Am 11. Mai geht Pakistan an die Urnen. Es war ein ruhiger Wahlkampf, in einem Sinn zumindest: Die üblichen grossen Veranstaltungen mit Hunderttausenden von Zuhörern blieben beinahe aus. Nicht die Wahlkommission hatte die Politiker zur Ordnung gerufen, sondern die pakistanischen Taliban der TTP, und sie setzten ein probates Mittel ein, um ihre Order durchzusetzen: Über hundert Menschen kamen bei Angriffen ums Leben, achtzig von ihnen waren Wahlkandidaten. Am Freitag wurde ein Politiker der ANP beim Verlassen einer Moschee in Karachi erschossen, zusammen mit seinem sechsjährigen Sohn.
Wahlen unter dem Terror der Taliban
Die Taliban lehnen demokratische Wahlen als «unislamisches System ab, das nur den Interessen der Ungläubigen dient». Es sind aber ausschliesslich die säkularistischen Regierungsparteien, die als Zielscheibe dienen, neben der ANP die Volkspartei PPP und die regionale MQM. Der Präsident der PPP ist Bilawal Bhutto, der 24-jährige Sohn von Benazir Bhutto und Staatspräsident Asif Zardari. Er hatte beim Gedenktag des Mordes an seiner Mutter Ende Dezember feierlich versprochen, er werde den Mördern die Stirne bieten und ihnen nicht den Gefallen tun, das Land zu verlassen.
Vor einigen Tagen tat er genau dies; er war an keiner grossen Wahlveranstaltung aufgetreten. Es war der richtige Entscheid. Wer weiss, vielleicht kommt wieder eine Zeit, wo ein öffentlicher Auftritt nicht einem Todesurteil gleichkommt.
Der zurückgekehrte Ex-Präsident
Die Drohungen der Taliban schrecken nicht jeden ab. Der ehemalige Staatspräsident Pervez Musharraf kehrte nach vier Jahren freiwilligen Exils in London vor einem Monat in seine Heimat zurück, um seine neugegründete Allpakistanische Muslim-Liga «zum Sieg» zu führen. Es kümmerte ihn nicht, dass sie von der Wahlkommission gar nicht zugelassen war. Ausgerechnet von der Justiz, mit der Musharraf früher Katz und Maus gespielt hatte, erwarte er «Gerechtigkeit». Als er vom Gericht eine Abfuhr erhielt, stürmte er mit seinen Leibwächtern aus dem Gerichtssaal und verschanzte sich in seinem Landgut ausserhalb Islamabads, das wie jedes Politiker-Haus einer Festung gleicht.
Doch die Armee sandte ihm keine Prätorianergarde, und Musharraf musste klein beigeben. Dank einem alten Kolonialgesetz erklärte das Gericht sein Haus zum Gefängnis. Statt Polizeischutz gegen Feinde von aussen zu bekommen war er es, der nun wegen Fluchtgefahr überwacht wurde. Die Generäle – Musharrafs frühere Ziehsöhne – erwiesen dem Diktator damit einen Dienst. Denn er hat so viele Todfeinde, dass die Gefängniszelle gegenwärtig der sicherste Ort für ihn ist.
Musharraf von niemandem erwartet
So haben es etwa die Taliban und andere islamistische Terrorzellen auf ihn abgesehen, weil er das Land «an die USA verschachert» hat; die PPP wittert in ihm den Drahtzieher des Mords an Benazir Bhutto; der frühere Premierminister Nawaz Sharif grollt Musharraf, dass er ihn zehn Jahre in die arabische Wüste verbannt hatte; und für die Separatisten in Balutschistan steht ausser Frage, dass er 2006 die Erschiessung ihres Stammesführers Akbar Bugti befahl.
Dass der Ex-General dennoch ins gewaltstrotzende Labyrinth der pakistanischen Politik zurückwollte, ist für viele Landsleute der Beweis, dass der ehemalige eitle «Para-Trooper» immer noch dem Wahn nachhängt, dass Pakistan ihn zurückersehnt. Schon früher glaubte er, dass ihm das Volk als dem neuen Atatürk zujubeln würde; dass seine «aufgeklärte Führung» Pakistan aus Armut und Terror befreien würde; dass er die Justiz bändigen könne, indem er zahlreiche Oberrichter unter Hausarrest stellte. Auch die Verbannung korrupter Politiker, und selbst die Morde an Bhutto und Bugti, waren für Musharraf taktische Militäraktionen gewesen, gerechtfertigt zur Durchsetzung einer «disziplinierten Demokratie».
