In Genf wird derzeit die 2015 fällige Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) vorbereitet. Im Vorbereitungsausschuss sind alle 189 Mitglieder des NPT vertreten. 43 Jahre nach seinem Inkrafttreten steht der Vertrag auf der Kippe. Indien, Pakistan und Israel (die einzigen Staaten, die dem NPT nicht beigetreten sind) bauen ihr Atomwaffenarsenal weiter aus.
Irans und Nordkoreas Nachbarn
Nordkorea hat den NPT 1985 unterzeichnet, ist aber 2003 wieder ausgetreten. Seither hat das Regime in Pjöngjang mehrere Atomsprengsätze getestet, zuletzt am 12. Februar. Iran gehört zu den Erstunterzeichnern des NTP, wird aber verdächtigt, unter dem Deckmantel der friedlichen Nutzung der Kernkraft Atomwaffen zu entwickeln. Sowohl Nordkorea wie Iran bauen ausserdem Langstreckenraketen, die kaum zum Verschiessen von faulen Eiern konzipiert sind.
Wenn es den fünf offiziellen Atomwaffenstaaten - die gleichzeitig die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats mit Vetorecht sind - nicht gelingt, Nordkorea und Iran am Bau von Atombomben zu hindern, ist eine Kettenreaktion kaum mehr zu verhindern. Japan, Südkorea, Saudi-Arabien und andere Länder werden nicht tatenlos zuschauen, wie sich feindselige Regime in ihrer Nachbarschaft mit modernen Massenvernichtungswaffen ausrüsten.
Nicht alle Staaten gleichberechtigt
Es stellt sich natürlich die Frage, wieso gewisse Staaten ein Recht auf Atomwaffen haben sollen und die anderen nicht? Diese Debatte beherrschte die sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und ist mittlerweile anachronistisch. Es setzte sich die Ansicht durch, dass das Überleben der Zivilisation einen höheren Stellenwert hat als die formale Gleichberechtigung aller Staaten. Je mehr Staaten Atomwaffen besitzen, desto grösser wird das Risiko eines Atomkriegs - als Präventivschlag, als Panikreaktion oder als Unfall.
Die Theorie, wonach mit der Verfügungsgewalt über Atomwaffen ein besonderes Verantwortungsgefühl einhergehe, ist leichtfertig. Man denke nur an die jüngsten Drohungen der nordkoreanischen Führung, Grossstädte der USA auszulöschen. Ob das nukleare Patt zwischen Indien und Pakistan ewig hält, ist ebenfalls ungewiss. Objektiv hat keiner der beiden Staaten durch die Einführung von Atomwaffen an Sicherheit gewonnen.
Arsenale verschrottet, Ambitionen aufgegeben
Angesichts der mit dem Besitz von Atomwaffen verbundenen Risiken haben einige Staaten ihre bereits existierenden Arsenale entsorgt. Die Ukraine, Belarus und Kasachstan liessen die von der Sowjetunion geerbten Atomwaffen verschrotten. Südafrika beendete die ursprünglich in Zusammenarbeit mit Israel vorangetriebene Entwicklung von Atomwaffen. Brasilien und Argentinien stellten ihre militärischen Nuklearprogramme gleichzeitig ein und unterzeichneten den NPT.
Wegerfinden lässt sich die Atombombe indes nicht mehr. Dem NPT zufolge gelten als legitime Atomwaffenstaaten, die vor dem 1. Januar 1967 einen nuklearen Sprengsatz erprobten. Allen Nachzüglern wird dieser Status vorenthalten. Das ändert zwar nichts an den geschaffenen Fakten, frustriert aber Staaten wie Indien und Pakistan in ihrem Streben nach einem ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Wenn es irgendwann zur überfälligen Reform des höchsten UNO-Organs kommt, wird der Besitz von Atomwaffen kein Aufnahmekriterium sein.
Offizielle Atommächte halten Versprechen nicht ein
Als Gegenleistung für ihren privilegierten Status haben sich die fünf offiziellen Atommächte im Artikel VI des NPT verpflichtet, ernsthafte Verhandlungen über eine baldige und vollständige nukleare Abrüstung aufzunehmen. Diese Verpflichtung blieb bisher toter Buchstabe. Nur in Frankreich und Grossbritannien werden gelegentlich Zweifel am Sinn der kostspieligen Atomstreitmacht laut. Bis sich daraus eine öffentliche Diskussion entwickelt, wird aber noch viel Wasser die Seine und die Themse hinunter fliessen.
