Am 6. Dezember 1987 stoppte das Volk die Armee. Eine Volksinitiative stellte das Hochmoor mit 58 Prozent Ja unter Schutz und verhinderte einen Waffenplatz. Kopf der Opposition war der junge Bauer Adolf Besmer.
Besmer ist immer noch Pächter auf dem Nesseli. Warum hat er damals Haus und Hof und seine Existenz riskiert? Es war ein scheinbar aussichtsloser Kampf. Besmer drohte zum Bauern ohne Land zu werden. Das Militär wollte ihn enteignen für den Bau des Waffenplatzes Rothenthurm. Was hat den Bauern motiviert, gegen alle Widerstände durchzuhalten?
Ein Rückblick auf ein unglaubliches Kapitel im Kalten Krieg. Die Obsession der Armee scheiterte an der Obsession eines Pächters. Ich kehre zurück nach Rothenthurm. Auch ich war Teil dieser Obsession. Ich habe damals als Innerschweiz-Korrespondent des Zürcher Tages-Anzeigers 110 Artikel über den heissen und kalten Krieg der Armee gegen die Bauern und den Natur- und Landschaftsschutz geschrieben.
Stiefel, grüne Hosen, grüner Hut und eine blaue Stalljacke. Der Bio-Bauer auf dem Nesseli in Rothenthurm ist siebzig Jahre alt geworden. Schlank, fröhlich, voller Energie begrüsst er mich.
Ich hatte ihn interviewt, als er ein junger Bauer war und im tollkühnen Widerstand das Angebot des Militärs für Ersatzland ablehnte. «Ihr wollt mir ein Kind wegnehmen und bietet mir ein anderes, angeblich schöneres an», erklärte Besmer den Enteignern. Was hat ihn motiviert, 16 Jahre lang (1971 bis 1987) für seinen Hof zu kämpfen? War es die Lage, die Aussicht? «Nein», lacht der Bauer, der auf 960 Meter über Meer wirtschaftet. «Nein, die Aussicht bringt kein Geld. Ich bin mit dem Land verbunden. Auf jedem Quadratmeter haben wir gearbeitet, da ein Hügelchen abgetragen, dort Bäume gepflanzt, den Stall neu gebaut und das Wohnhaus renoviert.»
Die Aussicht ist phänomenal. Vor uns das geschützte Hochmoor, schneebedeckt, zur Freude der Langläufer. Im Sommer blickt man auf gelbbraune Streu, grüne Flächen, Moor, Fichten, die in weiten Schlingen mäandrierende Biber und vereinzelte Riedhüttli, in denen einst der Torf gelagert wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite fährt der goldene SOB-Panoramazug von Rothenthurm nach Biberbrugg. Da, in der schützenswerten Landschaft von nationaler Bedeutung, wollte das Eidgenössische Militärdepartment die Kaserne bauen. Und Pisten für Radfahrer und Schützenpanzer mit Brücken, ausgelegt auf 15 Tonnen pro Achse, ins Moor bauen und betonieren. Die Truppen sollten vorrücken und das Nesseli ins Visier nehmen. Der Bauernhof mit den 30 Hektaren war als Zielgelände des Waffenplatzes vorgesehen. Besmer hat damals geschworen, er werde das Land nicht verlassen, «auch wenn ihm die Kugeln um die Ohren pfeiffen».
Besmer besitzt nur das Haus und die Scheune, er war und bleibt Pächter. Das Land gehört der Korporation Oberägeri. Das Militärdepartement hat ihm Ersatz angeboten. Er schlug das aus. Der Bund leitete das Einteignungsverfahren ein. Zwangsweise verkaufen sollte auch die Korporation. Sie war Besitzerin des Pachtlandes. Woher nahm Besmer die Kraft für seinen tollkühnen Widerstand? Das wollte ich herausfinden. Darum habe ich ihn nochmals besucht.
18 Kühe mit Hörnern in einer Reihe, fixiert im Fressgitter, mustern mich. Besmer holt Heu mit der Gabel und verteilt das Futter. Plötzlich brechen zwei Kühe aus, verlassen den Stall, er rennt hinterher, fängt sie wieder ein und die Tiere galoppieren zurück in den Stall. «Das kommt davon, wenn man nicht voll bei der Sache ist», sagt Besmer und schliesst die Stalltüre. Ich habe ihn abgelenkt. Insgesamt 45 Tiere – Kühe, Rinder und Kälber – stehen im Stall. Und ein Stier mit dem Namen «Hoppla», zweieinhalb Jahre alt und 900 Kilo schwer. Besmer tätschelt den Koloss auf den Rücken und sagt: «Ich merke schon, dass ich weniger Kraft habe, wenn ich den Stier am Nasenring führen muss. Ich bin nicht mehr zwanzig Jahre jung.»
Der Bauer führt mich ins Moor hinunter zu einer der vielen Schleifen der Biber. Er will mir zeigen, wie er mit Greifer und Stahlseilen Weidenstöcke ausreisst. Die Stauden hängen ins Wasser und bremsen die Biber. Sie sind ortsfremd und müssen mit den Wurzeln aus der Erde gerissen werden. Er tut das im Auftrag des Zuger Amtes für Raum, Natur und Landschaft.
