In diesem Jahr soll der Tag der Beginn einer neuen Strategie gegen den Iran sein. Im neuen Kalten Krieg nimmt der Gottesstaat den Platz der untergegangenen Sowjetunion ein. Doch auch die Mächtigen in Teheran haben ihre Strategie.
Wie kann ein Staat den Schwarzhandel effektiv organisieren? Eine merkwürdige Frage, möchte man meinen: Der Staat ist doch gerade dafür da, Schmuggel und Schieberei zu bekämpfen – nicht zu organisieren.
Abnorme Zeiten
Aber der Einwand ist nur im Prinzip richtig, denn es gibt Ausnahmen und Sonderfälle. Ein Staat, der Schwarzhandel bekämpfen will, muss selbst ein halbwegs normaler Staat sein; ausserdem muss die Zeit, in der er agiert, ebenfalls eine normale, will heissen, eine Friedenszeit sein. Und genau diese Ausnahmen sind es, die uns zum Iran und zu seinem Erdöl führen.
Die Islamische Republik Iran ist kein normaler Staat. Sie ist jedenfalls keine Republik im herkömmlichen Sinne. Und dieser besondere Staat befindet sich zur Zeit in einer Art Kriegszustand. Deshalb sieht er sich gezwungen, Schwarzhandel zu betreiben, anstatt ihn bekämpfen. Denn der Gottesstaat sucht in diesen sonderbaren Zeiten dringend Wege und Methoden, um dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, ein Schnippchen zu schlagen. Und er glaubt, fündig geworden zu sein.
„Schmerzhafte Sanktionen“
Trump will am 4. November eine neue Sanktionsrunde gegen den Iran ankündigen. „Schmerzhafte Sanktionen“ würden das sein, wiederholt Trump, seit er an der Macht ist. So will er etwa die Bankverbindungen des Iran zur Aussenwelt kappen, den Verkauf bestimmter Güter an den Iran verbieten und den Kauf iranischen Erdöls unter Strafe stellen.
Doch die Machthaber in Teheran haben sich einiges einfallen lassen, um ihr wichtigstes Exportgut weiterhin an den Kunden bringen zu können.
Die merkwürdigste Börse der Welt
Mitte Oktober eröffnete der iranische Vizepräsident Ishagh Jahangiri in Teheran eine Börse, die in ihrer Art einmalig in der Welt sein dürfte. Sie nennt sich Energiebörse. Der Staat tritt dort als Verkäufer auf und bietet Erdöl an: zu verschiffen am Persischen Golf und pro Barrel bis zu fünf Dollar billiger als der Tagespreis auf dem Weltmarkt. Der Käufer bleibt anonym, damit die USA ihn nicht bestrafen können. Er muss allerdings kleine wendige Tankschiffe zur Verfügung haben. Das Schiff wird höchsten 37’000 Tonnen Öl laden und ohne Navigation auf den Weltmeeren unterwegs sein, damit man es nicht orten kann. Der Käufer zahlt im voraus 20 Prozent des Preises in iranischer Währung, den Rest nach dem Weiterverkauf des Öls in US-Dollar oder Euro.
Alles bleibe geheim, verspricht die Regierung: nicht nur der Name des Käufers, sondern auch der des Endabnehmers. Auch wo der Öltanker herkommt und unter welcher Flagge er unterwegs ist, werde nicht verraten. Damit glaubt die Regierung in Teheran einen Weg gefunden zu haben, um mindestens eine Million Barrel Öl pro Tag verkaufen zu können.
Offene Türen für Korruption
Ein Wagnis mit vielen Ungewissheiten. Ob der Staat durch diesen Schwarzhandel tatsächlich den vollen Preis für sein Öl erhält, ist ungewiss. Ausserdem sind sich alle Beobachter einig, dass dieser undurchsichtige Weg des Ölverkaufs der Korruption Tür und Tor öffnet.
Denn schon einmal beschritt die Islamische Republik diesen verhängnisvollen Weg. Es war 2008 und Ahmadinedschad Irans Präsident. Auch er musste damals den Erdölverkauf dubiosen Zwischenhändlern überlassen, um internationale Embargos zu umgehen. Das lukrative Erdölgeschäft übernahmen seine Vertrauten. Acht Jahre lang blühte der Schwarzhandel mit dem schwarzen Gold. Am Ende gab es zahlreiche unglaubliche Korruptionsskandale, über die man Romane schreiben oder Kino-Thriller drehen könnte. Der Chef der Nationalbank setzte sich mit Milliarden nach Kanada ab, eine andere schillernde Figur, einst Fahrer eines wichtigen Funktionärs, wurde über Nacht Multimillionär, er steht derzeit vor Gericht. Man wirft ihm vor, Milliarden Dollar aus dem Ölverkauf unterschlagen zu haben.
