Pedro Castillo ist im April mit 50,12 Prozent der Stimmen zum peruanischen Präsidenten gewählt worden. Viele Wählerinnen und Wähler, die für ihn stimmten, stimmten nicht für ihn – sondern gegen die korrupte, in Skandale verwickelte und mehrmals verurteilte Tochter des ehemaligen, ebenso korrupten und verurteilten Präsidenten Alberto Fujimori. Keiko Fujimori ist die Vertreterin des hässlichen, ausbeuterischen Lateinamerika-Kapitalismus. Dass Pedro Castillo gewählt wurde, ist umso bemerkenswerter, als er im Wahlkampf von den Fujimori-Leuten als Vertreter des maroden kubanischen und venezolanischen Regimes angeschwärzt wurde.
Castillos Partei, Perù libre, bezeichnete sich als marxistisch-leninistisch. Doch vor den Wahlen war das Parteiprogramm von jedem linksradikalen Klimbim gesäubert worden. Viele in der Partei haben nichts, aber auch gar nichts mit dem Marxismus-Leninismus zu tun. Auch Pedro Castillo gab sich sehr gemässigt, umgab sich mit vernünftigen Beratern und beruhigte all jene, die fürchten, das Land könnte in kubanische oder venezolanische Verhältnisse abrutschen.
Steinzeit-Linke
Die Erleichterung, dass Peru vom mafiösen Clan der Fujimoris verschont blieb, war bei vielen gross. Auch gemässigte Wirtschaftskreise und Ökonomen begrüssten Castillos Wahl. Am 28. Juli trat er sein Amt an. Und jetzt? Die Enttäuschung ist riesig.
Pedro Castillo macht die Fehler, die fast alle früheren lateinamerikanischen Steinzeitlinken gemacht haben. Er besetzte die Posten mit ideologischen Hardlinern aus seiner Partei. Er ernannte Minister ohne Erfahrung und mit teils krimineller Vergangenheit.
Homophob, frauenfeindlich
Bald wurde klar, dass Castillo, ein Dorfschullehrer ohne grosse politische Erfahrung, an die Wand gespielt wird. Der starke Mann in der Regierung ist Guido Bellido, ein hartgesottener Ideologe. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen „Verteidigung des Terrorismus“. Er hatte sich für den maoistischen „Leuchtenden Pfad“ stark gemacht, dessen Aktivisten Tausende indigene Dorfbewohner im Amazonas-Gebiet und in den Anden abgeschlachtet haben.
Bellido erregte auch Aufsehen, weil er sich in den sozialen Netzwerken klar homophob und frauenfeindlich geäussert hatte. Zu seinem Hass auf Schwule stand er auch in einem Interview mit der spanischen Zeitung El Paìs.
Ein vernünftiger Wirtschaftsminister
Die Ernennung Bellidos stiess auf Opposition. Der designierte Wirtschaftsminister Pedro Francke, ein vernünftiger, weitherum geschätzter Ökonom, wandte sich – zusammen mit dem designierten Justizminister Aníbal Torres – gegen Bellidos Ernennung. Präsident Castillo hatte alle Mühe, Francke und Torre zu überzeugen, doch ihre Ministerämter zu übernehmen.
Francke, der nach eigenen Worten den venezolanischen Weg „radikal ablehnt“, hatte dem Präsidenten ein realistisches Wirtschaftsprogramm ausgearbeitet, doch Castillo übernahm es nur halbherzig.
Schattenpräsident
Aber nicht nur Bellido zieht die Fäden. Auch der Neurochirurg Vladimir Cerrón Rojas, der Parteigründer von Perù Libre, mischt sich in die Regierungsarbeit ein. Er gilt für viele als Schattenpräsident. Da er wegen Korruption und anderen Vergehen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, durfte er nicht für das Amt das Staatspräsidenten kandidieren und schickte Pedro Castillo vor.
Auch andere Minister haben keine weisse Weste. Der Verteidigungsminister wird des Menschenhandels beschuldigt. Der Verkehrsminister leitete ein marodes Busunternehmen und ist verantwortlich, dass einige seiner mit Passagieren überfüllten, fahruntauglichen Fahrzeuge in die Andenschluchten stürzten.
Geisel der Hardliner?
Die neue Regierungstruppe macht einen wenig vertrauenswürdigen Eindruck. Die Linke hat sehr unvorbereitet und unklug die Macht übernommen. Der Sol, die peruanische Währung, hat bereits massiv an Wert verloren. Die Gefahr besteht, dass das Land bald ins Chaos schlittert.
Einen gemässigten, rationalen Linkskurs hätten viele befürwortet. Vor allem die Armen hofften, endlich von der Regierung nicht vergessen zu werden. Sie, die vorwiegend in der Sierra und der Selva leben, haben massenhaft für Castillo gestimmt. Ist der Präsident zur Geisel der ideologisierten Hardliner seiner Partei geworden?
Verschwörung der USA?
Natürlich schürt die teils sehr rechtsstehende Opposition das Chaos bei der Regierungsbildung. Und natürlich – im Gegenzug – spricht Castillo von einem Komplott der unterlegenen Keiko Fujimori und ihren Konsorten.
Einige in der Perù-Libre-Partei tischen schon Verschwörungserzählungen auf. Die Turbulenzen, die Peru zurzeit erlebe, seien von den USA und sogar vom CIA angeheizt. Solche Anschuldigungen stossen bei der süd- und mittelamerikanischen Linken immer auf offene Ohren – nicht von ungefähr, denn im letzten Jahrhundert waren die amerikanischen Interventionen in Lateinamerika nicht immer nur edel (Stichwort: Guatemala, Chile u. a.).
Neuwahlen?
Noch ist nicht alles verloren. Die letzten Tage brachten Anzeichen, dass sich auch Ministerpräsident Bellido – auf Druck der Wirtschaft – zu einem gemässigten Kurs durchringen könnte.
Die neue Regierung muss nun noch vom Parlament, dem peruanischen Kongress, abgesegnet werden. Ob sie das wird, ist noch längst nicht sicher. Bereits gibt es Bestrebungen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einzuleiten. Wenn Castillo zweimal die Vertrauensabstimmung verliert, können Neuwahlen ausgeschrieben werden. Keiko Fujimori würde dann sicher zum vierten Mal versuchen, Präsidentin zu werden. Ihre Chancen stünden dann besser denn je.