«Hampelmann der Armeegegner»
Hier im Moor stellte er einst den Militärminister und zuständigen Bundesrat Georges-André Chevallaz zur Rede. Besmer war sauer auf ihn. «Besmer ist der Hampelmann der Armeegegner», hatte der Bundesrat in einer Rede erklärt. Die linksextremen Armee-Abschaffer hätten den Bauern vor ihren Karren gespannt. «Sie sind nicht nur klein von Gestalt», hatte er dem Bundesrat an den Kopf geworfen. Er hat nie erfahren, ob der Westschweizer Bundesrat ihn wirklich verstanden hat.
Die Wut der Militärs auf den Präsidenten der «Arbeitsgemeinschaft gegen den Waffenplatz Rothenthurm» (AWAR) ist nachvollziehbar. Der parteilose junge Bauer kam daher wie ein freundlicher SVPler, der um sein Land kämpfte und dabei nur von den Sozialdemokraten unterstützt wurde.
Besmer wurde zum Aushängeschild für die Kampagne der Landschaftsschützer. Der freundliche Held leistete einen wichtigen Beitrag zur überraschenden Annahme der Rothenthurm-Initaitive. Die Initiative zum Schutz der Hochmoore wurde vom WWF und den Schweizer Umweltorganisationen und der AWAR lanciert (siehe Kasten). Besmer wurde immer wieder aufgefordert, er solle nach Moskau oder nach Sibirien auswandern. Man drohte ihm am Telefon, man werde seinen Hof anzünden.
Er erinnert stolz daran, wie er das Militär mit den eigenen Waffen geschlagen hat. Die Armee wollte beispielsweise zeigen, dass die Bauern zum Moor keine Sorge tragen. Sie verbreitete Bilder von Schrott und alten Kühlschränken bei einem Torfschuppen im Moor. Besmer machte publik, wem diese Sauerei gehörte. Das Grundstück gehörte der Armee.
Wenig Schule, gute Noten
«Inoffizell 1968 und offiziell 1978» übernahm Adolf Besmer den Hof von seinen Eltern, in der vierten Generation. Schon als Bub musste er mithelfen. Von der ersten bis zur sechsten Klasse besuchte er die Primarschule nur halbtags – wie damals in Rothenthurm üblich. Er hatte stets gute Noten. Die Aufnahmeprüfung in die Sekundarschule hat er mit Bravour geschafft. «Ich war so gut wie die Mädchen.» Trotzdem war seine Schulkarriere nach der ersten Sekundarschulklasse zu Ende. Er musste auf dem Nesseli helfen. Als Landwirt blieb er Autodidakt. Er hat keine Bauernlehre absolviert. «Ich bin das fünfte von neun Geschwistern. Ich musste mich gegen oben und unten behaupten.» In dieser Familiensituation habe er viel gelernt.
Raubvögel kreisen über dem Nesseli, ein Mäusebussard und ein Milan. «Der mit dem Gabelschwanz ist der Milan», sagt der Bauer. Vom Waffenplatz hat er zufällig an der Fasnacht 1971 erfahren. Ein Baggerführer hat ihm davon erzählt. «Soldätli spielen und im Moor pflotschen. Ein fertiger Blödsinn», fand Füsilier Besmer damals.
Auf dem Rückweg bergauf zum Hof frage ich ihn: Wie hat er es ausgehalten, 16 Jahre lang in der Rolle des David gegen Goliath einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen das Militär zu führen? «Ich habe einfach nicht glauben können, dass man mir das Land wegnimmt. Niemand darf einem Bauern das Schlimmste antun und sein Land wegnehmen. Den Sowjets ist es schliesslich auch nicht gelungen, den Afghanen das Land wegzunehmen.»
Und wie ist er mit der Drohung fertig geworden, man werde den Hof anzünden? Seine Familie hat das beschäftigt. «Ich habe nachts etwas genauer hingehört, aber trotzdem gut geschlafen.» Er sagt, die Armee habe die Bauern zermürben wollen. «Aber wir haben sie zermürbt.» Besmer und das, wie er sagt, tolle Team der AWAR haben das Waffenplatz-Projekt immer wieder mit neuen Rekursen verzögert.
Vater-Sohn-Jobsharing
Sein Sohn Beat Besmer (38) hat das Mittagessen gekocht. Kartoffelgratin und Hacktätschli. Bio-Fleisch vom eigenen Hof. Das Fleisch wird unter anderem in die Rote Fabrik nach Zürich geliefert. Eine Verbindung, die dank dem Streit um den Waffenplatz zustande kam.
Beat Besmer hat eine Lehre als Elektroniker gemacht und an der Fachhochschule Chur als Ingenieur abgeschlossen. Später hat er sich in einem Spezialkurs für Quereinsteiger zum Landwirt ausgebildet. Beat lebt und arbeitet die halbe Woche in Zürich als Software-Entwickler und die andere Hälfte auf dem Nesseli.
