Der Vater von Danny Lyon war ein recht erfolgreicher Augenarzt. Sein Hobby bestand darin, alle Familienereignisse auf Fotos und Filmen festzuhalten und akribisch zu ordnen. Auf diese Weise lernte Danny Lyon, der im Jahr 1942 in Brooklyn, New York City, zur Welt kam, die Fotografie als ein Mittel der Dokumentation kennen.
„Schönheit und Magie“
Aber es liegt für Danny Lyon in diesem Medium der Dokumentation auch eine Magie. Als er sich entschloss, sich ganz auf die Fotografie zu konzentrieren, schrieb er 1964 in einem Brief an seine Eltern, dass es ihm darum gehe, „Schönheit und Magie“ in der Welt zu entdecken. Besonders sein Vater dürfte für diese Formulierung empfänglich gewesen sein, denn zu seinen Patienten gehörte einer der damals bedeutendsten Fotografen Amerikas, Alfred Stieglitz.
Danny Lyon wiederum wurde auch stark durch die Bilder von Robert Frank beeinflusst, mit dem er später befreundet war. Insofern lag es nahe, dass sein erstes grosses Thema explizit mit den Schattenseiten Amerikas zusammenhing. Er schloss sich dem „Student Nonviolent Coordinating Committee“ (SNCC) an, das gegen die Diskriminierung der Schwarzen kämpfte, sich dabei aber explizit dem Prinzip der Gewaltfreiheit verschrieben hatte.
1962, im Alter von 20 Jahren, reiste er per Anhalter nach Illinois, um seine erste Demonstration fotografisch festzuhalten. Es entstanden Bilder, die heute noch schockieren. Die Arroganz insbesondere weisser Polizisten, ihr Hass und ihre Verachtung würde man nicht glauben, wenn man sie nicht auf den Bildern von Danny Lyon sähe. Damit gab er der Bewegung gegen den Rassismus ein wichtiges Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit in die Hand und nebenbei machte er sich einen Namen als Fotograf und Publizist.
Freiheit der Cowboys
Aber schon damals zeigte sich, dass Danny Lyon sich sofort neuen Dingen zuwendet, wenn er meint, ein Thema ausgeschöpft zu haben. Sein Freiheitsdrang hat etwas Anarchisches. Er fühlte sich – und man muss sagen: er fühlt sich bis heute – den Randexistenzen der Gesellschaft besonders nahe. Nachdem er sich mit dem Thema der Überwindung der Rassentrennung beschäftigt hatte, erlag er der Faszination der „Chicago Outlaws“. Das war in den sechziger Jahren die weltweit grösste und älteste Motorradgang. Ihr schloss er sich kurzerhand an und ging mit ihnen auf Tour. Er sah in ihnen das „wahrscheinlich einzige in Amerika, das mit Cowboys noch eine Ähnlichkeit hat“. Dabei entstanden Bilder, die bis heute unübertroffen sind. Er liebte den „American Dream“, wie man auch an manchen seiner Fotos von Autos sehen kann.
Seine Bilder trafen einen Nerv. 1966 kam es zu einer ersten Einzelausstellung im „Art Institute of Chicago“. Viele Besucher fühlten sich an den schon damals legendären Film, „The Wild One“, von 1953 mit Marlon Brando in der Rolle des Anführers des „Black Rebels Motorcycle Club“ erinnert.
Lower Manhattan
Danny Lyon fotografierte nicht nur. Er fertigte zugleich Tonaufnahmen an. Diese Aufnahmen transkribierte er und fügte sie in die Bildbände mit seinen Motorradfotos ein. Aber auch hier kam der Tag, an dem Danny Lyon sein Thema ausgeschöpft hatte. Aus familiären und anderen persönlichen Gründen zog es ihn wieder nach New York. Er mietete sich ein kleines Loft in Lower Manhattan.
Dort wurde er nun Zeuge des völligen Umbaus dieses Stadtviertels. Er erlebte den Abriss alter Häuser und empfand ihn als einen brutalen Akt der Zerstörung. Mit einer Mittelformatkamera fing er an, die alten Bauten sorgfältig und formal perfekt zu dokumentieren und deren Abriss festzuhalten. Diese Bilder wurden 1966 in dem Band „The Destruction of Lower Manhattan“ publiziert.
