Ranan Luries Karikaturen sahen auf dem Höhepunkt seines Schaffens über 100 Millionen Leserinnen und Leser in 100 Ländern – ein Weltrekord. Jetzt ist der Künstler, dessen Zeichnungen in den 1970er-Jahren auch in der Zürcher «Weltwoche» erschienen, im Alter von 90 Jahren in Las Vegas gestorben.
Das Treffen in New York war unerwartet und die Erinnerung daran ist eher vage, aber präsent. Der Schreibende, auf Reisen in Amerika, erkundigte sich im internationalen Zeitungsstand am Times Square nach der «Weltwoche», für die er als junger Journalist arbeitete. Der Inhaber des Kiosks bedauerte, aber ein elegant gekleideter Gentleman, der in der Nähe stand, fragte, wieso der Besucher ausgerechnet jene Zeitung kaufen wolle. Weil er auf der Redaktion in Zürich tätig sei, antwortete der, worauf der soignierte Herr antwortete, er sei das auch.
Der Möchte-gern-Zeitungskäufer, leicht verwirrt, meinte, dann müsste er ihn eigentlich kennen, aber das täte er nicht. Worauf der Gentleman sagte, er sei Ranan Lurie, dessen unverwechselbare Karikaturen damals die «Weltwoche» belebten und aus denen der Jungredaktor dreiseitige Jahresrückblicke zu gestalten hatte. Auf jeden Fall lud Ranan Lurie den Schweizer Touristen für den nächsten Tag zum Nachtessen ein und holte ihn vor dessen schäbigem Hotel mit einem Rolls Royce ab, um ihn nach dem 56 Kilometer entfernten Greenwich (Connecticut) zu chauffieren, wo der Karikaturist eine mit ausgesuchter Kunst geschmückte Villa besass. Die Rückreise nach Manhattan nach einem anregenden Dinner erfolgte per Zug.
Ein Friedensförderer
Konkret vom Treffen geblieben ist Ranan Luries Widmung im Buch «NiXon Rated Cartoons» aus dem Jahre 1973:» To Ige – With My Warm Wishes, Your Friend Lurie». Und dazu die Zeichnung einer kleinen Sonne, die stets eines der Markenzeichen des Karikaturisten gewesen ist – Ausdruck des Optimismus, den er sich ein Leben lang bewahrt hatte, unter anderem als Mitglied der «Cartoonists for Peace», eines Netzwerks, das rund 200 internationale Karikaturisten vereint.
Die «Cartoonists for Peace» setzen sich für die Förderung der Meinungsfreiheit, der Menschenrechte und des gegenseitigen Respekts zwischen Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Kulturen und Glaubensrichtungen durch die Sprache der Karikatur ein. 2002 nominierte der zypriotische Präsident Glafcos Clerides Ranan Lurie für den Friedensnobelpreis, da der Karikaturist mitgeholfen habe, «weltweit politische und andere heisse Konflikte zu entschärfen».
Ein Untergrundkämpfer
Ranan Lurie wurde am 26. Mai 1932 als Kind israelischer Eltern im ägyptischen Port Said geboren, wuchs dann aber in Tel Aviv auf. Sein Talent als Zeichner zeigte sich schon früh. Er sei bereits als Vierjähriger gut im Zeichnen gewesen, hat er einst der «New York Times» verraten: «Es gab mir ein überwältigendes Werkzeug und das Bedürfnis, es zu pflegen und zu entwickeln». Eine Schulzeitung veröffentliche eine seiner Zeichnungen, als er zehn war. Als Vierzehnjähriger, noch als Gymnasiast, trat der er der jüdischen Untergrundorganisation Irgun bei und kämpfte gegen die britischen Mandatsherren.
Von einer Granate am Arm verwundet, begann Ranan Lurie im Spital seine ersten Karikaturen zu zeichnen. Im Laufe der Jahre sollte er insgesamt 12’000 Karikaturen kreieren. Die erste von ihnen erschien 1948 in der israelischen Tageszeitung «Yedioth Ahronoth».
