Die Heide ist auf den ersten Blick eine karge Landschaft. Beim Nähertreten erschliesst sie sich aber in ihrer ganzen Vielfalt – und auch in ihrer Pracht. Claus-Peter Lieckfeld hat darüber einen hinreissenden Essay geschrieben.
Das bäuerliche Leben in der durch die Heide geprägten Landschaft in Niedersachsen war der Inbegriff der Armut. «Arm wie ein Heidebauer» war in Norddeutschland eine lange Zeit gebräuchliche Redewendung. Denn das Heidekraut, eigentlich die «Besenheide», ist, wie Lieckfeld schreibt, ein «Hungerkünstler», geeignet für den kargen Sandboden, aber keine Pflanze, von der sich Menschen ernähren können. Kein Wunder, dass jeder, der konnte, diese «Strauchsteppe» verliess.
Dreifelderwirtschaft
Diejenigen, die dort ihr Leben fristeten, erwartete «Plackerei». Dieser Ausdruck bezeichnet eine besonders harte Arbeit, die darin bestand, die Heidepflanzen, die mit zunehmendem Alter verholzten, mit speziell geformten Schaufeln vom sandigen Boden zu lösen, sie «abzuplacken». Das erfordert erheblichen Kraftaufwand. Nötig war diese Arbeit aufgrund einer ausgeklügelten Nutzung:
Eine spezielle Sorte Schafe, die Heidschnucken, konnte die Heidepflanzen fressen und düngte zugleich diese Pflanzen. Aus den abgeplackten verholzten Pflanzen machten die Bauern eine Art Streu für die Schafställe. Diese wurde mit dem Kot der Schafe vermischt und als Dünger auf den abgeplackten Sandflächen verteilt. Nun konnte eine Dreifelderwirtschaft beginnen: im ersten Jahr Roggen, im zweiten Hafer und zuletzt Buchweizen.
Perspektive des Liebhabers
Diese Art der Bewirtschaftung wurde vor etwa 1000 Jahren erfunden. Die Landschaft selbst, die für norddeutsche Verhältnisse ein ungewöhnliches Relief bildet und den höchsten Punkt mit dem Wilseder Berg von 169 Metern erreicht, geht auf Ablagerungen im Quartär zurück. Von Eismassen wurden sie verschoben und zu Endmoränen-Kuppen aufgetürmt. Darin finden sich Tone und diverse andere Gesteinsarten. – Eine Heidelandschaft gibt es nicht nur in Norddeutschland. Die grösste zusammenhängende ist in Schottland. Aber man begegnet Heidepflanzen auch im mediterranen Bereich oder auch in Australien.
Heute ist die norddeutsche Heide mit den Einzugsgebieten von Bremen, Hamburg und Hannover ein Naturdenkmal und Touristenmagnet. Der Reiz des Essays von Claus-Peter Lieckfeld besteht darin, dass er sie aus der Perspektive des Liebhabers beschreibt. Schon als Kind war er von der Heide fasziniert, als Pfadfinder hat er dort unter freiem Himmel übernachtet, und seine Lehrer erzählten ihm allerlei Geschichten.
Protagonisten
Im Zuge dieses Essays nimmt Lieckfeld alle Personen und Ingredienzen in den Blick, die zu einer so urtümlichen Landschaft wie die Heide gehören: den Dichter, der sie besingt, den Maler, der sie zeitlebens malt, den Pfarrer von echtem Schrot und Korn, der gewaltig predigt, sich schützend vor seine Bauern und die Landschaft stellt und zum Namensgeber eines Weges, dem Pastor-Bode-Weg, wird. Und es fehlen natürlich nicht Hexen, Aberglaube und Brauchtum. Zuletzt kommen die Spekulanten, die das ganze Biotop in Gefahr bringen – und die Hamburger Wasserwerke, gegen die auch Claus-Peter Lieckfeld aktiv wurde.
In seinem vielschichtigen und mit Sinn für skurrile Eigenheiten und Episoden geschriebenen Essay stellt Claus-Peter Lieckfeld auch die Frage, warum die Heide als schön empfunden wird. Ganz sicher liegt es an den prachtvollen Farben der lila-, rosa- bis purpurfarbenen Blüten der eigentlichen Besenheide und den weissen Blüten des Wollgrases insbesondere an den Tümpeln der kleinen Moorflächen, die es in dieser kargen Landschaft auch gibt. Aber Lieckfeld führt noch eine weitere Beobachtung an, die Wissenschaftler in den 1980er Jahren gemacht haben: Sie zeigten Versuchspersonen Bilder von verschiedenen Landschaftstypen und fragten, welche Bilder diese besonders hoch bewerteten. Besonders attraktiv sind Parklandschaften des Typus Englischer Garten. Man liebt also die Abwechslung freier Flächen mit Bäumen, kleinen Erhebungen und Wasserflächen. Diesem Typus entspricht die Heidelandschaft: «Weite, in der sich das Auge nicht verliert, Nähe, die nicht den Blick verstellt.»
Das Cover des schön illustrierten Bandes über die Heide hat sinnreicher Weise die Färbung der Blüten des Heidekrautes. Und die Lektüre tut so wohl wie eine Wanderung durch die Heidelandschaft. Dieser Band ist Teil der neuen Reihe «European Essays on Nature and Landscape», die in diesem Frühjahr gestartet ist.
Claus-Peter Lieckfeld: Heide. European Essays on Nature and Landscape. 135 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 20 Euro