Das kürzlich präsentierte Plakat der SVP für die nationalen Wahlen hat selbst in der Partei für Zoff gesorgt. Offensichtlich aus Sorge, die wahlentscheidenden Themen würden an ihr vorbeirauschen, setzt die SVP-Leitung auf maximale Aggressivität. Diese trifft nicht nur politische Gegner und den Erzfeind EU, sondern auch die durch eine kantonale Listenverbindung mit der SVP verbandelte FDP. Das Plakat zeigt die Genannten allesamt als schädliches und daher auszurottendes Gewürm.
Attacken und Provokationen, auch solche der heftigen Sorte, können selbstverständlich zu Wahl- und Abstimmungskämpfen gehören. In den dreissiger Jahren fochten Linke und Rechte öfters mit krassen Sujets; auch in der Schweiz. Nachdem sich die Politlandschaft in der Nachkriegszeit generell eher beruhigt hatte, setzte in den 1990er Jahren nach der nationalkonservativen Wende der SVP jedoch eine «Amerikanisierung» der Politik ein. Der Begriff meint eine verschärfte Gangart, charakterisiert durch vier Trends: Personalisierung, Professionalisierung, Negatives Campaigning, Emotionalisierung.
Die ersten beiden Merkmale – Personalisierung und Professionalisierung – sind längst bei allen grossen Parteien angekommen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des Fernsehens und der Sozialen Medien. Anders steht es beim als «Negative Campaigning» aus den USA bekannten Heruntermachen von Gegenspielern wie auch bei der gezielten Emotionalisierung von Themen. In diesen Disziplinen liegt die SVP nach wie vor einsam an der Spitze. Mit dem jüngsten Beispiel bestätigt die Partei ihre Vorreiterrolle in der «Amerikanisierung» des politischen Kampfstils.
Mit dem Gewürm-Poster setzt sie in dieser Hinsicht zweifellos eine neue Marke: Alle ausser der SVP wollen, so der Plakattext, «die Schweiz zerstören». Die Blocher-Partei setzt damit voll auf Spaltung. Alle gegen uns, und deshalb wir gegen alle – so die Devise. Der propagandistische Coup hat die SVP, die derzeit nicht mit öffentlicher Aufmerksamkeit verwöhnt wird, sogleich zum Thema gemacht. Aktion gelungen.
Gleichzeitig rechnet die SVP ganz offensichtlich auch damit, die Position des rücksichtslosen Regelverletzers, mit der sie sich zum politischen Paria macht, werde sich für sie auszahlen. Die Überlegung geht so: Die von der Parteileitung durchaus gewollte Reaktion der Nicht-SVP-Fans soll intern Druck erzeugen. Je heftiger der Aufschrei im Land angesichts des erneuten Tabubruchs, desto besser für die SVP – so zumindest das Kalkül. Denn auf diese Weise würden die Anhänger der SVP die Bestätigung bekommen, dass wirklich alle gegen sie sind. Was dazu führen soll, dass sie die Reihen schliessen.
Der Mechanismus ist bekannt. Gruppierungen, die zivilisatorische Standards missachten, können in paradoxer Weise vom Abscheu profitieren, den sie auslösen. Ihre Mitglieder und Sympathisanten bekommen so das Weltbild bestätigt, wonach sie ganz allein gegen alle anderen stehen. Die selbst verursachte Stigmatisierung wird für sie zum Ehrenzeichen. Diesen Mechanismus des Paria-Bonus machen sich viele rechtspopulistische und rechtsnationale Exponenten zunutze – von Salvini, Orbán, Gauland, Le Pen, Farage bis zu Trump und Johnson.
Der Widerspruch, der jetzt in der Partei laut wird, zeigt allerdings, dass nicht alle in der SVP sich in die Phalanx dieser neuen internationalen Rechten einreihen wollen. Einigen partei-internen Opponenten dämmert wohl auch, dass ein fortwährendes Drehen an der Provokationsschraube den Wahlerfolg nicht dauerhaft garantiert. Zudem könnte es sein, dass nicht die gesamte SVP-Gefolgschaft auf kompromisslose «Amerikanisierung» setzen will. – Wir werden ja sehen.