für sie ist billiges Brot und verbilligte Energie nachgerade Vorbedingung zum Überleben.
Dies werden die ersten Probleme sein, die auf den neuen Präsidenten zukommen. Er wird versuchen müssen, sie mit Peitsche und Brot zu lösen. Doch das Brot wird nicht ausreichend sein.