Dieser Chefredaktor ist eine Kunstfigur. Alles ist fiktiv. Auch das Wochenmagazin, das er leitet, gibt es nicht. Es ist ein Blatt, das am Anfang Erfolg hatte. Jetzt geht es bergab. Dieser fiktive Chefredaktor ist eine seltsame Figur. Er wirkt wie ein Bube – und Ausstrahlung hat er kaum. In der Strassenbahn dreht sich niemand nach ihm um.
Seine spätere Frau beschreibt das erste Date so: „Er war wie ein kleiner Junge, der seiner Mutter eine Zeichnung nach der andern bringt und sich dafür streicheln lässt“. Dennoch: Der kleine Junge ist ziemlich auf sich selbst bezogen.
Seine Masche wurde bald durchschaut. Er hebt den Finger in die Luft: Wenn der Wind von rechts bläst, schreibt er von links aus – und umgekehrt. Aber wie gesagt: alles ist fiktiv, der Mensch und das Blatt.
Diese Kunstfigur versucht Dante Andrea Franzetti zu fassen. Dazu hat er mehrere Satiren geschrieben, die im vergangenen Jahr im „Journal 21“ publiziert wurden. Jetzt hat Franzetti die Texte in einem Buch zusammengefasst. Der Autor, 1959 geboren, ist keine fiktive Person: Er war früher Korrespondent für den Tages-Anzeiger in Rom, hat mehrere Romane und Erzählbände geschrieben, ist heute Dozent an einer Zürcher Fachhochschule und ständiger Autor von „Journal 21“.
Bei Franzetti trägt der Chefredaktor den Allerweltsnamen „Roger“, wie Roger Federer - nur ist Federer erfolgreicher, smarter und beliebter. „Roger Rightwing köppelt das feingeistige Tischgespräch“, heisst der Titel derSatire-Sammlung.
Franzetti beschreibt Redaktionskonferenzen. Er porträtiert einen Chefredaktor, der gegen den Strom schwimmen will – oft besseren Wissens. Aber das lässt sich verkaufen, glaubt der Chef. Wie kann man aus einer guten Nachricht eine schlechte machen und wie aus einer schlechten eine gute? „Etwas begründen kann jeder Schwachkopf. Etwas behaupten können nur die Souffleure des feingeistigen Tischgesprächs“. So tickt dieser fiktive Roger.
An den Redaktionssitzungen werden Schlagzeilen besprochen: „Warum die Apartheid den Schwarzen nützt.“ Oder: „Weshalb es kein Skandal ist, wenn Kinder in Mombasa Fussbälle zusammennähen.“ Weshalb ist es kein Skandal? RR weiss die Antwort: Weil sie mit dem Nähen beschäftigt werden; sonst würden sie wie in Rio Läden ausrauben. Die Redaktion spricht von den „schmarotzenden Invaliden“ und von den „rot-grünen Lölis mit ihren aussenpolitischen Reisen nach Kuba“. Und: „Frauen sollten keine Politik machen“. Oder: „Warum Schwarze dümmer als Weisse, Gelbe aber klüger sind“.
Dieser Roger, der oft „etwas steif in den Beinen ist“ korrigiert auch ständig die Einträge über ihn auf Wikipedia. „Zuerst machte er die Boshaftigkeiten rückgängig. Dann schrieb er alle seine eigenen Einträge um, die ihm nicht mehr passend schienen. Roger Rightwing ging mit der Zeit“ – treu der Devise, was kümmert mich mein Quatsch von gestern.
Franzetti beschreibt auch Rogers journalistisches Credo. Seinen Redaktoren sagt er: „Eine vernünftige Idee könnt ihr euch im Staatsfernsehen ansehen. Sternstunde Philosoffii. Wir brauchen Irrsinn mit Feinsinn, Geistheit mit Geilheit. Seid kreativ!“
Nicht alles ist lustig im Leben des Roger R. „Wir haben noch 49‘800 Leser“, wird gemunkelt, „davon sind 68 Prozent Rentner“. Damit es wieder aufwärts geht, braucht er eine Kampagne. „Gegen die Mitarbeiter der Winterhilfe, gegen das Fastenopfer, gegen den Verein Flussbegradigung der Aare..“, schlägt ein Mitarbeiter vor. – „Hör auf, bring mir einen richtigen Feind“.
- Joe Ackermann? Ospel? Aber der ist ja dein Freund.
- Keine Toten. Frische Feinde.
Im Zürcher Zoo ist ein Tiger ausgebrochen. Wie vermarktet man das? Wir können einem Ausländer die Schuld geben. Der diensthabende Wächter heisst Mehmed Ahmedi, ein Secondo-Türke, der den Tiger ausbrechen liess. Typisch Ausländer, gut bezahlt und faul. RR strahlt und macht schon einen Hüpfer. Doch die Sache hat einen Haken, sagt ein Redaktor. Mehmed ist SVP-Mitglied und sitzt in Rümlang in der Schulpflege.
Porträtiert wird auch ein fiktiver Professor, der Kolumnen für Roger schreibt und der jetzt von seiner Uni rausgeschmissen wurde (als ob es so etwas gäbe).
Dieser Professor hatte einen Autounfall und landete in der Klinik. Da erwachte er aus dem Koma. „Sein Diener aus der Abteilung Skelettkunst des Medizinhistorischen Instituts brachte ihm darauf mehrere Ausgaben von Roger Rightwings Zeitschrift“. Doch der Unfall hatte schwere Konsequenzen: Der Professor wurde zum Sozialisten.
Privat hat es RR nicht immer leicht. Da erzählt seine fünfjährige Tochter im Kindergarten, ihr Vater sei ein „reaktionärer Unmensch“. Die Mutter beruhigt: „Papa war bis zur dritten Primar auch Kommunist. … Später ist er doch ein anständiger Rechtsextremer geworden“.
Offenbar ist er etwas kleinlich. Bei seinem ersten Rendez-vous mit seiner künftigen Frau unternimmt er eine Schifffahrt auf dem Zürichsee. Er hat drei Handys bei sich. Bei der Ankunft in Wollishofen tippt er den Fahrplan in ein Mobiltelefon und stellt fest: Wir haben zwei Minuten Verspätung.
Und geizig ist er: Im Restaurant Sonne lässt er seine künftige Frau die zwei Deziliter Cabernet Sauvignon selbst bezahlen. Roger hat nur Leitungswasser getrunken. Doch immerhin: Am Bellevue hat er ihr dann eine Mövenpick-Kugel Pistazien-Glacé spendiert – nicht ohne beizufügen: „Das ist das teuerste Glacé in Zürich“.
So geht es über 111 Seiten: Witz, Spott, beissende Satire, Seitenhiebe auf alle Seiten, sarkastisch, zynisch, komisch, freundlich. Alles sympathisch überzeichnet. Franzettis Buch polarisiert – und das soll es. Als „Journal 21“ die Texte veröffentlichte, gingen viele überschwängliche Reaktionen ein – und viele negative. Franzetti hat sein Ziel erreicht. Auch wenn das Büchlein als Satire daherkommt, auch wenn es den steifen, selbstverliebten Roger Rightwing nicht gibt: vieles ist wahr an der Geschichte.
Dante Andrea Franzetti, Roger Rightwing köppelt das feingeistige Tischgespräch. Lenos Verlag Basel, Lenos Pocket 162. Oktober 2012