Iran hatte seit dem August Zeit, sich auf die zweite Welle amerikanischer Sanktionen vorzubereiten, die nun, am 4. November in Kraft treten werden. Die neue Sanktionswelle wird schärfer sein als die vorausgegangene vom August, weil sie die Erdölexporte Irans betrifft, die Transporte zur See sowie allen Handel in Dollar, Gold oder anderen Zahlungsmitteln über iranische und ausländische in Iran tätige Banken.
Die Gegenmassnahmen, die Iran traf, waren politischer und wirtschaftlicher Natur. Im Wirtschaftsbereich waren sie wenig erfolgreich, weil es Iran nicht gelang, die rapide Abwertung des Rials gegenüber dem Dollar in den Griff zu bekommen. Der Kurs wurde schliesslich freigegeben, und der Rial verlor fast die Hälfte seines bisherigen Wertes gegenüber dem Dollar, was zu einer starken Teuerung der Lebenshaltungskosten führte. Die Bevölkerung wurde zunehmend unzufrieden und demonstrierte gegen die iranische Wirtschaftspolitik. Das Parlament zwang Präsident Rouhani, seine für die Wirtschaft verantwortlichen Minister und obersten Bankdirigenten zu entlassen und neue einzustellen. Die Demonstrationen wurden niedergeschlagen.
Rouhani geschwächt
Die politische Position Rouhanis und seiner Gesinnungsgenossen war soweit angeschlagen, dass der Präsident und die Seinen sich gezwungen sahen, Teile des politischen Diskurses ihrer bisherigen Kritiker und Gegenspieler, der Revolutionsgarden, zu übernehmen und auch ihrerseits scharfe Kritik an „den Amerikanern“ zu üben, deren Unzuverlässigkeit durch den Vertragsbruch in Bezug auf das von ihnen mitunterschriebene Atomabkommen typisch sei.
Im politischen Bereich unternahm die Rouhani-Regierung einen Versuch, die anderen Mitunterzeichner des Abkommens zu veranlassen, den Vertrag nicht ebenfalls zu kündigen. Formell war dies erfolgreich. Die EU redete sogar von einem „speziellen Vehikel“, das eingerichtet werde, um weiterhin Handel mit Iran zu treiben. Doch dies blieb eher theoretisch, selbst wenn das „Vehikel“ wirklich zustande käme.
Keinen Bruch mit den USA zugunsten Irans
Letztlich müssen die europäischen Unternehmer darüber entscheiden, ob sie trotz der Boykottdrohungen der USA, die sich auch gegen Firmen von Drittstaaten richten, die sich nicht an die amerikanischen Vorschriften halten, ihre Geschäftsbeziehungen mit Teheran fortführen wollen.
Es erwies sich, wie voraussehbar, dass gerade die grossen weltumspannenden Firmen einen Bruch mit den USA zugunsten von Iran nicht auf sich nehmen konnten und wollten. Sie verzichteten lieber auf die Pläne und Angebote, die sie seit dem Atomabkommen von 2015 gegenüber Iran entworfen und vorgelegt hatten.
Wird China zur Stütze Irans?
Wie weit es Teheran gelungen ist, sich im aussenpolitischen Bereich gegen die Folgen des nun ernsthaft beginnenden amerikanischen Wirtschaftskriegs gegen Iran abzusichern, indem es sich auf China und Russland abstützt, ist unklar. Falls es in dieser Hinsicht Abkommen geben sollte, wurden sie nicht bekannt gegeben.
Zu bedenken ist, dass Russland auf dem Erdölmarkt mit Iran in Konkurrenz steht. Beide sind Grossexporteure, und Moskau dürfte es lieb sein, wenn der Ölpreis auf dem Weltmarkt ansteigt, weil Iran als Lieferant ausfällt. China ist umgekehrt Grossabnehmer von iranischem Öl und wird diese Position beibehalten, umso mehr, als die Spannungen im Wirtschaftsbereich mit Washington andauern und weiter zunehmen. Eine Intensivierung des Handels zwischen China und Iran ist durch diese Gegebenheiten unvermeidlich. Er wird nicht über Dollar, sondern in den Währungen beider Partner geführt werden.
