Das Werk von Simone Kappeler ist motivisch breit angelegt, aber sie hat ihren unverwechselbaren Stil. Etwas überspitzt kann man fragen, ob es sich dabei überhaupt noch um Fotografie handelt. Kappeler liebt die Verfremdung, für die sie im Laufe der Jahrzehnte unterschiedliche Techniken entwickelt hat.
Jenseits der Zeit
Viele Aufnahmen entstehen in Alltagssituationen, aber sie unternimmt auch längere Reisen, um sich inspirieren zu lassen. In eigenen Worten beschreibt sie den Vorgang des Fotografierens wie einen mythischen Prozess:
«Wenn ich sehe und photographiere, habe ich keinen Zeitbegriff mehr. Die Zeit ist aufgehoben im doppelten Wortsinn: In dem Augenblick, in dem man das Bild auslöst, sieht man nicht mehr. Der Verschluss der Kamera geht zu, das Bild wird aufgezeichnet im Verborgenen. Das ist das mechanische Verschwinden. Sobald ich den Auslöser drücke, trifft mich oft gleichzeitig das Bewusstsein, dass dieser Moment jetzt vorbei ist. Was ich beobachtet habe, tritt zurück vor meinen Augen, wird ferner, dunkler, taucht ab und zerfliesst. Ich bin froh, dass ich das Photo nicht sofort sehen kann. Das wäre mir zuviel. Es genügt mir, das Bild in mir zu tragen und zu wissen, dass es auf dem Film seinen Abdruck hinterlassen hat als ein latentes Bild, das ich später, beim Entwickeln, ans Licht holen kann.«
Die Bilder von Simone Kappeler, geboren 1952, befinden sich in zahlreichen Sammlungen im In- und Ausland. Dazu kommen Bücher und Auszeichnungen. Autorinnen und Autoren haben sich im Laufe der Jahrzehnte an der Interpretation versucht. So wird, wie es im Begleittext zur Ausstellung der Bildhalle heisst, der Aspekt der «Zeitlosigkeit» betont. Ein paar Zeilen später heisst es: «Vielen Fotografien ist etwas Fliessendes zu eigen. Die Gegenstände scheinen leicht zu flimmern, es fehlt ihnen eine klare Kontur.» Das sind Beobachtungen, die sich auch bei zahlreichen Fotos anderer Fotografinnen und Fotografen anstellen lassen. Offensichtlich ist es alles andere als einfach, sich sprachlich einen Reim auf die Bilder von Simone Kappeler zu machen.
Stellt man die Fotos jedes für sich nebeneinander, wie sie in einem der Bücher oder jetzt auch auf der Website der Bildhalle erscheinen, so kann den Betrachter ein Gefühl der Ratlosigkeit beschleichen. Um so beeindruckender ist die Stimmigkeit der Zusammenstellung und Hängung der gegenwärtigen Ausstellung der Bildhalle. Einen vorzüglichen Eindruck vermittelt davon eine «3D-Version».
Simone Kappeler hat einen festen Platz in der zeitgenössischen Schweizer Fotografie. Ihre Bilder aber fügen sich keinem Schema.
Simone Kappeler: Falling out of Time, bis 3. Juli 2021, Bildhalle. Galerie für zeitgenössische und klassische Fotografie, Stauffacherquai 56, Zürich, Bildhalle.ch