Ein Richter in Lima erhebt Anklage gegen den heute 83-jährigen früheren peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori. Menschenrechtsorganisationen werfen ihm «Euthanasie» vor.
1307 Klägerinnen und Kläger sind aufgetreten, vor allem Frauen, auch einige wenige Männer. Sie werfen Fujimori vor, dass er sie in den Neunzigerjahren gegen ihren Willen sterilisieren liess. 180 Seiten dick ist die Anklageschrift. Jetzt, nach neunmonatiger Untersuchung, hat Richter Rafael Martinez der Eröffnung eines Strafprozesses gegen Fujimori zugestimmt.
Bei den Opfern handelt es sich vor allem um verarmte Indio-Frauen, die im peruanischen Amazonasgebiet leben. Sie gehören der Quechua-Ethnie an und können meist weder lesen noch schreiben.
Sie wussten nicht, was ihnen geschah
Genau untersucht wurden nur 2’074 Fälle. Man geht davon aus, dass zwischen 240’000 bis 300’000 Frauen und gut 20’000 Männer sterilisiert wurden. Viele wurden entweder mit Geschenken zur Sterilisierung geködert oder unter Androhung von Gewalt dazu gezwungen. Die meisten wussten nicht, was ihnen geschah.
Von den über 300’000 Sterilisierten sind laut Menschenrechtsorganisationen mindestens 180’000 zwangssterilisiert worden. Viele Frauen wurden vor dem Eingriff noch vergewaltigt. In Dörfern im Amazonasgebiet wurden «Festivals» veranstaltet, an denen zur Sterilisierung aufgerufen wurde. Die Frauen mussten Dokumente unterschreiben, die sie nicht lesen konnten und auf denen stand, dass sie mit dem Eingriff einverstanden waren.
Operiert wurde unter freiem Himmel
Das medizinische Personal wurde unter Druck gesetzt, um die von der Regierung geforderten Sterilisierungsquoten zu erreichen. Wer sich weigerte, sich sterilisieren zu lassen, wurde mit Gefängnis oder mit dem Entzug der Nahrungsmittelhilfe gedroht.
Die Operationen wurden oft unter schrecklichen sanitären Bedingungen im Freien durchgeführt. Einige der Frauen starben dabei.
«Geburtenkontrolle»
Keiko Fujimori, die Tochter von Alberto Fujimori und Unterlegene bei den Präsidentenwahlen im vergangenen Sommer, versuchte das Sterilisierungskonzept ihres Vaters als «Familienplanung» zu beschönigen: Ziel sei eine «Geburtenkontrolle» gewesen, sagte sie, «um die Armut zu bekämpfen und der Wirtschaft Auftrieb zu geben».
Alberto Fujimori war 1990 bis 2000 Präsident von Peru. Er verbüsst zur Zeit eine 25-jährige Strafe wegen schwerer Menschenrechtsvergehen, Mord und Korruption. Immer wieder gab es Vorwürfe, dass er in den Drogenhandel verwickelt ist. Er regierte fast diktatorisch, hatte das Parlament entmachtet und liess die Sicherheitskräfte mit brutaler Härte gegen sogenannt subversive linke Kräfte vorgehen. Zurzeit befindet er sich wegen angeblicher Herzprobleme im Spital.
Seine Tochter Keiko hatte bisher dreimal versucht, Präsidentin zu werden. Am vergangenen 6. Juni verpasste sie ihr Ziel nur knapp. In der Stichwahl gegen den unerfahrenen Linken Pedro Castillo kam sie auf 49,87 Prozent der Stimmen. Die 46-Jährige gilt als hartgesottene Populistin und – wie ihr Vater – als Vertreterin der korrupten lateinamerikanischen Rechten. Das Thema Zwangssterilisierung wischte sie stets süffisant vom Tisch. Ihre Anwälte waren es auch, die einen Prozess gegen ihren Vater immer wieder verzögerten.
Bereits vor 19 Jahren war erstmals Anklage gegen Alberto Fujimori und einige seiner engsten Mitarbeiter erhoben worden.
Je weniger Arme es gibt, desto weniger staatliche Hilfsgelder müssen fliessen.
Menschenrechtsorganisationen bezeichnen das Sterilisierungskonzept als «Programm zur Ausrottung der verarmten Bevölkerung». So sollten Staatsgelder für Hilfs- und Entwicklungsprogramme eingespart werden. Je weniger Arme es gibt, desto weniger staatliche Hilfsgelder müssen fliessen. Einige Kritiker sprechen von «Euthanasie».
«Jetzt endlich besteht Hoffnung, dass die Verantwortlichen von dazumal zur Rechenschaft gezogen werden», erklärt Maria Esther Mogollon, die die Klagen der Frauen koordiniert. Sie ist Präsidentin der Ampaef, der «Asociación nacional del Mujeres Afectadas por las Esterilizaciones Forzadas, en el gobierno de Alberto Fujimori».
Richter im Solde des Fujimori-Clans
Die Bemühungen, den Verantwortlichen den Prozess zu machen, waren während 15 Jahren von niedriggestellten Richtern, die im Solde des Fujimori-Clans stehen, immer wieder verschleppt worden.
Auch jetzt haben die Frauen noch nicht gewonnen. Die Anwälte der Verteidigung versuchen alles, um den bevorstehenden Prozess zu torpedieren. Vor allem versuchen sie, Einfluss auf die Zusammensetzung des Gerichts zu nehmen. Peruanische Gerichte sind noch oft von Vertretern der alten, manchmal korrupten Garde besetzt.
Deshalb verlangen die Klägerinnen jetzt vor allem unabhängige Richter, solche, die in Menschenrechtsfragen bewandert sind. Gelingt eine Zusammensetzung mit unvoreingenommenen Juristen nicht, besteht die Gefahr, dass das Thema endgültig ad acta gelegt wird. Die Klägerinnen wissen: «Es ist unsere letzte Chance.»