Im Sechstagekrieg 1967 kämpfte Lurie als Major der israelischen Reserve und stoppte als Militärgouverneur der Stadt Anabta im Westjordanland die Deportation von Palästinenserinnen und Palästinensern nach Jordanien. Er habe, zitierte ihn 2017 die Tageszeitung «Haaretz», der Truppe befohlen, «weder einen alten Mann noch eine Frau oder ein Kind anzufassen». Worauf ihn ein Soldat fragte, was zu tun sei, wenn ein Zwölfjähriger ein Gewehr halte. Luries Antwort: «Selbst wenn wir Kannibalen gefangen nähmen, würden wir nicht Menschen zu essen beginnen, nur weil sie das tun.»
Ein scharfer Beobachter
Nach dem Schulabschluss begann Ranan Lurie erst als Reporter und später als Illustrator und politischer Karikaturist für verschiedenen israelische Zeitungen zu arbeiten. Das Ausland wurde auf ihn aufmerksam und so war er ab den späten 1960er-Jahren zunehmend für Publikationen ausserhalb Israels wie «Newsweek», «The Times of London» oder «Asahi Shimbun» tätig. Nachdem ihn das Magazin «Life» verpflichtet hatte, emigrierte er in die USA und wurde 1974 amerikanischer Bürger.
Verschiedene Unternehmen begannen, seine Karikaturen weltweit zu syndizieren und 1985 gründete er sein eigenes Syndikat «Cartoons International», das seine Frau Tamar managte. Die Karikaturen erschienen zeitweise in rund 1’000 Publikationen mit über 100 Millionen Leserinnen und Lesern und in 100 Ländern. «Selbst die ausgeklügeltste Kamera der Welt», sagte er 2017 in einem Interview, «wird nie in der Lage sein, den Menschen genauer zu erfassen als ein Künstler oder Karikaturist, der es versteht, seinen wahren Charakter herauszustellen».
Ein potenzieller Spion
Zwischenzeitlich kursierten auch Gerüchte, Ranan Lurie sei als Spion tätig gewesen, für den israelischen Mossad oder die amerikanische CIA. Der Karikaturist hat das stets dementiert, obwohl er in seiner Funktion Zugang zu wichtigen Machtträgern hatte und während seiner Laufbahn rund 100 führende Politiker, Präsidenten, Premierminister und Diktatoren interviewte.
Auch sein militärischer Hintergrund als Nachrichtenoffizier, Pilot und Fallschirmspringer in Israel hätte ihm dabei helfen können. Indes heisst einer seiner Romane «The Cartoonist’s Double Mask». Unter Umständen autobiografisch gefärbt, erzählt das Buch von einem politischen Karikaturisten, der für Israel und die USA spioniert: «Ich habe mir einen Besuch des Archivs erspart, indem ich meine eigene Biografie anschaute.»
Neben seiner Tätigkeit als Karikaturist war Ranan Lurie auch als bildender Künstler tätig. Sein ganzes Haus in Greenwich zierte Textilkunst, eine Art Kunst am Bau, die sich über Boden, Wände und Decken erstreckte. Am Uno-Hauptsitz in New York war 2005 sein Projekt «United Painting» zu sehen, eine Installation aus vielfarbigen Quadraten und Rechtecken, die 22,5 Meter hoch und 180 Meter lang war. Ziel des Projekts war es, «die Welt unter einem Schirm des guten Willens und gegenseitigen Respekts zu vereinen».
Ein Himmelsstürmer
Teil des Projekts war es 2009 auch, drei 85 cm hohe und 35 cm breite, speziell geschützte Acrylgemälde von nepalesischen Sherpas auf den Gipfel des Mount Everest tragen und dort installieren zu lassen. «Es ist meine hoffnungsvolle Vision, dass Satelliten, wenn sie in 50 Jahren Bilder der Erde machen, einen Ring von Kunstwerken zeigen werden, die vereinen und zueinander gehören.» Zur Kunst hatte Ranan Lurie nach über 60 Jahren als Karikaturist gefunden, «weil Cartoons von Natur her in eine Zeitung gehören, in die aber am Ende des Tages Fisch eingewickelt wird».