Trotzdem gehen die Fallzahlen nicht stark zurück, sind schlechter als die schweizerischen, das Gesundheitssystem ist permanent am Anschlag und die Todeszahlen sind hoch. Griechinnen und Griechen mussten sogar auf Ostern im Dorf verzichten. Nun soll aber alles anders werden und das Land sich gegenüber dem Tourismus öffnen. Ob es gelingt, die touristische Saison 2021 zu retten, ist fraglich.
Ostern ist der wichtigste Feiertag im griechischen Jahreskalender. Ich habe hier darüber berichtet, was Ostern für die Griechinnen und Griechen bedeutet. Im letzten Jahr war Griechenland in einem harten Lockdown. Die Kirchen waren geschlossen und übertrugen die Osterliturgien per Livestream und jegliches Reisen war streng verboten. Die Hoffnung war bis zuletzt, dass sich dieses Szenario nicht wiederholen würde. Und doch: Griechenland befindet sich seit anfangs November im Lockdown. Wer das Haus verlässt, braucht eine Bewilligung, die per SMS beantragt wir. Und diese Bewilligung wird nur für ganz bestimmte Tätigkeiten wie Arbeit oder körperliche Ertüchtigung gewährt. Und Fahrten ausserhalb der Gemeindegrenzen sind noch stärker eingeschränkt – also zum Beispiel Fahrten aufs Land oder auf Inseln. Nun hat Griechenland eine unselige Tradition, Gesetze zu erlassen, diese aber nicht oder nur selektiv durchzusetzen. Ich vermutete deshalb sehr schnell, dass das Land die Kontrolle über die Pandemie verloren hat (siehe hier).
Die Regierung hat den Lockdown in der Folge immer wieder verlängert, den Bürgern Angst eingejagt und einige wenige Übertretungen vor laufenden Fernsehkameras überhart geahndet, aber die Massnahmen ansonsten nur selektiv durchgesetzt. Das orthodoxe Osterfest fand heuer am 2. Mai statt. Die Regierung drohte, es würde nicht einmal einer Fliege gelingen, Athen zu verlassen. An allen Ausfallstrassen würden strenge Polizeikontrollen stattfinden. Ich weiss aber zum Beispiel aus zuverlässiger Quelle, dass am Samstagabend vor dem Palmsonntag die Route von Athen Richtung Norden völlig frei war … Der Kirchenbesuch war an Ostern grundsätzlich erlaubt, aber nur mit Schutzmassnahmen, die ebenfalls in unterschiedlichem Mass durchgesetzt wurden.
Die Regierung droht den Bürgerinnen und Bürgern ständig mit Konsequenzen, wenn sie sich nicht an die Massnahmen halten, gesteht aber ihr Scheitern nicht ein. Da die privaten Fernsehstationen durch staatliche Gelder rekapitalisiert wurden, berichten alle audiovisuellen Medien regierungstreu. Jeden Tag jagen sie den Menschen Angst und Schrecken ein, ohne aber zu differenzieren, welches Verhalten wirklich gefährlich ist und was man gefahrlos tun kann. Kritik wird unterdrückt; eine Diskussion findet kaum statt.
Selbst jeglicher Aufenthalt im Freien ist streng geregelt und beschränkt. Auch zum Beispiel ein Besuch auf dem Friedhof ist verboten, wenn sich dieser nicht in derselben Gemeinde befindet. Also ob dort die Ansteckungsgefahr gross wäre!
Autoritäre Tendenzen
Im Februar wurde in einem Park im Athener Stadtteil Nea Smyrni ein wehrloser Mann von der Polizei rücksichtslos zusammengeknüppelt – ohne jedes Gespür für Verhältnismässigkeit. Einige Spaziergänger genossen die Frühlingssonne, wurden dafür gebüsst und der Mann intervenierte verbal. Andere Fussgänger filmten die Szene und so wurde sie bekannt. Die griechische Polizei ist nicht für Deeskalation bekannt: Gefragt, ob «Knüppel aus dem Sack» hier die richtige Devise war, antwortete der diensthabende Offizier, dass das nicht hätte passieren dürfen, weil gefilmt wurde. Polizeigewalt ist also völlig in Ordnung, aber bitte diskret! Anstatt Ärzte und Krankenpflegerinnen neu einzustellen, engagierte die Regierung Polizisten und rekapitalisierte die Fernsehstationen – welche Prioritätensetzung! Die regierende Nea Dimokratia zeigt nicht zum ersten Mal ein hässlich-autoritäres Gesicht. Fatal werde ich an die Zeit unter Ministerpräsident Kostas Karamanlis erinnert, dessen Regierung das Land in den Nullerjahren finanziell ruinierte.
