Die Europäische Kommission ist sozusagen die Regierung der EU. Allerdings ist sie eine zumindest merkwürdige Regierung, weil sie nicht vom Europäischen Parlament gewählt wird und im Gegensatz zur üblichen Gewaltenteilung als Exekutive Gesetze auf den Weg bringen kann, die vom Parlament, dieser zentralen Aufgabe als Legislative beraubt, nur abgenickt werden. So viel zu den Demokratiedefiziten der EU.
Nun beschwert sich ihr Regierungschef, Kommissionspräsident Manuel Barroso, darüber, dass «der Traum von Europa» durch populistische und nationalistische Kräfte bedroht werde. Das ist so falsch, dass nicht mal das Gegenteil richtig wäre.
Vertrauen weg
Im Angestelltenheer von 32’666 EU-Mitarbeitern (!) beschäftigt die Europäische Kommission auch ein Meinungsumfrageinstitut. Das erhob 2012 im Eurobarometer, wie gross das Vertrauen der Bevölkerung in die EU ist. In Spanien haben 72 Prozent kein Vertrauen in die Institutionen der EU, lediglich 23 Prozent der Spanier sehen das anders. Vor fünf Jahren waren noch 65 Prozent vertrauensvoll. In England fehlen 69 Prozent jegliches Vertrauen, in Deutschland, Frankreich und Italien 59, 56, bzw. 53 Prozent. Alles satte absolute Mehrheiten.
Nun ist Volkes Meinung und Stimmung sicher eine flüchtige, schwankende und wechselhafte. Das Interesse an Europa und seinem Parlament, das über 731 Sitze verfügt, lässt sich auch an der Wahlbeteiligung messen. Sie lag 2009 bei ganzen 43 Prozent. Die Mehrheit der Stimmbürger ging völlig zu recht davon aus, dass es sowieso keine Rolle spielt, welche nationalen Parteipolitiker in diese zahnlose Versammlung entsorgt werden.
Europamüde Europäer
Es ist richtig, dass in Griechenland, Italien, sogar in Finnland und neuerdings auch in Deutschland zum Teil neugegründete Parteien entstanden sind, die im wesentlichen als Ziel haben, dass ihr Land aus der Fehlkonstruktion Euro und dem politischen System EU austritt. In Brüssel wird das nicht nur von Windfahne Barroso unter Verkennung von Ursache und Wirkung als nationalistische und populistische Bedrohung denunziert.
In Wirklichkeit ist es eine völlig verständliche Reaktion der Stimmbürger, denen es nicht entgangen ist, dass sie durch eine geradezu verbrecherische Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU, über die sie in keiner Form mitentscheiden können, ins Elend geritten wurden.
Völliger Verlust der Legitimität
Wenn Staatsbürger Macht und Rechte an ein politisches Herrschaftssystem delegieren, muss sich dieses durch verantwortliches Wirken legitimieren. Neben Träumen und Schäumen heisst Wirken, dass existenzbestimmende Grundlagen funktionieren. Die Möglichkeit, durch Arbeit ein Auskommen zu haben, auf eine funktionierende soziale Infrastruktur zugreifen zu können. Also Bildung, Gesundheitsversorgung, Sozialleistungen wie Renten und Rechtsstaatlichkeit ohne Willkür. Also in einem Satz: den Weg zum eigenen kleinen Glück beschreiten können.
Die europäische Wirklichkeit sieht anders aus, ganz anders. Durch Jugendarbeitslosigkeit von teilweise über 50 Prozent wächst eine verlorene Generation heran. In Spanien beträgt die gesamte Arbeitslosenquote bereits knapp 27 Prozent, Griechenland ist unterwegs dahin. Durch im Eurokorsett unbezahlbare Staatsschulden zerfallen staatliche Grundversorgungssysteme zu Staub. Durch supranationale Umverteilungssysteme, gerne auch Rettungsschirme genannt, wird die Verwendung des vom Staatsbürger erwirtschafteten Steuersubstrats seiner Kontrolle entzogen.
Durch von völliger Verantwortungslosigkeit gekennzeichnetes Durchhangeln von einer untauglichen Krisenbewältigung zur nächsten haben die EU-Regierung, und in ihrem Gefolge die nationalen Regierungen, ihre Legitimität verloren.
Der Untertan ist anders
Der Staatsbürger wird so zum Untertan. Ein Untertan verhält sich anders als ein Staatsbürger. Ein Untertan sieht sich nicht als mitbestimmungsberechtigter Teilhaber am politischen System, sondern als entrechteter Knecht. Wird dessen Leidensdruck gross und grösser, ist Protestwählen nur das erste und mildeste Mittel, seiner Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Noch mehr kalte Wut packt ihn, wenn ihm von einer Pappnase wie Barroso erklärt wird, dass sein Wahlverhalten den «Traum von Europa» gefährde. Diese kalte Arroganz schürt Populismus, Nationalismus und Schlimmeres mindestens so wie das solche Strömungen auslösende Politikerversagen von Barroso & Co.
Volk auflösen
Als es 1953 in der längst verblichenen DDR zu Unruhen kam, weil die herrschende SED beschlossen hatte, Arbeitsnormen heraufzusetzen und jede Verantwortung für die herrschende Mangelwirtschaft weit von sich zu weisen, hatte der geniale Stückeschreiber und Dialektiker Bertolt Brecht einen Ratschlag zur Hand. Er empfahl der DDR-Regierung, wenn sie mit ihrem Volk unzufrieden sei, weil es die Weisheit des Handelns der Herrschenden nicht verstehen wolle, dann solle sie es doch auflösen und sich ein neues wählen.
So weit sind die Eurokraten bislang noch nicht gegangen. Allerdings haben sie schon Volksabstimmungen über die EU-Verfassung so oft wiederholen lassen, bis ihnen das Ergebnis endlich passte. Statt gleich die europäischen Völker aufzulösen, wäre aber die Abschaffung des EU-Parlaments und der EU-Kommission ein Schritt in die richtige Richtung. Denn die wirkliche Macht in Europa liegt ja schon längst beim Gouverneursrat des ESM, bei der EZB und in anderen Dunkelkammern.