Armee und Taliban in Schlüsselrollen
So dumm sind nicht einmal die Taliban. Sie mögen Demokratie als «unislamisch» ablehnen, aber der selektive Terror gegen die Regierungsparteien zeigt, dass sie ein Interesse an einer demokratisch gewählten Regierung haben. Denn würden sie auch die Parteien von Nawaz Sharif und dem ehemaligen Cricket-Star Imran Khan mit Anschlägen überziehen, wäre das Risiko gross, dass die Armee wie so oft zuvor das Szepter übernimmt. Ihr Kalkül ist, dass eine schwache Zivilregierung ihren Zielen besser dient als eine Machtübernahme durch die Armee.
Dasselbe denkt offenbar auch diese selbst. Ein Hinweis dafür ist nicht nur das Abseitsstehen der Offiziere, als die Gerichte Musharraf aus dem Verkehr zogen. Letzte Woche, als die Zahl der Wahlkampf-Attentate plötzlich anstieg, wurde reflexartig der Verdacht laut, nun würde die Armee wieder einmal einschreiten, als «Retterin der Nation». Stattdessen liess Oberbefehlshaber Pervez Kayani folgendes Communique verlesen: «Die Parlamentswahl am 11. Mai wird stattfinden. Wir werden aus voller Überzeugung unser Bestes tun, freie, friedliche und faire Wahlen durchzuführen. Ich versichere dem Land, dass unsere Unterstützung einzig der Stärkung von Demokratie und Rechtsordnung dient.»
Dies sind neue Töne. Vielleicht hat die Armee endlich kapiert, dass ihre ständigen Eingriffe lediglich den schwierigen Reifeprozess einer demokratischen Gesellschaft gestoppt haben. Die Regierung durfte ihre volle Legislaturzeit absolvieren – das erste Mal in der Geschichte des Landes – auch wenn sie schwach und korrupt war. Nun soll ihr das Volk die Quittung ausstellen. Natürlich helfen dem Wähler die Taliban nach, die mit ihrer selektiven Terrortaktik sicherstellen, dass entweder Sharifs Muslim-Liga oder Imran Khans Partei ans Ruder kommen. Beide haben in der dominanten Panjab-Provinz Gross-Veranstaltungen durchgeführt, ohne dass Bomben hochgingen.
Mutige Frauen
Die eigentlichen Helden dieses Wahlkampfs sind allerdings nicht die vielen männlichen Kandidaten, in deren Konvois immer auch Ambulanzen mitfahren. Es sind, einmal mehr, die Frauen. Zugegeben, nur wenige hatten den Mut, sich als Kandidatinnen aufstellen zu lassen. Ein grosser Teil der politisch aktiven Frauen rechnet wohl mit der Chance, von den männlichen Abgeordneten ins neue Parlament berufen zu werden, wenn die Wahlen einmal vorbei sind. Die Verfassung sieht nämlich vor, dass sechzig (der 342) Sitze in der Volkskammer für Frauen reserviert sind.
Dennoch gab es einige Frauen, die offenbar nicht von der Gnade gönnerhafter Männer abhängen wollen, die sie auswählen und dann wählen. 36 Frauen haben sich in die «Generelle Kategorie» für die 272 Direktsitze eingereiht. 27 von ihnen kommen nicht aus den relativ sicheren Grossstädten, sondern aus der Provinz Khyber-Pakhtunkwa an der Grenze zu Afghanistan, der bevorzugten Zielscheibe der Islamisten.
Eine von ihnen heisst Badam Zari. Die Vierzigjährige ist die einzige weibliche Kandidatin im Stammesgebiet von Bajour, einer Hochburg des terrorverdächtigen Haqqani-Clans. Sie ist so tief verschleiert, dass ihr einziges Kennzeichen ihre Stimme ist. Und diese kann sie nicht medial einsetzen, da sie keine öffentlichen Veranstaltungen durchführt. Sie geht von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, und redet mit den Wählerinnen. Ihre Wahl-Agenda ist keine Broschüre, sondern ihre Person: Sie will den Wählerinnen beweisen, dass auch eine Frau ein öffentliches Amt anstreben kann.