Auch so etwas Flüchtiges wie eine Idee ist ein zartes Pflänzchen, das gehegt und gepflegt sein will. Das weiss Albert Lutz, der Direktor des Museums Rietberg in Zürich. Ein aktiver Hobby-Gärtner ist er zwar nicht, aber sein Arbeitsweg führt ihn seit dreissig Jahren durch einen der schönsten Landschaftsgärten der Schweiz, den Rieterpark. Die Idee, zur neuesten Ausstellung lag also buchstäblich vor der Haustür. «Genauso ist es», bestätigt er. «Die Idee hatten wir vor drei Jahren schon, aber erst die letzten beiden Jahre habe ich mich intensiv damit beschäftigt».
Und nun breiten sich im und um das Museum Rietberg die «Gärten der Welt» aus. Gärten. die schon in alten und ältesten Abbildungen als Sehnsuchtsorte, als Oasen, als Begegnungsraum oder - umgekehrt - auch als Möglichkeit des Rückzugs dargestellt werden. Nicht nur im Museum selbst, sondern vor allem auch im Rieterpark draussen vor der Tür blüht und duftet es, wo sich sonst nur Bäume und grüne Wiesen ausbreiten. Die Stadtgärtnerei hat vieles nach altem Muster und historischen Vorbildern angelegt und während der nächsten Wochen und Monate wird sich der Rieterpark je nach Jahreszeit in allen Blüten-Farben herausputzen.
Gärten im Altertum
Im Museum steht man am Anfang der Ausstellung sofort einem Abbild des ältesten und bekanntesten Gartens gegenüber: dem biblischen Garten Eden. Dem verlorenen Paradies, dem der Mensch seit jeher nachtrauert, egal in welcher Religion. Deshalb versuchen Menschen seit eh und je, ihr eigenes Paradies in einem Garten, und sei er noch so klein, wieder zu finden. So konfrontiert die Ausstellung Gärten des Orients mit jenen des Okzidents: zauberhafte Wunschtraumwelten sind es auf beiden Seiten, dargestellt in Form von Gartenanlagen aus dem Diesseits. Neben dem Garten Eden befindet sich im Museum Rietberg dann gleich ein Urwald, ein Garten, den kein Mensch angelegt hat, sondern in dem Mutter Natur wildes Gewächs üppig spriessen lässt.
Die ältesten Gartenbilder stammen aus Ägypten. Von dort führt die Ausstellung weiter zu den Gärten des Islam, und von japanischen und chinesischen Gärten zur europäischen Gartenkultur. Besonders stolz ist Albert Lutz, dass es ihm gelungen ist, zwei Steinreliefs aus dem Grab des Priesters Nijaji aus der Zeit um 1290 vor Christus zusammen auszustellen. Die beiden Reliefs sind sonst in Hannover und Berlin getrennt ausgestellt.
Zwischen Ost und West
Gezeigt wird auch, wie sich der Westen gartenmässig vom Osten inspirieren liess. Italienische Renaissance-Gärten mit ihren kunstvollen Anlagen gehen auf persische Gärten zurück. Und die französischen Barockgärten sind wiederum den italienischen Gärten der Medici nachempfunden. Eine prunkvolle Villa, umgeben von einem riesigen Ziergarten – ganz ohne Landwirtschaft! – das war für die damalige Zeit etwas Neues und Nachahmenswertes. Diese mitteleuropäischen Gärten waren von Symmetrie und mathematischen Grundrissen geprägt. Auf der anderen Seite sind die locker gestalteten, naturnäheren englischen Gärten von chinesischen Gärten beeinflusst, wo bizarre Felsen und eine sich freier entfaltende Natur im Vordergrund stehen.
Ein wesentlicher Teil der Ausstellung befasst sich auch mit Künstlern und ihrer Sicht auf Gärten. Da findet man einerseits die akribischen und zugleich kunstvollen Pflanzenzeichnungen von Conrad Gessner, andererseits Landschafts-Gemälde von Claude Lorrain, Claude Monets Malereien seines Gartens in Giverny, Max Liebermanns Garten am Wannsee, Carl Spitzwegs «Maler im Garten», Adolf Dietrichs Vorgarten in Berlingen am Bodensee, oder sogar nur sein Fensterbrett mit Geranien, aber auch Alberto Giacomettis verwilderten Garten in Stampa.