Die unerfüllte Abrüstungsverpflichtung nährt den Verdacht, dass die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs mit dem NPT bloss ihr Vorherrschaft verewigen wollen. Auf der nächsten Überprüfungskonferenz wird daher eine Welle von Kritik erwartet. Möglicherweise kommen auch Austrittsdrohungen.
Keine neuen Ideen
In dieser Lage üben die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats unter dem Kürzel »P-5« den Schulterschluss. Das jüngste Treffen der P-5 fand am 18. und 19. April in Genf statt. Was ihre ranghohen Vertreter in der russischen Botschaft berieten, drang nicht durch die verschlossenen Türen. Die Teilnehmer gratulierten einander anschliessend zur guten Stimmung ihrer Gespräche, hielten eine Pressekonferenz ab und verteilten eine vierseitige gemeinsame Erklärung.
Diese Erklärung hinterlässt den Eindruck, als wäre sie vor 30 Jahren geschrieben worden. Neue Ideen sucht man vergebens. Als der Generaldirektor des chinesischen Rüstungskontrollamtes, Sen Pang, auf der Pressekonferenz gefragt wurde, ob China seine Atomwaffenbestände offenlegen werde, antwortete er: »Wir haben stets klar gemacht, dass wir nie als erste Atomwaffen einsetzen würden, und auf keinen Fall gegen einen Nicht-Atomwaffen-Staat. Das ist doch der höchste Grad von Transparenz!« So einfach ist es manchmal.
Ansätze zur Übereinstimmung
Immerhin bezeichnet die gemeinsame Erklärung die Atomwaffenversuche Nordkoreas und »gewisse nukleare Tätigkeiten Irans« als »ernste Herausforderungen des Regimes der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen«. Die P-5 sind sich einig, dass sowohl Nordkorea wie Iran »die relevanten Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats und des Gouverneursrats der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) missachten«.
Das iranische Aussenministerium beeilte sich festzustellen, dass Iran als Mitglied des Atomwaffensperrvertrags dessen Zielen verpflichtet bleibe und weiterhin mit der IAEO zusammenarbeiten werde. Nordkorea reagierte wie üblich mit einer Schimpftirade.
Israels Weigerung
Nirgends ist die Kriegsgefahr grösser als im Nahen Osten, wo sich mehrere Konflikte verflechten. Israel und die USA drohen, Iran anzugreifen, wenn die seit 2002 laufenden Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm keine Ergebnisse zeitigen. Zahlreiche Staaten, darunter Japan und Australien, bemühen sich, die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten voranzutreiben. Die P-5 haben sich schon 1995 unter dem Druck der Staatenmehrheit in einer Resolution verpflichtet, entsprechende Verhandlungen zu in die Wege zu leiten.
Davon ist man aber heute weiter entfernt als vor 18 Jahren. Die für 2011 und 2012 nach Helsinki einberufenen Konferenzen mussten wegen des Widerstands Israels abgeblasen werden. Der zum Vermittler ernannte finnische Unterstaatssekretär Jaakko Laajava stochert im Nebel herum.
Weder Wirtshaus noch Gefängnis
Die verbreitete Unzufriedenheit könnte dazu führen, dass eine Reihe von nuklearen Schwellenstaaten den NPT aufkündigt. Die P-5 haben dagegen kein anderes Rezept anzubieten als den Austritt juristisch zu erschweren. Derzeit kann jedes Mitglied den ursprünglich für 25 Jahre abgeschlossenen Vertrag kündigen, wenn »aussergewöhnliche Ereignisse die höchsten Sicherheitsinteresses eines Staates gefährden«. Die Regierung Nordkoreas konnte eine solche Gefährdung nicht begründen, als sie vor zehn Jahren ihren Austritt notifizierte. In den Augen vieler Völkerrechtler ist Nordkorea daher noch immer an die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags gebunden.
»Der NPT ist kein Wirtshaus, wo man rein- und rausgeht«, meint ein westlicher Diplomat. Der Vertrag darf aber wohl auch kein Gefängnis sein, in dem die Staaten gegen ihren Willen festgehalten werden.