Im Ton vergriffen
Da man sich draussen praktisch nicht treffen darf, lösen sich die Menschen eine Bewilligung für einen bestimmten Zweck und machen dann illegal Besuche bei Bekannten – und zwar in geschlossenen Räumen, dort, wo die Polizei nicht hinschaut. Die Regierung verwundert sich dann, dass die Fallzahlen nicht richtig sinken. Dass sich Regierungsvertreter mehrmals im Ton vergriffen und die Menschen respektlos behandeln, zeigt, dass die Nervosität steigt.
Der Plan ist, dass Mitte Mai die Beschränkungen grösstenteils aufgehoben werden und Griechenland sich gegenüber dem Tourismus öffnet. Warum man das nicht zwei Wochen früher machen könnte, damit Familientreffen über Ostern möglich würden? Griechinnen und Griechen würden nur aus egoistischen Gründen reisen, während die Touristen Geld brächten, war die respektlose Antwort einer Regierungsvertreterin.
In Griechenland gibt es eine bekannte Fernsehsendung: «Στην Υγειά μας ρε Παιδιά» oder «Zum Wohl». Der Moderator lädt dort Künstlerinnen und Künstler ein, Dutzende von Leuten, es wird gegessen und getrunken und griechische Musik gespielt. Das geht natürlich ohne Maske und nur mit einem Schnelltest. Das gleiche ist im Familienkreis auch mit viel weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmern streng verboten. Auch Ministerpräsident Mitsotakis wurde gefilmt, wie er auf einer Insel mit mehr als einem Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmern feierte, was verboten ist. Der Politiker fand nichts dabei.
Die Griechinnen und Griechen reagieren auf zwei unterschiedliche Arten, die beide durch die Regierungspolitik verursacht wurden und nichts zur Lösung beitragen. Die einen sind völlig eingeschüchtert und verängstigt und wagen sich kaum aus dem Haus, die anderen versuchen, der Regierung ein Schnippchen zu schlagen oder protestieren auf der Strasse gegen die extremen Einschränkungen der Grundrechte, die es in dieser Form und zeitlichen Dauer nicht einmal während der Obristendiktatur (1967–74) gegeben hat.
Ioannidis’ Kritik
Die Regierung des Neudemokraten Kyriakos Mitsotakis hört denn auch nur auf die eigenen Epidemiologen. Psychologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte werden komplett ausgeblendet und offensichtlich kaum in die Entscheidfindung einbezogen. Aus den USA geigte Stanford-Professor John Ioannidis der Regierung seine Meinung (hier und hier in griechischer Sprache). Er sagte, dass der griechische Lockdown der härteste und längste sei, aber trotzdem als gescheitert bezeichnet werden muss, weil diese Massnahmen weder konsequent durchgesetzt noch lange durchgehalten werden können. Er sprach sich für gezielte Massnahmen und Kontaktbeschränkungen aus. Impfungen empfahl er insbesondere Risikogruppen, betonte aber, dass es bisher kein volles Bild über mögliche Nebenwirkungen gibt. Er kritisiert auch, dass grosse Bevölkerungsteile in den grossen, dicht bevölkerten Städten eingeschlossen werden, anstatt dass man ihnen erlaubt, in die weniger bevölkerten Landesteile zu fahren und sich so zu verteilen. Die Regierungspolitik sei gesellschaftlich und psychologisch falsch und führe zu Umgehung der Massnahmen – genau das, was ich beobachte.
Ist die Pandemie einmal vorbei, wird es auch darum gehen, die wirtschaftlichen Schäden abzuschätzen und einzugrenzen. Das ist bisher kaum möglich. Klar ist nur, dass Griechenland dank des umsichtigen Haushaltens der Vorgängerregierung von Alexis Tsipras nicht akut von einem erneuten Zahlungsverzug und Staatsbankrott bedroht ist. Die Staatsschulden dürften aber stark ansteigen und nachhaltig ist dieser Zustand sowieso nicht.
Es ist also nicht verwunderlich, dass sich in der zweiten Pandemiewelle laut Meinungsumfragen die negative Bewertung des Pandemiemanagements verstärkt hat. Vor allem in den sozialen Netzwerken und auf der Strasse. Griechenland hat nur eine Strategie: Impfen. Und die Regierung droht unterschwellig allen, die sich die Spritze nicht subito setzen lassen mit einem diskriminierenden Sonderrecht. Das aber trägt zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Die Regierung Mitsotakis öffnet auch andere Konfliktfelder. Seit dem Ende der Diktatur gibt es im Land – ein weltweites Unikum – das Universitätsasyl. Die Polizei darf Universitäten nur mit der Erlaubnis des Rektorats betreten. Da diese Besonderheit von Autonomen regelmässig missbraucht wird, ist eine Abschaffung an sich keine schlechte Idee. Der Zeitpunkt ist aber falsch gewählt, denn das Thema ist hoch umstritten, symbolisch befrachtet und eine solche Änderung treibt einen weiteren Keil in die Gesellschaft. Die Abschaffung des Universitätsasyls wurde wohl während des Lockdowns im Eilzugstempo beschlossen, weil die Unis seit mehr als einem Jahr geschlossen sind und eine Öffnung in diesem akademischen Jahr nicht mehr vorgesehen ist. Da die Studis zu Hause eingesperrt sind, Demonstrationen faktisch verboten wurden, aber trotzdem stattfinden, lag es nahe, das ungeliebte Universitätsasyl – eine heilige Kuh der Linken und ein Störfaktor der Rechten – jetzt zu beseitigen.