Die Macht der Revolutionswächter wächst
Auch im innenpolitischen Bereich zeichnen sich Veränderungen ab. Rouhani, der eine Rückkehr seines Landes in die Staatengemeinschaft anstrebt, ist geschwächt, auch wenn die Bevölkerung zweimal gezeigt hat, dass sie mehrheitlich auf seiner Seite steht. Andererseits nimmt die Macht der Revolutionswächter zu. Sie sind wichtiger als je zur Gewährung der Ruhe und Sicherheit des Regimes.
Schon während der Boykottperiode vor dem Abkommen von 2015 ist die Macht der Wächter gewachsen, weil sie einerseits die entscheidende Stütze der Staatsmacht bilden, auf welche der herrschende Gottesgelehrte Khamene’i auch dann zählen kann, wenn das Volk versuchen sollte sich gegen ihn aufzulehnen. Andrerseits aber auch, weil sie und ihre führenden Generäle die Fachleute wurden, die Methoden und Massnahmen fanden und durchführten, welche zur Umgehung der Sanktionen dienten. Sie konnten dadurch ihre ohnehin starken Positionen im Wirtschaftsbereich ausbauen und festigen, und sie waren natürlich auch für die damalige Atompolitik der Uranium-Anreicherung als Vorstufe für den Bau einer Atombombe zuständig.
Rückkehr zur Atompolitik?
Die Mittel, die sich in ihren Händen vermehren, und ihre wachsende Macht innerhalb des Staates werden ohne Zweifel dafür eingesetzt werden, dass der Aufbau einer Industrie für schwere Waffen, einschliesslich der Raketen, weiter betrieben wird und dass ihre Politik der Einflussnahme im Nahen Osten mit dem Mittel der Unterstützung der schiitischen und pro-schiitischen Minderheiten fortdauert. Sie drohen auch zu der von ihnen getragenen Atompolitik zurückzukehren, falls der Vertrag von 2015 nicht die Früchte bringt, die Rouhani und seine Mitstreiter erhofft und versprochen hatten.
Rouhani und die Seinen waren seit dem August, als das erste Sanktionspaket eintraf, wie zu erwarten, einer starken Kritik von Seiten der Wächter und auch Khamene'is selbst ausgesetzt. Seine „Naivität“, als er auf die „doppelgesichtigen Vorschläge“ der Amerikaner und ihrer „Gefolgsleute in Europa“ einging, wurde ihm vorgehalten. Doch in der jüngsten Zeit nahm diese Kritk ab. Am 1. Oktober hielt Präsident Rouhani eine Fernsehansprache, in der er die Iraner vor den harten Zeiten und Entbehrungen warnte, die ihnen durch die Sanktionen bevorstünden. Seine Kritiker vonseiten der konservativ islamistischen Kräfte und vonseiten der Wächter schwiegen. Sie dürften sich gesagt haben, es sei mittelfristig besser für sie, wenn Rouhani die Regierungsverantwortung weiterhin trage und damit dafür verantwortlich gemacht werde, was den Iranern an Härten bevorsteht. Wenn sie zu früh die Verantwortung übernähmen, könnten auch sie Zielscheiben von Zorn und Enttäuschung der Bevölkerung werden.
Offensive Hardliner
Präsident Trump und seine Iran-Falken, wie Aussenminister Pompeo und Sicherheitsratschef Bolton, scheinen daran zu glauben, dass ein Regimewechsel in Iran aufgrund eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der dadurch entstehenden Unzufriedenheit denkbar sei. Doch zunächst steht mit viel grösserer Wahrscheinlichkeit eine bedeutende Zunahme des Machtanteils der Wächter bevor. Sie werden ihre wachsende Macht dafür einsetzen, die Bewaffnung Irans auszubauen und selbst als die Lenker einer Konfrontationspolitik gegenüber sunnitisch konservativen Rivalen im Nahen Osten zu wirken, die sie als Verbündete der Amerikaner und Israeli ansehen.
Je mehr die Bevölkerung unter den Sanktionen leiden wird, desto glaubhafter werden die Behauptungen der Wächter wirken, wenn sie von der Notwendigkeit reden, die Islamische Republik Iran nicht erst in Iran selbst, sondern schon westlich im Vorfeld der arabischen und östlich der afghanischen Nachbarschaft mit Hilfe der dortigen schiitischen und pro-schiitischen Minderheiten „präventiv“ abzusichern und zu verteidigen.