Der Totgesagte schickte ein Telegtramm: „Unkilled, uninjured“. „Untot und unverletzt“ wurde seine Markenzeichen. Kein britischer Fernsehjournalist versammelte so viele Zuschauer vor dem Fernsehapparat wie er. Bis heute ist er der britische Quoten-König.
Über vierzig Jahre lang berichtet er aus allen Ecken der Welt. Zu seinen Einsatzorten begab er sich mit dem Flugzeug, dem Luxuskreuzer oder dem Orient-Express. Hunderttausend Meilen legte er pro Jahr zurück. Er war der meistgereiste Reporter seiner Zeit.
Der König von Tonga
Er berichte aus dem Sultan-Palast in Brunei, von der Chinesischen Mauer. Er stand in der Wüste und im Dschungel – und fast immer mit Krawatte oder Fliege. Auch in der grössten Hitze zog er seinen Blazer nicht aus. „Man weiss ja nie“, sagte er, „ob ich nicht plötzlich dem König von Tonga über den Weg laufe“.
Am vergangenen Donnerstag ist Alan Whicker mit 91 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in Jersey gestorben.
„Whicker’s World“ hiess seine Sendung auf der BBC. Lange vor dem Massentourismus brachte er in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Welt in die britischen Stuben. Er hat die Reiselust der Briten angestachelt.
Britischer ging es nicht. Er war stets tadellos gekämmt; sein Schnäuzchen war militärisch getrimmt. Er trug eine dicke Brille und war ein begnadeter Story-Teller. Es war noch nicht die Zeit, als die Reporter in die Mikrofone schrien, weil sie nichts zu sagen haben.
Der erfolgreichste Reporter des britischen Fernsehens
Whickers grosse Zeit begann mit dem Aufkommen des Farbfernsehens. Jetzt sahen die Briten, wie blau die Ozeane sind, wie bunt die Vögel in Feuerland und wie goldfarben die Wüste in Timbuktu. Whicker zeigte den Briten die Blumen in Japan und in der Karibik, die Papageien im Amazonsa und die Früchte aus Swaziland.
Er war nicht der kritische Polit-Reporter. Er berichtete nicht über drohende Kriege und Revolutionen. Eigentlich war er ein Reise-Korrespondent, ein Baedecker des neuen Mediums Fernsehen. Sein Interesse galt exotischen Leuten und exotischen Ländern. Fast alle Länder dieser Welt hat er besucht. Mit 80 Jahren beklagte er, dass er nie in Kaschmir war.
15 Millionen Briten schauten sich seine Sendungen an. Dies zu einer Zeit, als noch keineswegs in jedem Haushalt ein Fernsehapparat stand. Er war – quotenmässig – der erfolgreichste Reporter des britischen Fernsehens. Jeder Brite über 45 kennt Alan Whicker.
Doch nicht nur im Vereinigten Königreich fand er seine Zuschauerinnen und Zuschauer. Auf dem europäischen Kontinent fand er mehr und mehr Anhänger. Viele lernten Englisch mit ihm. Für junge Fernsehjournalisten wurde er schnell zum Idol.
Tausende hat er interviewt
Whicker wurde 1921 in Kairo geboren. Schon mit 14 begann er Artikel zu schreiben. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er im italienischen Anzio im britischen Armee-Filmdienst. Bei Kriegsende filmt er in Norditalien Benito Mussolini und seine Geliebte Clara Petacci wie sie an den Füssen aufgehängt vor einer Tankstelle hingen.
Dann zog er als Reporter in den Korea-Krieg. Dort traf er Christopher Buckley, den Korrespondenten des „Daily Telegraph“. Mit ihm fuhr er auf eine Mine. Buckley starb. Wicker blieb „unkilled“.
1957 begann Wicker für die BBC zu arbeiten. 31 Jahre produzierte er die Sendung „Whicker’s World“. Tausende hat er interviewt: John Paul Getty, Baronin Thyssen, einen Hexenmeister, „Papa Doc“ Duvalier auf Haiti, Präsident Marcos auf den Philippinen.
Nur einen wollte er nicht mehr vor der Kamera: Howard Hughes, der amerikanische Milliardär, Flugzeugfanatiker mit Vorliebe für Frauen mit grossen Brüsten. „Ich wollte ihn immer interviewen“, sagte Whicker, „doch als es endlich zu klappen schien, verzichtete ich“. Es war die Zeit, als Hughes nicht mehr ganz zurechnungsfähig war. In einem Hotel in Nicaragua schlurfte er statt mit Schuhen mit Kleenex-Schachteln an den Füssen durch die Gänge – um Schuhe nicht abzunützen. „Da verzichteten wir“, sagte Whicker, „wir hätten ihn nur lächerlich gemacht“.
Vorliebe für Bentleys
Heute wären Wickers Sendungen nicht mehr denkbar. Heute wirken seine langen Reportagen wie aus der Zeit gefallen, manchmal fast naiv. In einer Zeit, in der wir mit Informationen und Bildern überschwemmt werden, wären für die lieblichen Wicker-Storys kein Platz mehr. Man würde kritisieren: „Kein Tiefgang, keine Analyse, zu wenig kritisch.“ Wegen seiner näselnden Stimme und seiner eigenartigen Intonation war er auch immer wieder parodiert worden.
Whicker ist einer der wenigen Fernseh-Journalisten, die Millionäre wurden. Er war berühmt, er konnte fordern – und er achtete sehr aufs Geld. Seine Vorliebe für Bentleys ist legendär. Er war ein Reporter, der nicht in die Ferien ging. Sein Beruf waren seine Ferien. Verheiratet war er nie, doch seit 44 Jahren lebte er zusammen mit Valery Kleeman – sofern er nicht auf Reisen war.
Vor vier Jahren produzierte die BBC eine Art Nachruf auf sein legendäres Journalisten-Leben. „Wicker’s Journey of a Lifetime“, hiess die Sendung. So ging der 87-Jährige noch einmal zurück an seine alten Aufnahmeorte und sprach mit Interviewpartnern von dazumal. Noch immer bewies er, dass er einen Sinn für Exotik und farbige Geschichten hatte. Und noch immer war er charmant, cool und very British. Sein Schnauz war weiss geworden.