Verschwörungstheorien können als mehr oder weniger amüsante Spiele mit Wahrheitsansprüchen betrachtet werden. Manche rätselhaften Vorgänge finden in Verschwörungstheorien scheinbar plausible Lösungen. Am Ende sind diese Erklärungen dann doch nicht so plausibel, und man nimmt sie so amüsiert zur Kenntnis wie manche Zaubertricks.
Das ändert sich in dem Moment, in dem Behauptungen jenseits aller Begründbarkeit zum Mittel der Verhetzung werden. Da entwickelt sich eine eigene Logik: Wahr ist, was der Hetze dient. Und die Hetze wird mit expliziter Gewaltbereitschaft gewürzt. Das ist das Markenzeichen von QAnon.
Diese Bewegung erzählt davon, dass es eine gigantische Verschwörung von Hillary Clinton und ihrer ganzen Sippschaft mit ihrem „Deep State“, von Geoges Soros, von der jüdischen Weltverschwörung sowieso, dann von den Illuminaten – wer waren die noch, zum Teufel? – und in der Gegenwart von den Impfideologen mit ihren infamen Zielen, die natürlich von Bill Gates verfolgt werden, gibt. Gemäss QAnon stützen sich diese Bestien mit ihrer Perfidie auf ihre Geheimbünde. Und die haben natürlich unterirdische Verliese, in denen sie Kinder für jegliche Art des abscheulichsten Missbrauchs bereit halten.
Es kam schon vor, dass eine Pizzeria in Washington, D.C., von einem Eiferer von QAnon mit Waffengewalt gestürmt wurde, weil dieser im Keller endlich den Kinderpornoring aufspüren wollte, der natürlich von Hillary Clinton betrieben wurde. Leider musste er feststellen, dass diese Pizzeria über keinen Keller verfügte. Verschwörungstheoretiker dieser Art stört das natürlich überhaubt nicht. Kein Keller da: um so schlimmer für Hillary Clinton!
Gibt es in den Augen von QAnon eine Rettung vom „Deep State“, der internationalen jüdischen Finanzwelt und der Niedertracht von Bill Gates? Glücklicherweise ja, und der Retter heisst Donald Trump. Er ist, wie Beobachter berichten, eine Art Messias von QAnon. Natürlich haben ihn Journalisten danach gefragt. In seiner allseits bekannten Bescheidenheit sagte Trump, er wisse nur sehr wenig über QAnon, allerdings liebten diese ihr Land und seien gegen Pädophilie, und er habe gehört, dass sie ihn sehr mögen. Das gefalle ihm natürlich.
Als am 30. August 2020 alle möglichen Verschwörungstheoretiker in Berlin demonstrierten, hat ein amerikanischer Anhänger von QAnon einer deutschen Gesinnungsgenossin, Tamara Kirschbaum, ins Ohr geraunt, dass sich Trump in Berlin in der amerikanischen Botschaft befinde und drauf und dran sei, Deutschland zu befreien. Das war für sie das Signal zum Marsch auf die Treppen des Reichstags. Was dann geschah, zeigten die Nachrichtensendungen. Es beschäftigte den Bundestag, und die beiden Polizisten, die sich dem Mob entgegenstellten, wurden geehrt. Und Tamara Kirschbaum zeigt sich heute frustriert.
Verschwörungstheoretiker von QAnon mit ihrem gehörigen Mass an Gewaltbereitschaft – und in Amerika mit einem Übermass an Waffen – bilden noch eine internetbasierte lockere Organisation. Aber man muss es kalt und klar sagen: QAnon bedeutet das Ende der Toleranz, und zwar gerade derjenigen, die die Vernunft und Toleranz unserer Gesellschaft verteidigen. Wer Terror ersehnt und seine Schusswaffen vorzeigt, hat keinerlei Verständnis verdient. QAnon gegenüber ist die deutsche AfD ein laues Lüftchen. Der deutsche Verfassungsschutz sieht die Gefahr von QAnon, hat aber noch nicht auf offizielle Beobachtung geschaltet.
Es gibt einige harmlose Mitläufer von QAnon, die bass erstaunt sind, wenn sie von all den abstrusen Theorien und Machenschaften erfahren. Da genügt es, sie über den Unsinn, dem sie aufsitzen, aufzuklären. Aber es gibt andere, denen gegenüber härter aufgetreten werden muss. Denn da haben wir es mit Menschen zu tun, die für den Tag der Tage von massenhaften Verhaftungen und Genickschüssen träumen – und das auch klar äussern. Wir wissen nur zu genau, dass auch aus abstrusen Träumen Albträume entstehen können. Das gibt zu denken.