Viele Politiker sind rassenreine Narzissten, und sie vergessen kein Foul, solange die Revanche noch aussteht. Dies gilt auch für Südasien, und es gilt auch für dessen weibliche Politiker - Indira Gandhi, Benazir Bhutto, Sirimavo Bandarainake aus Sri Lanka. Ein Gutteil ihrer Macht bestand darin, dass sie keine Ehrverletzung je vergassen.
Das narzistisches Ego der Ministerpräsidentin
Ein besonders extremer Fall ist die persönliche Feindschaft den beiden prominentesten Politikerinnen in Bangladesch, Sheikh Hasina und Khaleda Zia. Die eine überhäuft die Gegnerin mit Gerichtsklagen, wenn sie an der Macht ist, die andere wirft Familienmitglieder der Gegnerin ins Gefängnis, wenn diese in der Opposition landet.
Aber die Beiden haben sich nicht nur persönlich ineinander festgekrallt. Es ist typisch für das narzisstische Ego, sagen uns Psychologen, dass es ständig auf sein "Echo" angewiesen ist, um sich stabil zu halten. Und wehe, das Echo hallt einmal mit einer anderen Stimme aus dem Wald.
Das muss nun auch Mohammed Yunus erleben. Seit einigen Monaten hat die Regierung, und Sheikh Hasina persönlich, eine Hetzkampagne gegen ihn entfesselt, die viele Leute in- und ausserhalb von Bangladesch sprachlos lässt. Sie nannte den 70-jährigen Wirtschaftsprofessor, der sich mit seiner "Grameen Bank" als "Bankier der Armen" weltweit einen Namen gemacht hat und dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, öffentlich (und mit ein bisschen Metaphernsalat) einen „Finanzhai“, der „den Armen das Blut aussaugt“.
Das Mikrokredit-Modell der Grameen-Bank
Der Anlass war eine Fernsehdokumentation in Norwegen gewesen, in der das Grameen-Modell von Mikrokrediten an arme Frauen kritisiert wurde. Kaum war die Sendung erschienen, blies die Regierungschefin zur Jagd auf Yunus. Eine Untersuchungskommission wurde gebildet, ein alter Rivale Yunus‘ wurde zum VR-Präsidenten der Bank ernannt, und die Zentralbank setzte Yunus als VR-Mitglied ab, „wegen Überschreitung der Altersgrenze“.
Yunus ging vor Gericht, weil er sich keiner Schuld bewusst war (der Verwaltungsrat hatte ihn trotz seines Alters immer wieder im Amt bestätigt). Doch das Gericht, noch nie fuer seine Unabhängigkeit bekannt, bestätigte die Absetzung.
Die Grameen-Bank unterliegt einer speziellen Gesetzgebung, weil 95 Prozent der Aktien den 8.3 Millionen armen Menschen (8 Millionen von ihnen Frauen) gehören, die mit ihren Kleinersparnissen Miteigentümerinnen werden konnten. Dies bedeutet, dass etwa 40 Millionen Bürger von Bangladesch mit der Bank verbunden sind. Sie verdanken ihr das Bisschen an ökonomischer Sicherheit, das ein Agrarland mit der Bevölkerungsdichte einer Grossstadt (und Landbesitz im Taschentuchformat) seinen Armen bieten kann.
Grameen - NGO und Wirtschaftsmacht
Jeden Monat leiht die Bank 10 Milliarden Takas (130 Mio.Fr) an ihre Kleinunternehmerinnen aus, die damit eine Nähmaschine oder eine Kuh oder Saatgut kaufen können. Die neun Verwaltungsräte, die diese armen Aktionäre vertreten, hatten sich mit Yunus solidarisiert und begleiteten ihn zum Gericht. Grameen ist zwar eine NGO, aber mit den ihr angeschlossenen Unternehmen (der Bank und dem grössten Mobilfunkunternehmen des Landes) ist sie auch eine wirtschaftliche Macht.