Ohne Ai Weiwei geht es auch hier nicht… ausgestellt sind eine Reihe vergoldeter Köpfe des chinesischen Tierkreises. Sie sind den Bronzeskulpturen nachempfunden, die einst im Garten des Sommerpalasts in Peking als Wasserspeier dienten. Dieser Sommerpalast stammte aus dem 18. Jahrhundert und geht auf Pläne des italienischen Jesuiten Giuseppe Castiglione zurück, der damals am chinesischen Hof weilte. Entstanden ist eine Art Miniatur-Versailles im Stil des Barock und Rokoko. Im zweiten Opiumkrieg wurde die Anlage vor allem von englischen Truppen zerstört, ebenso die meisten der Bronzefiguren. Ai Weiwei hat sie nun nachgebildet: statt elitäre Kunst am Kaiserhof ist es nun Kunst für alle, lautet sein Motto
Reise in die Gärten
Albert Lutz, der sich nun zwei Jahre intensiv mit Gärten befasst hat, besitzt selbst keinen eigenen. «Aber meine Frau hat einen kleinen Balkon-Garten», sagt er und fügt bei: «Man muss nicht selber Gärtner sein, um Freude am Garten zu haben oder um eine Ausstellung darüber zu machen. Ich beschäftige mich sonst auch mit Kunst, ohne selbst Künstler zu sein. Und nachdem ich bereits Ausstellungen über Orakel, Mystik, Liebeskunst oder den Kosmos gemacht habe, fand ich, es ist auch für mein Alter ein schönes Thema, sich mit Gärten zu beschäftigen». So hat er während der vergangenen zwei Jahre seine Reiseziele nach den Gärten ausgerichtet, die er besuchen wollte, bevor sie Teil der Ausstellung wurden. Und manche Entdeckung, die er auf seinen Garten-Expeditionen gemacht hat, ist später in seinem Blumenkistchen auf dem Balkon gelandet. Die «bluebells» zum Beispiel, Englands blaue Blumen, die er im Landschaftsgarten von Rousham in der Nähe von Oxford entdeckt hat.
Und wie müsste sein eigener Traumgarten aussehen, wenn er sich einen anlegen würde? «Ich koche sehr gern, und ein paar Kräuter und etwas Gemüse wären schön. Ein Familiengarten würde mir wohl am ehesten entsprechen…» So eine Art Schrebergarten? «Ja, genau». Und damit liegt er absolut richtig. Denn auch Schrebergärten sind mittlerweile «Gärten der Welt». Hier ziehen Schweizer und Ausländer ihre Flagge auf und züchten Gemüse aus der jeweiligen Heimat. «Und es ist doch interessant, zu sehen, wie Menschen aus verschiedenen Kulturen durch gemeinsames Anpflanzen und Aufziehen ihrer Setzlinge eine gemeinsame Ebene finden», sagt Albert Lutz zum Integrationspotenzial des Gärtnerns in der Welt.
Bis in den Herbst dehnen sich die «Gärten der Welt» in und um das Museum Rietberg aus. Immer wieder mit anderen Bepflanzungen im Freien, mit Veranstaltungen der verschiedensten Art, lehrreich oder unterhaltsam oder beides, mit Büchern und mit Blumensamen, um sich auch auf dem eigenen Fensterbrett selbst ein kleines Paradies heranzuziehen.
Und was passiert im Herbst mit all den Pflanzen im Rieterpark, die sozusagen nur als Sommergäste dort waren? «Am Schluss essen wir alles auf…!» So die überraschende Antwort von Albert Lutz, denn tatsächlich sind viele Pflanzen essbar und kehren so in den ewigen Kreislauf der Natur zurück. Diese Art der Entsorgung entspricht durchaus auch einer pragmatischen englischen Gartenweisheit, die da lautet: «Aus den Träumen des Sommers wird im Herbst Marmelade gemacht.“
Museum Rietberg, Zürich
"Gärten der Welt", bis 9. Oktober 2016
www.gaertenderwelt.ch