Doch trotz oder gerade wegen des Schwarzhandels und der Schiebereien erreichte Ahmadinedschad einen nie dagewesenen Rekord. In den acht Jahren seiner Präsidentschaft verkaufte er Erdöl im Wert von 800 Milliarden Dollar – mehr als alles, was der Iran seit Entdeckung seines Erdöls erzielt hatte.
Trump hat vorgesorgt
Doch ob die windigen Schwarzhändler auch diesmal ähnlich erfolgreich sein werden, ist zweifelhaft. Die Trump-Administration hat vorgesorgt. Mitte August ernannte US-Aussenminister Mike Pompeo den erfahrenen Politikberater Brian Hook zum Iran-Sonderbeauftragten. Hook war ein enger Berater des früheren Aussenministers Rex Tillerson, arbeitete mit dem nationalen Sicherheitsberater John Bolton zusammen und ist für seine entschiedene Haltung gegen den Iran bekannt. Nun leitet Hook eine Aktionsgruppe, die iranische An- und Verkäufe weltweit strikt überwacht. Vor allem den Verkauf iranischen Erdöls, auf welchem Weg auch immer, soll sie unterbinden. „Hooks Iran-Aktionsgruppe wird den Druck auf den Iran koordinieren, sie wird für die Steuerung, Überprüfung und Koordinierung aller Aspekte der Aktivitäten des Aussenministeriums im Iran zuständig sein und direkt an mich berichten“, sagte Pompeo bei ihrer Vorstellung.
Iran nimmt den Platz der Sowjetunion ein
Offenbar erleben wir eine Zeitenwende in der US-amerikanischen Aussenpolitik gegenüber dem Iran. Auf der Webseite des amerikanischen Aussenministeriums ist seit Anfang Oktober ein langer Text Pompeos zu lesen. Der Titel: „Confronting Iran: The Trump Administration’s Strategy“.
https://www.state.gov/secretary/remarks/2018/10/286751.htm
Schon der erste Satz kündigt an, wohin die Reise geht. Er lautet: „The end of the Cold War forced new thinking among policymakers and analysts about the greatest challenges to U.S. national security.“ Dem folgt eine lange Analyse, warum die Islamische Republik für die Sicherheit Amerikas und der ganzen Welt eine Gefahr darstelle; dann folgen einzelne Taten und Untaten des Regimes rund um die Welt. Schliesslich beschäftigt sich der Aussenminister in seinem Beitrag mit der Innenpolitik der iranischen Regierung und sagt das Ende des Regimes voraus. Liest man diesen Text gründlich, kommt man unweigerlich zu dem Schluss: Der Iran ist für die neue US-Regierung die Sowjetunion unserer Zeit. Und so wie die westliche Welt einst alles daran gesetzt habe, die Sowjetunion zu besiegen, komme man auch heute nicht umhin, gemeinsam und unter Führung der USA auf den Niedergang des iranischen Regimes hinzuarbeiten.
Die Mächtigen in Teheran haben längst begriffen, worum es geht. Ihre Macht steht auf dem Spiel. Und die kommenden Monate werden entscheidend sein. Sie wissen, warum sich Donald Trump für die Verkündung seiner neuen Sanktionsliste gerade den 4. November ausgesucht hat.
4. November: der symbolträchtige Tag
Für die verhängnisvolle Beziehung zwischen Teheran und Washington findet sich im Kalender kein anderer Tag, der so symbolträchtig wäre. Am 4. November 1979 nahm jene Katastrophe ihren Lauf, deren Folgen bis heute andauern. Damals stürmte eine Gruppe von Studenten das Gelände der US-Botschaft in Teheran und nahm 63 amerikanische Staatsbürger gefangen. Die Islamische Republik war gerade sieben Monate alt. Die US-Diplomaten wurden 444 Tage lang festgehalten und fast täglich mit verbundenen Augen der internationalen Presse vorgezeigt. So wurde die grösste Weltmacht 15 Monate lange mediengerecht der Weltöffentlichkeit vorgeführt. Die Mehrheit der Amerikaner empfand dieses Ereignis als grösste Erniedrigung ihrer jüngsten Geschichte. Und diese Wahrnehmung bestimmt seit fast vierzig Jahren die feindselige Nichtbeziehung zwischen Teheran und Washington.
