1996 sagte Bruce Nauman in einem Interview:
Mein Werk kommt aus der Enttäuschung über die „conditio humana“. Es frustriert mich, dass Menschen sich weigern, andere Menschen zu verstehen, und dass sie so grausam zu einander sein können. Nicht dass ich denke, ich könne daran etwas ändern. Aber das ist wirklich ein frustrierender Aspekt der Menschheitsgeschichte.
Fragen über Fragen
Womit beschäftigt sich denn Bruce Nauman in seiner Kunst? Natürlich, wie jeder Künstler und jede Künstlerin, vorerst mit kunstimmanenten Fragen und Problemstellungen. Zum Beispiel: Was ist ein Bild, was eine Skulptur? Was ist Raum? Wie schaffe ich Beziehungen innerhalb eines Raumes und darüber hinaus? Was ist die Rolle welchen Materials? Was jene der Zeit? Farbe oder Nicht-Farbe? Welches ist die ideale Darstellungsform für dies oder jene inhaltliche Aussage? Die Liste liesse sich ins Unendliche fortsetzen. Doch womit beschäftigt sich Bruce Nauman, der für viele – so auch für Maja Oeri, Schaulager-Stifterin und Präsidentin der Emanuel Hoffmann Stiftung an der Eröffnung der grossen Nauman-Retrospektive im Schaulager – einer der bedeutendsten Vertreter der gegenwärtigen Weltkunst ist, in seiner Kunst über diese „Interna“ hinaus?
„Welt-Ekel-Gefühle“
Wer sich durch die zwei Geschosse des Schaulagers bewegt und hier und dort vor den rund 170 Werken Naumans von den frühen Sechzigern bis heute verweilt, sieht sich vor allem mit Düsternis konfrontiert, mit Gewalt, Leiden, Schmerz, Angst, Einsamkeit – und was der „Welt-Ekel-Gefühle“ mehr sind. Das bescherte Nauman oft Negativ-Kritiken von Ausstellungsbesuchern, die sich ob der Härte von Naumans Aussagen schockiert zeigten. Doch Nauman sagt selber, was seinem Werk zugrunde liegt: Es komme „aus der Enttäuschung über die conditio humana“. Diese all die Jahrzehnte hin konstante Grundstimmung seines Werkes ist, ob man sie teilt oder nicht, zu akzeptieren als ehrlicher Ausdruck seines Welt- und Menschen-Verständnisses. Und seine Kunst lässt sich lesen als „modus vivendi“, als Überlebensstrategie eines sensiblen Zeitgenossen, der keinen anderen Ausweg sieht.
Dort das von Negativ-Erfahrungen und Frustrationen genährte Weltbild, hier, in den Werken selbst, die dieser Erfahrung entsprechende künstlerische Sprache: So einfach liegen die Dinge jedoch nicht. Sie greifen, wie stets, in einander und prägen sich gegenseitig. Naumans Frustrationen angesichts der menschlichen Miseren in unserer Welt bestimmt seine Wahl der Ausdrucksmittel (Zeichnung, Foto, Video, Skulptur, Performance, Installation) und umgekehrt bestimmen die Ausdrucksmittel die Thematik seiner Kunst.
Körper und Raum
Es ist einer der vielen und einer der eindrücklichsten Stränge, die sich durch das ganze Werk Naumans ziehen: Der Umgang des Künstlers mit seinem eigenen Körper im Raum – und als Weiterführung des Motivs auch der Umgang mit dem Körper der Betrachterinnen und Betrachter seiner Werke. Bereits 1968 spannte Nauman sich in absonderlich schwierigen Posen zwischen Wande und Boden und hielt das mit Video fest, als wolle er die Belastbarkeit seines Körpers erproben und damit physische und auch psychische Zwänge, denen er sich ausgesetzt fühlte, deutlich machen. Dabei blieb es nicht. Bald bot er Besuchern Gelegenheit, ihren eigenen Körper auf ähnliche Weise zu erfahren: 1970 schuf mehrere nun auch in Basel zu erlebende enge Korridorsituationen nebeneinander. Sie sind mit Video-Kameras und Monitoren ausgerüstet. Die Besucher, die sich hineinzwängen, erfahren hautnah die bedrohliche Enge und erhaschen auf dem Überwachungsmonitor einen Blick auf ihren eigenen Körper, der sich ihrem Blick gerade entzieht.
Körper als Material
1979 sagte Bruce Nauman ebenfalls in einem Interview:
Wenn man so gut mit Lehm umgehen und damit Kunst schaffen kann, kann man mit sich selbst genauso gut künstlerisch umgehen. Das hat etwas damit zu tun, dass man seinen Körper als Werkzeug benutzt, als ein Objekt, mit dem man umgehen kann.
Um Körpererfahrung und Körperdarstellung geht es auch in „Contrapposto Studies“. 1968 filmte der der Künstler sich, wie er sich mit schwingender Hüfte durch einen engen Korridor bewegte. Das mochte als karikierende Reverenz gegenüber dem in der klassischen Skulptur als Inbegriff von Schönheit und Eleganz gefeierten Stilmittel des Kontraposts gemeint sein. Er trug Jeans und ein weisses T-Shirt und hatte die Hände in den Nacken gelegt.
2016 kam der inzwischen 75jährige Naumann in einer aufs Riesenhafte angewachsenen und nicht nur konzeptionell, sondern auch technisch höchst komplexen und mehrere Räume umfassenden Video-Installation auf die frühe Arbeit zurück. Das Bild des nun leicht unbeholfen tänzelnden gealterten Künstlers, in Kleidung und Gestik genau wie beinahe 50 Jahre zuvor, erfuhr mehrfache Multiplikationen, farbliche Umkehrungen und Zerlegungen. Erstmals in Europa ist diese auch durch ihren Rhythmus faszinierende Installation in Basel zu sehen. Erstmals begegnet man auch der 3D-Projektion einer ähnlichen Atelier-Situation, in die Publikum buchstäblich hineingezogen wird: Eine absurde, an Beckett gemahnende und scheinbar sinnlose Szenerie, in der Nauman uns zu Zeugen seines Alterns werden lässt.
Ironischer Blick auf sich als Künstler
Naheliegend ist auch, dass Bruce Nauman, wenn er in seinem Schaffen die Rolle des Künstlers thematisiert, seine eigene Person und seinen Körper ins Spiel bringt. Ein seiner bekanntesten Arbeiten ist die Fotografie „Self-Portrait as a Fountain“ (1966). Ein Jahr späte entstand die Zeichnung „Myself as a Marble Fountain“. Das Foto zeigt ihn als schönen jungen Mann, der einen gezielten Wasserstrahl ausspeit. Die Zeichnung zeigt ihn posierend als Brunnenfigur, aus deren Mund sich der Wasserstrom in das Brunnenbecken ergiesst. Im Schaulager ist auch der gleichzeitig entstand die Zeichnung „The True Artist is an Amazing Luminous Fountain“ und der Neon-Arbeit „The True Artist Helps the World by Revealing Mystic Truths“ zu begegnen. In der Video-Installation „ART MAKE-UP“ (1967/68) bestreicht er Gesicht und Oberkörper mit erst weissem, dann rötlichem, grünem und schliesslich schwarzem Make-up und macht sich so zum (theatralischen) Kunstwerk seiner selbst.
Bei allem Ernst der Selbstdarstellungen: Hier blickt Nauman wohl doch mit Schalk auf sich selbst und die während Jahrhunderten gepflegte romantische Heroisierung des Künstlers als Quelle des Schöpferischen.
Sexualität, Leben, Tod
Die Nauman-Retrospektive macht den aufmerksamen Besuchern zahlreiche Leitlinien durch das Lebenswerk Naumans bewusst und legt in ambivalente Gegenüberstellungen verblüffende Verbindungen frei. Zentral ist dabei die Leben-Tod-Thematik. Offensichtlich wird das, wenn er einen Geiger während einer Stunde die auf DAED gestimmten Saiten anstreichen lässt und das mit einem düsteren Video grau in grau festhält (1967/68).
Das Thema Leben/Tod verfolgte er weiter: In den 1980er Jahren zeichnete Nauman mit farbig leuchtenden Neonröhren menschliche Figuren bei unterschiedlichen Sexualpraktiken oder Orgien. Eigentlich ist Sexualität Metapher für vitalste Lebensäusserungen, doch die Menschen bewegen sich ruckartig und mechanisch wie Maschinen, womit sich eine merkwürdige Ambiguität zwischen hoch emotionalem Thema und der in distanzierter Technik ausgeführter Umsetzung ergibt. Oft lassen ins Bild eingefügte Messer und Pistolen Sexualität in brutale Gewalt kippen. Auf die drastische Verbindung von Sexualität und Tod und damit auch von Leben und Tod verweist Nauman in „Hanged Man“ (Zeichnungs-Verrsion): In wenigen rot und grün leuchtenden und sich bizarr bewegenden Strichen zeigt Nauman einen Gehängen, dessen Penis sich im Augenblick des Genickbruchs aufrichtet.
Prägende Künstlerpersönlichkeit
Die Retrospektive im Schaulager wirft erstmals seit rund 25 Jahren, als eine Nauman-Ausstellung durch mehrere Länder tourte, einen Blick auf das Lebenswerk des Künstlers, der den Gang der Dinge seit den mittleren 1960er Jahren und damit seit einem breiten und entscheidenden Paradigmenwandel in der bildenden Kunst wie kam ein anderer prägte. Er tat das mit seiner unmittelbar ins wesentliche menschlicher Existenz eingreifenden Thematik, mit seiner überbordenden Schaffenskraft, mit seiner Vielseitigkeit im kreativen Umgang mit den Medien, mit seiner von klaren Konzepten geprägten Materialwahl. Kein Wunder, dass sich viele Künstlerinnen und Künstler auch intensiv mit seinem bahnbrechenden Werk auseinandersetzten und noch auseinandersetzen – sei es in bewusst gewählten Zitaten, sei es in Anspielungen.
Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, Münchenstein. Bis 26. August. www.schaulager.org. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem MOMA New York. Kuratiert von Kathy Halbreich und Heidi Naef. Veranstaltungen: www.schaulager.org
Katalog mit 375 Seiten, dazu: Bruce Nauman. A Contemporary, 262 Seiten. Beide Publikationen Deutsch oder Englisch.