Sogar ein Leitungsmitglied der US-Notenbank, die sich sonst kaum je zur helvetischen Währungspolitik äussert, zeigte sich "erstaunt" über die Massnahme. Offensichtlich hält er den Schritt für falsch. Weniger diplomatisch reagierten dagegen die internationalen Finanzmärkte: Der Franken kletterte gegenüber Euro und Dollar bis Samstagmorgen um über 20 Prozent. Gleichzeitig fielen Schweizeraktien im Mittel um 15 Prozent.
Innert 48 Stunden wurden an den Schweizer Aktienbörsen gegen 200 Milliarden Franken Wert vernichtet. Am Freitag kletterten einige angeblich vom Chaos bedrohten Eurobörsen hingegen auf neue Jahreshöchstände. Man kann diese Finanzmarktreaktionen nicht einfach als Werk überdrehter Spekulanten abtun. Nach aller Erfahrung ist das Handeln von Millionen von Marktteilnehmern ein empfindlicher und akkurater Seismograph der Wirtschaft.
Konjunkturdelle?
Experten im In- und Ausland rechnen jetzt mit einer scharfen Konjunkturdelle der Schweizer Wirtschaft. Dies nachdem 2015 vor der SNB-Massnahme recht verheissungsvoll begonnen hat. Ob es zu neuer Arbeitslosigkeit kommen wird, lässt sich derzeit noch kaum sagen. Alles hängt jetzt von der weiteren Frankenentwicklung ab. Doch die Skepsis bleibt gross.
Thomas Straubhaar, schweizer Volkswirtschaftsprofessor an der Uni Hamburg, schrieb in der "Finanz und Wirtschaft", es "grause" ihm vor den möglichen Folgewirkungen der Massnahme der SNB. Diese setzt jetzt offenbar auf das "Prinzip Hoffnung". Wie SNB-Präsident Thomas Jordan in einem NZZ-Interview erklärte, erwarte er, dass sich der Franken nach dem anfänglichen "Überschiessen" wieder auf einen realistischen Kurs einpendelt. Derzeit sei er viel zu hoch. Welches Zielniveau er anstrebte, liess Jordan aber offen. Er schloss auch neue Devisenkäufe nicht aus. Doch die Gefahr, dass die internationale Spekulation der SNB auf den Zahn fühlt, um neue Frankenhöchststände zu testen, bleibt akut.
Die Eurozone wird überleben
Die grosse Frage bleibt, was die SNB zu ihrem Vabanque-Spiel getrieben hat. Jordan selber verweist auf die Unsicherheit im Vorfeld der geplanten riesigen Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) unter dem ehemaligen italienischen Banker Mario Draghi. Diese könnten zu weiterer Euroschwäche führen. Anderseits befindet sich der US-Dollar seit Wochen im Steilflug. Deshalb will die Nationalbank in ihrer Währungspolitik freie Hand haben. Doch was an der aktuellen Währungsentwicklung so dramatisch sein soll, um einen derart riskanten Schritt, wie ihn die Wechselkursfreigabe bedeutet, zu rechtfertigen, bleibt rätselhaft. Die Euorozone wird überleben, selbst im wenig wahrscheinlichen Fall, dass Griechenland austreten sollte.
Letzten Endes hat die EZB wohl einfach keine Lust mehr, Euros "à discrétion" zu kaufen, nachdem sie in den letzten drei Jahren - seit Einführung der 1.20er Untergrenze - dafür mehrere Hundert Milliarden Franken ausgegeben hat. Doch was wäre an weiteren Eurokäufen so schlimm? Früher hat man die mit Devisenübernahmen verbundene Ausweitung der Frankenmenge immer mit zusätzlicher Teuerung (Inflation) in Verbindung gebracht. Doch dieses "Gesetz" (im Fachjargon "Quantitätstheorie" genannt) ist nach aller Erfahrung obsolet geworden. Die USA, Japan, aber auch die Eurozone und die Schweiz haben in den letzten Jahren ihren Geldumlauf stark erhöht. Doch heute droht nicht Inflation sondern das Gegenteil - Deflation (Preisrückgänge).
SVP: Von ökonomischem Wissen frei
Die SNB hat also derzeit die einzigartige Möglichkeit mit Franken, die sie selber kostenlos schaffen ("drucken") kann, Devisen wie Euro, Dollar oder Yen, aber auch Wertpapiere, Gold oder sonstige Wertobjekte.zu kaufen. Und das ohne Teuerung zu erzeugen. Jedes andere Land würde sich in einer solchen Lage glücklich prieisen. Doch hierzulande wird das als riesiges Problem gesehen. In ähnlicher Weise wird auch die Strategie der amerikanischen, japanischen und europäischen Notenbank, ihre Volkswirtschaften mit Geldspritzen anzukurbeln, verteufelt, obwohl z.B. die USA derzeit ein überzeugendes Beispiel für den Erfolg dieser Taktik liefern. Vor allem von SVP-Politikern, die wie die Goldinitiative gezeigt hat, von ökonomischem Wissen weitgehend frei sind.
Im Grunde versteckt sich hier der alte "Dogmenstreit" zwischen der deutschen Bundesbank und mittlerweile den meisten andern Notenbanken, welche die Staatsschuldenfinanzierung durch die Notenbank wesentlich lockerer sehen. In Deutschland selbst, das unter dem schwächelnden Euro sehr gut lebt und weiterhin europäische Wirtschaftslokomotive ist, kommt die Kritik an den monetären Notenbankspritzen vor allem von frustrierten Ex-Bundesbankern und rechtslastigen Uniprofessoren, die häufig der AfD oder der CSU nahestehen.
Überholte Ansicht
Leider ist in der Schweiz diese überholte Ansicht ebenfalls noch weit verbreitet. Sie wird auch in manchen Medien, insbesondere der NZZ, leidenschaftlich propagiert, wie etwa die jüngste NZZ-Samstagsausgabe zeigt, Allerdings hat die Zeitung noch vor wenigen Wochen selbst geschrieben, dass die Währungsuntergrenze für die Schweiz nötig sei. Nach dem abrupten SNB-Schwenker ist die Zeitung wieder gehorsam auf ihre frühere dogmatische Linie eingeschwenkt. Es wäre sicher falsch zu behaupten, dass die Beibehaltung der 1.20er Grenze problemlos wäre - vor allem die Gefahr von Blasen etwa auf dem Immobilienmarkt bliebe bestehen. Doch wäre die Situation weitaus beherrschbarer, als was uns jetzt bevorsteht. Die aktuelle Schockreaktion der Finanzmärkte ist vor diesem Hintergrund gerechtfertigt.