Eine kleine Gemeinde druckt eigenes Geld. Nicht als harte Münzen wie beim legendären Fälscher Farinet im Wallis, sondern aus Papier. Sie will so die Not der Leute lindern. 90 Jahre sind es her. Eine soziapolitische Impression aus der Zeit der grossen Depression.
Not macht erfinderisch. Das zeigt uns auch der Roman «Farinet ou la fausse monnaie». Erschienen ist er 1932, kurz nach dem New Yorker Börsencrash von 1929. Verfasst hat ihn der Waadtländer Schriftsteller und Lyriker Charles Ferdinand Ramuz (1878–1947). Farinet fälscht Geld – weniger aus persönlichem Profit, vielmehr aus Mitgefühl für seinesgleichen, die Randständigen. Bei Ramuz erhält Farinet den Status des sozialen Outsiders, jemand, der seine persönliche Freiheit höher schätzt als Staat und Gesetz – und der daran scheitert.
Für 20 Rappen vier bis fünf Kilo Kartoffeln
Der historische Farinet, auf den sich Ramuz’ Roman beruft, spielt nach dem Zusammenbruch der Walliser Kantonalbank. Der Konkurs von 1870 löst eine politische Krise aus; sie führt zur Demission aller Staatsräte. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden und ins Papiergeld ist erschüttert. Das stärkt den Glauben an harte Münzen. Eine solche Währung lässt sich leicht fälschen. Und dieses Handwerk beherrscht der Italiener Joseph-Samuel Farinet aus dem Aostatal (1845–1880). Sein Vater arbeitet als Schmied. Der junge Farinet lernt von ihm und prägt bald italienische Münzen. Er wird ertappt und muss fliehen. So sucht er sein Glück im Unterwallis. Er spezialisiert sich auf 20-Rappen-Münzen. 20 Rappen entsprechen dem Tageslohn eines Hirten und dem Gegenwert von vier bis fünf Kilo Kartoffeln.
Farinet prägt das Falschgeld nicht nur zum eigenen Nutzen. Einen Teil verschenkt er armen Leuten; sie bieten ihm Unterschlupf und Versteck. So wird aus dem Ganoven und Kleinkriminellen bald ein legendärer Held – als «Robin Hood der Alpen» im Gebiet um Saillon bis heute verehrt. Auch Literatur und Film stilisieren Farinet zu einer Figur, die zwischen romantischem Anarchisten und Kämpfer gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt oszilliert. Doch die Wirklichkeit ist trauriger: Farinets Leben zeigt das damalige Elend der kleinen Leute im Wallis und im Aostatal.[1]
Eine eigene Gemeinde-Währung
Arm sind auch die Leute im Berner Oberland der 30er-Jahre im letzten Jahrhundert – wie vielerorts damals. Die Weltwirtschaftskrise nach 1929 trifft sie hart. Die Touristen bleiben aus und die traditionelle Holzschnitzerei im Gebiet von Brienz bricht ein. Ein grosser Teil der Bevölkerung – viele von ihnen «Schnitzler» und Kleinbauern in Personalunion – wird arbeitslos und verliert die Erwerbsgrundlage.[2] Die Not ist gross, die Armut ist mit Händen zu greifen und der finanzschwache Kanton Bern mit den Zahlungen an die Gemeinden im Rückstand oder gar Ausstand.
Der Gemeindeschreiber von Hofstetten bei Brienz, Hans-Jakob Blatter, fackelt nicht lange. Er handelt. Geld ist zwar keines mehr da, aber viel Arbeit. Kurzerhand gibt der Gemeinderat Anfang 1933 Franken-Gutscheine heraus – als Ersatz fürs fehlende Bargeld. Konkret: Die kleine kommunale Behörde druckt in Eigenregie Papiergeld, dies für 2, 5, 10, 20 und 50 Franken: Falschgeld fast wie bei Farinets Münzen im Unterwallis. Die Hofstetter Währung soll die Liquiditätsengpässe überbrücken und die Wirtschaft ankurbeln.
Jede Antwort enthält ein Schuss Fremdbestimmung
Mit diesen «Hofstetter Blüten» kann man zahlen, beispielsweise die Gemeindesteuern oder auch die Arbeit an einer neuen Gemeindestrasse. Rund 10‘000 Hofstetter Franken kommen so in Umlauf, was, teuerungsbedingt, damals natürlich viel mehr wert war.[3] Die grosse Not kann der Gemeinderat damit nicht beseitigen, aber ein wenig lindern.
Die Nachbargemeinde Brienz will das Gleiche versuchen. Die kommunalen Behörden fragen brav beim Kanton nach und erhalten logischerweise ein sofortiges Verbot. Jede Antwort enthält bekanntlich ein Schuss Fremdbestimmung.
Der sozialpolitische Farinet vom Brienzersee
Der Kanton Bern kann das Hofstetter Falschgeld natürlich nicht dulden, ebenso wenig das Eidgenössische Finanzdepartement. Bern droht mit der Sperrung sämtlicher Staatsbeiträge und ordnet die Verbrennung des Papiergeldes an. Zwei Beamte reisen aus der Hauptstadt an. In Hofstetten eingetroffen, sehen sie, wie die Blüten bereits brennen. Vermutlich aber ist es nur Zeitungspapier. So munkelt man.
Die Not kennt kein Gebot, verkündet der Volksmund. Das sagte sich auch der pflichtbewusste Hofstetter Gemeindeschreiber Hans-Jakob Blatter. Und mit ihm der Gemeinderat. In jedem echten Bergler steckt eben etwas Zupackendes, etwas Aufmüpfiges, gar Rebellisches. Und das verkörperte auch Blatter, eine Art Robin Hood – oder eben: der sozialpolitische Farinet vom Brienzersee.
[1] Ignace Carruzzo: Joseph-Samuel Farinet. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/042268/2006-03-27/, konsultiert am 17.02.2023.
[2] Zora Herren: Eigenes Geld sorgte für Aufsehen. Engagiertes Dorf feiert. In: Jungfrau Zeitung, 08.08.2018.
[3] Beat Kohler: Als Hofstetten sich Farinet zum Vorbild nahm. In: Jungfrau Zeitung, 22.07.2010.