Kaum waren die Bildbände über die Motorradfahrer und die Zerstörung von Lower Manhattan abgeschlossen, zog es Danny Lyon zum nächsten Abenteuer. Zusammen mit seiner Freundin Rachel Homer fuhr er nach Texas. Sie durchstreiften das Land, aber die Fotos, die dabei entstanden, stellten Danny Lyon nicht zufrieden. Eines Tages nahmen sie an einem Gefängnis-Rodeo in Huntsville teil. Lyon machte Fotos, und dabei schlugen ihm einige Häftlinge vor, doch einmal ihre Gefängnisse zu besuchen und zu fotografieren.
Gefängnisse
Bei der Vorbereitung hatte Danny Lyon das grosse Glück, auf zwei leitende Beamte zu stossen, die gebildet, aufgeschlossen und hilfsbereit waren. So konnte er in einem Zeitraum von 14 Monaten in sieben der insgesamt 13 Gefängnissen der texanischen Strafvollzugsbehörde fotografieren. Nebenbei führte er ein ausführliches Tagebuch.
Diese Notizen sind neben seinen Bildern höchst aufschlussreich. Denn sie zeigen, wie stark sich Danny Lyon mit den Inhaftierten identifiziert hat und dabei zwischen zwei Gefühlen hin- und hergerissen war: Auf der einen Seite empfand er diese Orte und die Schicksale als pure Hölle, auf der anderen Seite hegte er für einzelne Häftlinge grösste Bewunderung, empfand tiefste Freundschaft und sah im Gefängnis auch den Ort grösster Freiheit. Beides steht bei ihm unverbunden nebeneinander.
Über einen der Häftlinge kam Danny Lyon mit einer besonders skurrilen Figur in Kontakt, dem Tätowierer Bill Sanders in Houston. Dieser Mann faszinierte Lyon derartig, dass er über ihn einen kleinen Film drehte, der 1969 unter dem Titel „Cinema vérité“ erschien.
Reisen nach Haiti und China
In den folgenden Jahren liess er sich im Tal des Rio Grande nördlich von Albuquerque nieder. Nachdem seine erste Ehe 1976 gescheitert war, fand er seinen „Rettungsanker“ in Nancy Weiss. Sie heirateten, und 1979 wurde ihr erster Sohn geboren. In jenen Jahren entstanden viele Bilder an der Grenze zu Mexiko und in Mexiko selbst. Zwischen 1986 und 1989 reiste Danny Lyon mehrfach nach Haiti. Zwischen 2005 und 2009 besuchte Lyon sechsmal die chinesische Provinz Shanxi. Auch hier entstand ein gewichtiges Buch: „Deep Sea Diver: An American Photographers´s Journey in Shanxi, China“ (2011)
Im Laufe der Jahrzehnte haben sich der Stil und die fotografische Ausrichtung von Danny Lyon verändert. Um 1980 herum lernte Lyon in San Francisco den Kunsthändler Simon Lowinsky kennen. Der brachte ihn auf die Idee, seine bisherigen Arbeiten in verschiedenen Mappen neu zusammenzustellen und zu verkaufen.
In den achtziger Jahren fing Danny Lyon damit an, Fotos in neuartigen Montagen zu kombinieren. Überhaupt muss man sagen, dass Lyon immer sehr frei mit verschiedenen Medien umgegangen ist. Während er fotografierte, machte er Tonaufnahmen oder er filmte. Bilder wurden mit Texten kombiniert.
Und ein Rebell ist er bis heute geblieben. Im Fotomuseum werden auch neuere Bilder von der Occupy- Bewegung gezeigt. Beim Presserundgang schlug Danny Lyon ironisch vor, mit seinen letzten Bildern anzufangen und dann zu den frühen Werken zu gehen, denn die Qualität seiner Bilder habe sich im Laufe der Jahre stetig verschlechtert. Der freundliche ältere Herr rebelliert inzwischen sogar gegen sein eigenes Werk.
Danny Lyon – Message to the Future, Fotomuseum Winterthur, Grüzenstrasse 44+45, bis 27. August 2017. Zu der Ausstellung ist ein reich bebilderter Katalog erschienen.