Wieder einmal warf sich Herr Zuckerberg in seinem regelmässigen Facebook-Hochamt in die Pose des Propheten: „Ich glaube, eines Tages werden wir fähig sein, einander Gedanken direkt zu schicken. Du wirst einfach etwas denken und deine Freunde werden unmittelbar an dieser Erfahrung teilnehmen, wenn du es willst. Das wäre die ultimative Kommunikationstechnologie.“
Neuromarketing
Gedanken-Sharing als Kurzschliessung von Technologie und Neurologie? Zwischenmenschlicher Verkehr nicht mehr von Angesicht zu Angesicht, sondern von Hirn zu Hirn? Ein Hotspot ist zur Zeit das Neuromarketing. Ziel: Man fragt den Kunden gar nicht mehr, man guckt ihm direkt ins Gehirn. „Buyology“ nennt sich das. Ihr Erfinder, der dänische Pfiffikus Martin Lindstrom, hat sie auf eine simple Formel gebracht: „Menschen lügen, Gehirne nicht.“ Daraus ergibt sich die Devise: Was die Leute wirklich fühlen, erkennt man am besten an ihrem Hirn, nicht an dem, was sie so daherreden. Also: Halt den Mund und lass dein Hirn scannen.
Das klingt einigermassen hirnrissig, aber die Entwicklung ist ernst zu nehmen. Aus mindestens drei Gründen. Erstens wird fieberhaft an der Entwicklung von „Predictive Analytics“ gearbeitet, das heisst an Techniken, die möglichst präzise Voraussagen treffen, was eine Person (Kunde, Straftäter, Sportgegner, Kriegsfeind) nächstens tun wird, und zwar am besten, bevor sie weiss, dass sie es tun wird.
Amazon hat 2013 ein Patent angemeldet namens „antizipatorischer Versand“ – „eine Methode, Pakete zu liefern, bevor der Kunde ‚kaufen’ klickt“. Die Methode beruht auf einem ausgeklügelten Algorithmus, der errechnet, was als nächstes zu versenden sei. Er durchforstet die Datenmasse vorangegangener Bestellungen, Produktsuchen, Wunschlisten, Inhalten von Einkaufswagen, Rücksendungen und sogar der Zeitdauer, in der ein Kursor bei einem Artikel im Onlineshop verweilt. Es herrscht Krieg, der Krieg um Kundschaft – und „prädiktive Analyse“ ist eine Wunderwaffe. Das Patent zeigt, wie Amazon seinen Datenschatz verwenden will, um Konkurrenten auszustechen.
Gehirn-Kommunikation
Zweitens wäre es natürlich ideal, die Kundenwünsche direkt aus dem Kundenhirn ablesen zu können. Davon träumen Zuckerberg und Konsorten. Zumal die Hirnforschung die Vision einer nichtverbalen Beeinflussung befeuert.
Kürzlich publizierte ein Team von Neurowissenschaftern an der University of Washington die Resultate eines Experiments, in dem verschiedene Probandenpaare miteinander über das Gehirn kommunizieren. Ein Proband fungiert als „Sender“. Er verfolgt auf dem Bildschirm ein Game und kann über ein Touchpad ein virtuelles Gewehr bedienen. Ein Elektroenzephalograph zeichnet die Hirnaktivität des Senders auf und übermittelt sie über das Internet dem 500 Meter entfernten Hirn des „Empfängers“, der ebenfalls ein virtuelles Gewehr über das Touchpad bedienen, aber das Game nicht auf dem Bildschirm verfolgen kann. Die Handbewegung des Senders lässt sich so auf die Handbewegung des Empfängers direkt via Hirn übertragen. Wenn der Sender schiesst, schiesst auch der Empfänger. Die Trefferquote variierte unter den Probandenpaaren zwischen 30 und 80 Prozent.