Es wird daher spekuliert, dass die Regierung es auf die Kontrolle der Bank abgesehen hat, wie sie ueberhaupt den Willen an den Tag legt, die grossen bangalischen NGOs stärker unter ihre politische Kontrolle zu bringen, die zusammen weitere 12 Millionen Kleinsparer bedienen. Unabhängige Beobachter wie Mahfuz Anam, Chefredaktor des "Daily Star", der besten Zeitung des Landes, befürchten, dass dies das Ende der vielgerühmten Grameen-Modells von Kleinstkrediten sein könnte.
Denn in ihre harschen Worten gegen Professor Yunus schloss die Premierministerin gleich die ganze Branche mit ein. Mikrokredite helfen den Armen nicht, sagte sie, sondern verstricken sie nur noch mehr im Schuldennetz.
Es ist möglich, dass Sheikh Hasina auf das benachbarte Indien schielte, als sie zu diesem Rundumschlag ansetzte. Auch dort haben sich die Politiker auf die Mikrofinanz-Institutionen (‚MFI‘) eingeschossen. Sie empören sich darüber, dass die MFI ihre Finanzprodukte den Armen zu zu ‚Wucherzinsen‘ verkaufen, und diese dann mit Brachialgewalt eintreiben.
Auswüchse in der Mikrokredit-Branche
Tatsächlich ist es zu Auswüchsen gekommen, seitdem eine Reihe dieser "Para-Banken" nicht nur darauf aus sind, das Los der Armen mithilfe von Kleinkrediten zu verbessern, sondern auch hohe Gewinne einzufahren. 24 Prozent Jahreszins scheinen tatsächlich exorbitant. Aber die MFI muss das Geld in der Regel zu 12 Prozent aufnehmen, schlägt weitere 6 Prozent für die Kosten darauf, und es bleiben ihr 6 Prozent Marge – kaum eine Blutsaugeoperation also. Dass dies selbst für die Armen zu verkraften ist, zeigt der Vergleich mit dem traditionellen Geldverleiher, dessen Zins nicht selten 6 Prozednt und mehr ist – im Monat.
Im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh kam es zu einem regelrechten Wettrennen um Kunden, sodass eine Kreditnehmerin manchmal gleich mehrere Kredite aufnahm, und bald einmal eine Anleihe dafür einsetzen musste, um eine andere zu bedienen – der Beginn der Schuldenspirale. Und als dann noch die Eintreiber im Dorf auftauchten und die Schuldnerin öffentlich brandmarkten (‚shaming‘), kam es zu einzelnen Selbstmorden – und der Skandal war perfekt. Die Provinzregierung griff ein und belegt nun die MFI-Operationen mit derart schweren Auflagen, dass das ganze System zu ersticken droht.
"Aus dem Land von Professor Yunus"
Mein Freund und Kollege S.H., der aus Assam stammt und auch über Bangladesch berichtet, zweifelt, dass diese Entwicklungen das Verhalten der bangalischen Politikerin erklären. Für ihn ist es einzig und allein „Neid und Ranküne“. Und er hat auch den Ursprung der Hasskampagne Hasinas ausgemacht. Er erzählt von einem Treffen von EU-Politikern mit der Premierministerin vor zwei Jahren in Brüssel, dem er beigewohnt hatte. Ein EU-Redner erklärte, mit herzlich wenig Taktgefuehl, er begrüsse die Premierministerin, die „aus dem Land von Professor Yunus“ komme.
Das ist ein Echo, das keine Staatsrepräsentantin gerne hört. Und als nach der Absetzung von Yunus dann noch Hillary Clinton bei Sheikh Hasina anrief und sich für ihren „Freund Mohammed“ einsetzte, war das Mass voll, und dessen Schicksal besiegelt.
Mein Gewährsmann weist darauf hin, dass Mohammed Yunus vor drei Jahren mit dem Gedanken gespielt hatte, selber in die Politik einzusteigen. Mit seiner grossen Popularität unter der grossen Masse der Armen hätte er für die grossen Volksparteien (und ihrem Ruf als zerstrittene und korrupte Organisationen) eine gefährliche Konkurrenz dargestellt.