Nie vergehende Feindschaft
Und beide Seiten haben die Maschinerie des gegenseitigen Hasses in den seither vergangenen vier Dekaden mit aller Kraft in Gang gehalten. Allen sporadischen Annäherungsversuchen zum Trotz gehört die Islamische Republik für die USA weiterhin zur „Achse des Bösen“. Einst sassen auf dieser auch Saddam Hussein und Nordkoreas Diktatoren. Doch nun sitzt der Iran offenbar ganz allein auf dieser Achse.
Und die Machthaber im Iran tun ihrerseits alles, um ihren Platz dort zu verteidigen. Jedenfalls propagandistisch: So sitzen in der einstigen US-Botschaft inzwischen die Revolutionsgarden. Und vor dem Gebäude verbrennen Demonstranten alljährlich am 4. November US-Fahnen und erneuern mit Hassparolen ihre Feindschaft mit dem „grossen Satan“.
Zufall oder nicht: ِEs war auch ein 4. November, an dem Ayatollah Ruhollah Khomeini, der spätere Gründer der Islamischen Republik, 1964 sein Exil antreten musste. Der Schah habe den Ayatollah auf Anweisung der USA des Landes verwiesen, so die Geschichtsschreibung der Mächtigen in Teheran. Wie auch immer: Dieser Tag ist im Iran nach offizieller Lesart ein Gottestag, an den mit staatlich organisierten Aufmärschen im ganzen Land erinnert wird – und in diesem Jahr aus gegebenem Anlass erst recht.
Staatliche Aufmärsche gegen Sanktionen
„Diesen Gottestag wird Herr Trump uns nicht vergällen oder versauern können“, erklärte der iranische Präsident Hassan Rouhani vergangenen Dienstag vor dem „Kulturrat für die Islamische Revolution“. Dieser mächtige Rat, der seit dem Sieg der Revolution die offizielle Propaganda und die staatlichen Demonstrationen organisiert, hat derzeit viel zu tun.
Denn die Islamische Republik wird bald vierzig Jahre alt, und man hat sich vorgenommen, das so gigantisch zu feiern, dass alle – Feinde ebenso wie Freunde – beeindruckt sind. So mächtig und prächtig sollen die Feierlichkeiten sein, dass sich niemand mehr traut, vor allem Trump nicht, vom Ende der Islamischen Republik zu sprechen.
Lackmustest ist der bevorstehende 4. November, der Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft, an dem die USA „ihre ewige Feindschaft erneut zeigen und neue Sanktionen gegen den Iran verkünden wollen“, so beschreibt es der Kulturrat in seinem Aufruf zu einem landesweiten Aufmarsch. Die Propagandamaschine für die Mobilisierung der Massen läuft seit Wochen auf Hochtouren. Am 4. November solle Trump erfahren, dass er es nicht allein mit einer Regierung, sondern mit einem ganzen Volk zu tun habe, heisst es weiter.
„Nichts wird passieren“
Was geschieht tatsächlich am 4. November, was wird mit der iranischen Wirtschaft geschehen? Jenseits aller Propaganda gibt es auf dem Teheraner Basar sehr irdische Fragen, etwa, wie teuer der US-Dollar auf dem Schwarzmarkt sein wird, welche Waren knapp werden und was man am besten horten solle.
„Am 4. November wird nichts passieren“, beruhigt der iranische Aussenminister Javad Zarif – und alle Regierungsmitglieder wiederholen seinen Satz. Und sie werden höchstwahrscheinlich recht behalten. Denn man hat sich auf dieses Datum gut vorbereitet – nicht nur mit Massendemonstrationen. An diesem Tag wird die Regierung so viele Dollars auf den Markt werfen, dass der Kurs sogar fallen wird. Denn der Dollarkurs auf dem Schwarzmarkt, der sich seit dem Amtsantritt Rouhanis vor fünf Jahren verfünffacht hat, sagt viel über den Zustand des Landes aus.
Hoffen auf Trumps Scheitern
Den 4. November wird die Islamische Republik also mit Sicherheit gut überstehen. Doch der Ernst des Lebens beginnt danach. Dem Gottesstaat steht eine ungewisse Zeit bevor. Es gibt nicht wenige Beobachter, die meinen, die Islamische Republik werde Trumps Amtszeit nicht überstehen. Deshalb liest man auf den Mächtigen nahestehenden Webseiten derzeit regelmässig Artikel amerikanischer Autoren, die behaupten, Trump werde die bevorstehenden Zwischenwahlen ebenso verlieren wie die nächste Präsidentschaftswahl.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal