Auf der letzten Insel des real existierenden Surrealismus hat Oggún der Gottheit Ochún seine Reverenz erwiesen. Für Nicht-Kubaner: Heute beendet Papst Benedikt XVI. seinen dreitägigen Besuch auf der letzten Insel des Sozialismus und hat auch die kubanische Schutzpatronin aufgesucht, die Barmherzige Jungfrau von Cobre.
Alles Glaubenssache
Ob nun 60 Prozent aller Kubaner Katholiken sind, wie die Kirche glaubt, oder ob es nur weniger als 3 Prozent praktizierende Gläubige gibt, wer weiss das schon. Sicher ist, dass fast alle Kubaner an Santería glauben. Diese Naturreligion wurde von den nach Kuba verschleppten Sklaven als Identitätssicherung auf die Insel gebracht.
Während der mehr als 400 Jahre andauernden spanischen Kolonialherrschaft wurde sie von der katholischen Kirche nach Kräften unterdrückt - und überlebte im Synkretismus. Die katholischen Heiligen wurden einfach als verkleidete Verkörperungen des gigantischen Götterhimmels der Santería identifiziert und verehrt. Also ist Paulus, Petrus und jeder Papst in Wirklichkeit Oggún, der Gott der Eisen, Berge und Wälder. Und die Barmherzige Jungfrau natürlich Ochún, die Göttin der Flüsse und der Liebe.
Harte Zeiten für die Kirche
Kuba ist zweifellos das unkatholischste Land Lateinamerikas. Die Kirche hat kaum Einfluss auf das soziale Leben. Abtreibung ist legal, gratis und eine übliche Methode zur Empfängnisverhütung. Die meisten Paare leben ohne kirchlichen Segen zusammen, und wenn ein katholischer Priester auf Kuba während einer Messe voreheliche Enthaltsamkeit fordern würde, dann fragten sich die meisten Anwesenden, ob die in ihm manifestierte Santería-Gottheit mal kurzfristig verrückt geworden sei. Also hat Benedikt XVI. ein steiniges Feld zu beackern. Allerdings ist heute das Verhältnis zwischen dem Castro-Regime und der katholischen Kirche entschieden entspannter als auch schon.
Nach dem Triumph der Revolution im Jahre 1959 wurde Kuba offiziell ein atheistischer Staat, Kirchen und Klöster wurden geschlossen, christlicher Glaube und die Mitgliedschaft in der bis heute einzigen legalen politischen Kraft, der Kommunistischen Partei, waren unvereinbar. Aber nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und einem gewissen Verlust des Glaubens an den Triumph des Sozialismus entspannte sich das Verhältnis.
Wendige Revolutionäre
Als 1998 Johannes Paul II. Kuba besuchte, erinnerte sich Fidel Castro plötzlich an seine Erziehung in einem Jesuitenkloster, und die einzige Tageszeitung «Granma», die bis heute die Tradition von «Prawda» und «Neues Deutschland» weiterführt, forderte die Parteigenossen auf, dem Papst einen herzlichen Empfang zu bereiten. Altgedienten Kommunisten drehte es den Magen um. Aber indem sich Fidel fromm in die erste Reihe setzte, als der Pontifex die erste Messe auf dem Platz der Revolution seit 1959 zelebrierte, nahm der geniale Machtstratege allen Spekulationen, dass eine Teilnahme Ausdruck von Opposition gegen das Regime sei, die Existenzgrundlage.
Auch beim Besuch von Benedikt XVI. wurde gefordert, dass er doch mit der Autorität der Kirche kubanischen Dissidenten unter die Arme greifen solle, ihnen zumindest Freiräume schaffen könne. Das ist aber, mangels nennenswerter Opposition und nennenswertem Einfluss der katholischen Kirche, ein frommer Wunsch. Nachdem im Vorfeld des Papstbesuchs mehr als 3000 Strafgefangene amnestiert wurden, unter ihnen auch einige politische Gefangene, kommen selbst Amnesty International oder die stramm anticastristischen Exilkubaner in Miami beim besten Willen nicht auf mehr als drei Dutzend eingekerkerte Oppositionelle. Und als vorletzte Woche ein Grüppchen von Dissidenten kurzfristig eine Kirche besetzte, verurteilte das sogar der Erzbischof von Havanna, Jaime Ortega, und die Kirche forderte von der Staatsmacht die umgehende Räumung.
Diplomatisches Geschick
Sicher hat es den Castro-Brüdern nicht gefallen, als Benedikt XVI. im Flieger nach Mexiko verkündete, dass auf Kuba der Kommunismus nicht funktioniere und die «marxistische Ideologie nicht mehr der Realität» entspräche. Diplomatisch liessen sie ihren Aussenminister antworten, dass man neue Ideen gerne zur Kenntnis nehme und diskutiere.
Da Raúl Castro in den letzten Monaten geradezu revolutionäre Veränderungen in der kubanischen Wirtschaft vornahm, der Handel mit Häusern und Wohnungen nach 50 Jahren wieder erlaubt ist, an jeder Strassenecke ein Privatgeschäft aus dem Boden spriesst, empfindet solche Äusserungen auch niemand als gefährlich konterrevolutionär. Und schliesslich ist man sich mit dem Papst ja einig, dass das absurde US-Handelsembargo gegen die Insel ein Unding ist, das noch weniger funktioniert als der Kommunismus. So wird auch heute Morgen die zweite Papstmesse auf dem Platz der Revolution in Havanna ein konfliktfreies Massenspektakel werden.
Glaube, Liebe, Hoffnung
Schliesslich ist sich die kubanische Führung und die Bevölkerung mit dem Papst einig, dass man auf bessere Zeiten hoffen sollte. Am besten noch im Diesseits. Da beschäftigt den Kubaner die Suche nach «papa» (Kartoffel, Essen) entschieden mehr als der Besuch des «papa» (Papst). Dabei wird jede Hilfe gerne genommen. Falls die Kubaner allerdings Fragen zur Auslegung von Papstworten haben, wenden sie sich dafür weder an die Kommunistische Partei noch an die Kirche. Sondern an den zuständigen Babalao, den Santería-Priester, der mit Muschelwerfen, Riten, Amuletten und Opfergaben den unerforschlichen Ratschluss der Götter verkünden wird. Ob die nun Barmherzige Jungfrau, also Ochún, Papst, also Oggún oder Fidel (keine zuständige Gottheit, sich selbst genug) heisst.