Es ist sicher zu früh, aus solchen Experimenten auf ein Zeitalter der neuroelektronischen Telepathie zu extrapolieren. Aber die Möglichkeit eines solchen nichtverbalen Kundenfangs lässt Werbemanagern und Marketingstrategen das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Es gibt bereits das „Affective Computing“, Mustererkennungs-Software, die aus meiner Physiognomie meine Wünsche und Absichten zu erraten sucht. Banal ausgedrückt: Die Software will mich verstehen, ohne verbalen Schnickschnack. Ein Programm mit dem sinnigen Namen „Beyond Verbal“ analysiert die Intonation der Stimme. Das Startup „Humanyze“ (man beachte die Subtilität der Namensgebung) benutzt soziometrische Methoden in Kombination mit Wearables, um den Personalbüros von Firmen in der Durchleuchtung der Befindlichkeit ihrer Angestellten zur Hand zu gehen. Alle diese Technologien sind Beispiele für das, was der britische Medienwissenschafter Andrew Mc Stay als „empathisches Medium“ bezeichnet.
Den Kunden „abschiessen“
In diesem Zusammeng erscheint mir eine historische Bemerkung angebracht. Norbert Wiener, einer der Pioniere der Kybernetik, suchte nach einem Konzept von Kommunikation, das auf Maschinen ausweitbar ist. Im Hinterkopf hatte er dabei das Projekt des Baus einer präzisen Flugabwehrkanone. Wiener vermutete, dass Piloten in der Gefahrensituation, ständig beschossen zu werden, durchaus ein regelhaftes und voraussagbares Verhalten zeigen. Das heisst, Schütze und Flieger treten zueinander in eine nichtverbale Kommunikation.
Warum dann nicht auch Geschütz und Flieger? Deshalb hatte für die Konstruktion einer Präzisionskanone die Frage höchste Priorität, wie sie dem Verhalten des Fliegers zuvorkommen kann. Also genau jenes Problem, mit dem sich heute die Erben der Kybernetik, die Designer „smarter“, vorausschauender Technologien herumschlagen: Wie lassen sich unsere „Kanonen“ ausrüsten, damit sie den Kunden möglichst präzise „abschiessen“, ohne dass je ein Wort gewechselt worden wäre?
Nospeak als Fortentwicklung von Newspeak
Aber nicht nur das präzise Treffen von Kundenwünsche wirkt als starkes Motiv. Ein anderes, weit weniger offenkundiges ist natürlich die Frage des Besitzanspruchs. Das ist ein dritter Grund, vor den Gedankenfängern auf dem Quivive zu bleiben. Aus Zuckerbergs Äusserung spricht der Wunsch, ein Vehikel der eindeutigen Kommunikation zu kreieren, das nicht von den Ambiguitäten der Sprache kontaminiert ist. Dieser Wunsch ist „ambiguphob“, um hier eine skurrile Wortschöpfung von David Foster Wallace zu gebrauchen.
Die natürliche Sprache ist aber nicht nur nicht eindeutig, sie gehört auch eindeutig niemandem. Ein eindeutiges Medium der Kommunikation zu schaffen, bedeutet, Macht über den Ausdruck und die Ausdruckskanäle zu gewinnen. Die Algorithmen, die in den Visionen der Neurotelepathen dereinst unsere Gehirnströme auswerten und weiterleiten werden, sind im Besitz von Privatfirmen.
Schon jetzt sind ja bestimmte Codes, Smileys, Emojis urheberrechtlich geschützt. Sie gehören Unternehmen wie zum Beispiel der Smiley Licensing Corporation, gegründet vom Franzosen Franklin Loufrani. Die Firma floriert. Mittlerweile existieren etwa 400 Smiley-Lizenznehmer in mehr als 100 Ländern der Welt. Die jährlichen Umsätze mit Lizenzprodukten liegen nach Firmenangaben bei etwa 100 Millionen US-Dollar. Man riecht den Braten. In dem Masse, in dem diese „Privatsymbolik“ unsere natürliche Sprache infiltriert, in dem Masse melden auch Privatunternehmen ihre Besitzansprüche auf die Kommunikation an.
Das Ende der Sprache, wie wir sie kannten? Nospeak, als Fortentwicklung von Orwells Newspeak? Ich möchte nicht dramatisieren, aber eine stillschweigende und schleichende Sprachverschiebung ist im Gang. Der industrielle Kapitalismus privatisierte die Produktionsmittel; der digitale Kapitalismus sucht die Kommunikationsmittel zu privatisieren. Genau das steckt hinter der „ultimativen Kommunikation“ der Menschheitsbeglücker aus Silicon Valley. Und das Glück, das sie verheissen, kennt kein Erbarmen.