Der Tourismus ante portas?
Nebst den einschränkenden Massnahmen im Inland gilt Stand heute für den Reisenden: Bei Flugreisen sind mitzuführen: Ein negativer PCR-Test pro Person in englischer Sprache mit Personalien und Passnummer und ein sogenanntes Passenger Locator Form (PLF) pro Familie. Die Quarantänepflicht, die seit dem Dezember bestand, ist für Schengenstaaten und einige wenige andere Länder aufgehoben. Bei der Rückreise in die Schweiz per Flugzeug muss ebenfalls ein Formular ausgefüllt werden. Ausserdem ist eine siebentägige Quarantäne Pflicht, was sich aber jederzeit ändern kann.
Über die Einreisebedingungen gibt die Webseite der IATA Auskunft. Ausserdem die Webseite der griechischen Regierung (auch in Englisch), auf der das PLF ausgefüllt wird. Diese ist im Moment aktuell, nachdem sie viele Monate veraltet war. Auch die Reisehinweise des deutschen Auswärtigen Amtes sind wertvoll.
Für die Rückreise gibt die Webseite des BAG transparent Auskunft (auch für den Landweg). Die Schweiz akzeptiert bei der Rückreise übrigens auch Tests in der Sprache Homers …
Am Tag nach Ostern, am 3. Mai, wurden die Aussenbereiche der Restaurants geöffnet und Mitte Mai sollen die Reisebeschränkungen im Inland fallen – eine Conditio sine qua non für den Tourismus. Allerdings ist es schwer vorstellbar, dass sich Touristen nach Griechenland verirren, wenn die Reiseinformationen nicht klar sind, für eine längere Dauer gelten und wenn bei der Rückreise Quarantäne droht. Ausserdem gehen PCR-Tests ins Geld und sind für ein Familienbudget kaum zu stemmen.
Der griechische Ministerpräsident will der EU seit längerem einen Impfpass als Rettung für die Touristensaison verkaufen. Die Idee war, dass Geimpfte privilegiert behandelt werden und von allen anderen Massnahmen dispensiert werden. Allerdings ist bei der ersten Behandlung in den EU-Gremien nicht genau das herausgekommen, was Mitsotakis wollte: es soll ein COVID-Zertifikat werden – ein Zertifikat für Geimpfte, Negativgetestete und Genese. Die Tests müssen gemäss dem Vorschlag gratis sein und das Zertifikat verleiht dem Inhaber nach Überschreiten der Grenze völlige Reisefreiheit. Quarantänemassnahmen wären nicht mehr erlaubt. Ungeimpfte und Genesene dürfen also – wenn sich dieser Vorschlag durchsetzt – nicht diskriminiert werden. Nicht ausgeschlossen ist aber, dass einzelne Länder ein solches COVID-Zertifikat auch im Inland zum Beispiel beim Besuch von Veranstaltungen verlangen werden. Die Schweiz will etwas Ähnliches anbieten, das von der EU anerkannt werden soll. Ob sie sich auch an die Vorgaben der EU halten muss, ist unklar.
Somit ist nach wie vor vieles in der Schwebe in Bezug auf die Reisesaison. Insbesondere steht Griechenland immer noch auf der Risikoliste des BAG und von anderen einschlägigen Ländern. Das bedeutet Quarantäne bei der Rückkehr. Und wenn sich diese nicht durch bessere Coronazahlen oder eine Vereinbarung über ein COVID-Zertifikat davon überzeugen lassen, Griechenland von dieser Liste zu entfernen, dann wird das nichts mit der Touristensaison!
Nachtrag: Soeben (nach Publikation meines jüngsten Beitrags) erreicht mich die Meldung, dass das BAG gültig ab morgen, 6. Mail 2021 Griechenland von der Risikoliste gestrichen hat. Rückreisende von Griechenland in die Schweiz, müssen sich also bis auf weiteres nicht mehr (wie im Beitrag erwähnt) in Quarantäne begeben.
Ich wollte nicht unterlassen, diese für Griechenlandfreunde erfreuliche Nachricht weiterzugeben.