Auch Beat ist ein begabter Handwerker. Sein jüngstes Werk ist ein einfaches Kästchen mit Elektronik und zwei Knöpfen, rot und grün. Damit kann seine kleine Nichte über WLAN einfach mit ihm reden. Er will eine ganze Serie bauen. Basteln habe er vom Vater gelernt. Adolf habe als Bub mit dicken Brettern und Dreizollnägeln ein Vogelhaus gebaut.
Beat hat nie daran gedacht, den Hof zu übernehmen. «Es hat sich einfach ergeben.» So kam es zum Jobsharing von Vater und Sohn. Dank dem Engagement des Sohnes konnte Adolf das Pachtland behalten. Sonst hätte er es der Korporation zurückgeben müssen, als er mit 65 Jahren das Pensionsalter erreichte.
Wir sitzen am Küchentisch und trinken Pulver-Nescafé. An die Vergangenheit erinnert das olivgrüne «Gnägi-Libli», das Adolf Besmer trägt. Als Beitrag zur Rettung der heimischen Textilindustrie hatte der damalige Militärminister Rudolf Gnägi (1968 bis 1979) die Fabrikation dieser Armee-Leibchen in Auftrag gegeben. Der ehemalige Füsilier Besmer hat einige davon. Sie wurden ihm von Bekannten geschenkt.
Nie im Ausland gewesen
Sohn Beat erzählt, dass sein Vater die Schweiz nie verlassen hat. Nur einmal, bei einem Verwandtenbesuch in Kreuzlingen, fuhr er kurz über deutsches Staatsgebiet. «Ich weiss schon, das Nachbardorf Biberbrugg ist für mich schon Ausland», lacht Adolf. Hat er keine Lust, mal das Meer zu sehen? «Ich sehe das Meer im Fernsehen und ich kann nicht schwimmen.»
Besmer ist Vater von vier Kindern, Sohn Beat und drei Töchter im Alter zwischen 35 und 42 Jahren. Eine Tochter lebt in Australien. Seine Frau Annemarie hat sich 1997 von ihm getrennt und ist in eine Wohnung ins Dorf Rothenthurm gezogen. Die Kinder haben abwechselnd auf dem Nesseli und im Dorf gelebt.
Fühlt er sich manchmal allein auf dem Hof? Nein, sagt er, als Bauer habe er immer etwas zu tun. Und in der Freizeit sei er manchmal zum Tanz ins Café Biberegg gegangen. Sein Sohn nennt ihn einen «Chrampfer und Kämpfer». Damit beantwortet er auch meine Frage nach der Energie für den Widerstand. Als «Chramper und Kämpfer» hat Adolf Besmer offenbar alle Herausforderungen und Krisen bewältigt.
Opposition vom Staatschutz observiert
58 Prozent des Schweizer Stimmvolks sagten am Klaustag 1987 Ja zur «Rothenthurm Initiative zum Schutz der Hochmoore». Nur drei Kantone lehnten ab: Schwyz (mit 52 Prozent), Wallis und Thurgau. Damit war der Waffenplatz Rothenthurm verhindert. Zudem wurden alle Schweizer Hochmoore unter Schutz gestellt. Die Initiative wurde vom WWF und allen Umweltverbänden der Schweiz lanciert. Unterstützt wurde sie auch von den Langläufern. Die hätten ihre Runden auf dem Moor nur noch am Wochenende und an «schiessfreien Wochentagen» laufen können.
Die Bürgerlichen luden die Debatte ideologisch auf. In der Abstimmungs-Schlacht im heissen Klima des Kalten Krieges ging es angeblich um Sein oder Nichtsein der Armee. «Die Schweiz hat keine Armee, sondern sie ist eine Armee», hiess es damals. Im Nationalrat sprachen 30 Leute zum Thema in einer fünfstündigen Debatte. Von den grossen Parteien unterstützten nur die Sozialdemokraten die Initiative. Die bürgerliche Mehrheit kanzelte die Gegnerinnen und Gegner des Projekts gerne als Landesverräter, Kommunisten und Armeeabschaffer ab. Die Armee galt als unangreifbar und alles, was sie verlangte, wurde bewilligt. So gesehen haben die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Eisernen Vorhang in Rothenthurm zwei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer abgeräumt.
Die politische Polizei observierte und diffamierte die Gegner des Waffenplatzes. In meiner Staatsschutz-Akte wurde ich fälschlicherweise als Exponent und Angehöriger der Arbeitsgemeinschaft gegen den Waffenplatz Rothenthurm (AWAR) bezeichnet. In Wirklichkeit war ich als Journalist aufmerksamer Begleiter der Ereignisse. Kritischer Journalismus wurde mit falschen Etiketten und Behauptungen bekämpft.
Aus heutiger Sicht hat die Armee Geld gespart. Die Armee wurde verkleinert. Der Waffenplatz wäre heute überflüssig. (rwe)