In wenigen Tagen wird ein neues Flugzeug in Payerne vorgestellt. Am kommenden 1. Mai findet der Jungfernflug statt: eine Art Testflug für ein riesiges Abenteuer. Im Frühjahr 2015 soll erstmals ein Flugzeug die Erde umrunden – ohne einen Tropfen fossilen Brennstoff.
Hinter dem Projekt steht Bertrand Piccard. Mit einem Solarflugzeug will er zwischen März und Juni des kommenden Jahres in den Vereinigten Arabischen Emiraten starten. Über Burma, Südchina, den Pazifik will er nach Hawaii und Florida fliegen, dann über den Atlantik nach Südspanien - und von dort wieder in die Arabischen Emirate. Mit der Sonne um die Welt.
Das Unternehmen ist eine Botschaft an die Welt, endlich umzudenken und vermehrt auf alternative Energie zu setzen.
Science-Fiction-Phantasien übertroffen
Bertrand Piccards neuestes Abenteuer steht am Anfang einer grossartigen Bild-Biografie über die Piccard-Dynastie. Im Detail und mit Dutzenden wunderbaren Fotos illustriert, werden die Pioniertaten von Auguste, Jacques und Bertrand Piccard beschrieben. Autoren des fast 200 Seiten dicken Werks sind Roland Jeanneret und Susanne Dieminger.
Die drei Piccards haben „die kühnsten Entwürfe in Science-Fiction-Romanen übertroffen", schreibt der Abenteurer Sir Richard Branson in einem Vorwort.
11‘628 Solarzellen
Bevor er ein Solarflugzeug baute, umrundete Bertrand Piccard am 21. März 1999 mit einem Ballon die Erde. Es war die Geburt einer unvorstellbaren Vision: die Umrundung der Erde ohne fossilen Treibstoff.
Vorangetrieben wurde die Idee eines Solarflugzeugs an der ETH in Lausanne. Dort fand Piccard in der Person des Ingenieurs André Borschberg ein ideales Pendant. In kurzer Zeit reiften die Idee und die Verwirklichung des visionären Konzepts.
Eine Herausforderung war das Gewicht. Bei Solar Impulse 1 machen allein die Batterien zur Speicherung der Sonnenenergie fast ein Viertel des Gesamtgewichts aus. Zuerst war ein Zweisitzer-Flugzeug geplant. Doch um das Gewicht zu reduzieren, begnügte man sich mit einem Einsitzer. 11‘628 Solarzellen sind nötig um die Motoren anzutreiben und die Batterien aufzuladen. Die Rumpflänge beträgt 22 Meter, die Flügelspannweite ist etwa so gross wie jene eines Airbus A340.
„Was ihr wollt, ist unmöglich“
Die beiden Konstrukteure stiessen immer wieder auf Widerstände. Immer wieder hörten sie Branchenspezialisten sagen „Was ihr wollt, ist unmöglich“. „Möglich machten es dann andere Spezialisten“, sagt Piccard, „das Elektrofahrzeug Tesla ist auch nicht von einem Autokonstrukteur, sondern von einem Internetspezialisten entwickelt worden.“
Schliesslich wurden alle Widerstände überwunden. Piccard gelang es, mit Solar Impulse 1 von der Schweiz nach Marokko zu fliegen. Mehr noch: Die USA überflog er von Küste zu Küste. Die amerikanischen Medien überschlugen sich mit Lobpreisungen. 7‘000 Presseartikel berichteten darüber, viele Millionen Menschen verfolgten den Flug via Internet. Radio und Fernsehen erreichten mit ihren Solar-Berichten 8,5 Milliarden Nutzer. „Anderorts gratuliert man uns meist für unsere Leistung“, sagt Piccard, „in den USA hat man sich für unseren Pioniergeist bedankt“.
120 Stunden allein im Cockpit
Dann machte man sich in Dübendorf und Payerne an die Konstruktion eines Nachfolgemodells: die Solar Impulse 2 entstand. Sie ist grösser. Der Pilot hat jetzt eine Liegemöglichkeit sowie eine einfache Toilette. Eine neue Technologie macht die Konstruktion noch leichter. Der Motor hat einen Wirkungsgrad von 94 Prozent.
Mit Solar Impulse 2 will Piccard jetzt mit zehn Zwischenstopps die Welt umrunden. Die längste Etappe, jene über den Pazifik, würde 120 Stunden dauern, also fünf Tage und Nächte ohne Zwischenlandung.
Der Pilot wird während dieser Zeit nur kurz schlafen können, je etwa 20 Minuten. Sollte sich etwas Unvorhergesehenes ereignen, wird er automatisch geweckt.
Automatisch aufblasbare Rettungsinsel
Die lange Dauer des Flugabschnitts stellt Probleme, auch mentale Probleme. „Man darf unterwegs nie an die verbleibende Distanz denken“, sagt Piccard, „sondern nur an den jetzigen Augenblick“. Spezielle Mentaltrainings sollen die Piloten darauf vorbereiten.
Natürlich denkt Piccard auch an den Ernstfall. Was geschieht, wenn über dem Pazifik ein schwerer Sturm aufzieht und das Flugzeug abstürzen könnte? Der Pilot trägt einen Fallschirm und eine automatisch sich entfaltende Rettungsinsel.
Ewig nonstop fliegen
Die Entwicklung der beiden Solarflugzeuge kostet etwa 120 Millionen Euro. Doch diese Entwicklungskosten dienen nicht nur dem Flugzeug. Nutzen daraus zieht auch die Automobiltechnik, die Haustechnik, Isolierungen, Elektromotoren, Batterien, Solarzellen und vieles mehr.
Solar Impulse 2 könnte theoretisch ewig nonstop fliegen. Das Problem ist nicht das Flugzeug, sondern der Mensch, der darin sitzt. Die beiden grossen Gefahren für Solar Impulse seien einerseits aktive Kaltfronten am nördlichen Rand und mögliche Orkane am südlichen Rand.
Flug in die Stratosphäre
Solar Impulse ist die letzte kühne Errungenschaft der Piccard-Dynastie. Alles begann mit Bertrand Piccards Grossvater, Auguste, ein etwas ulkiger in Brüssel lehrender Professor. Er hat es sogar als „Professeur Tryphon Tournesol“ (deutsche Ausgabe: Professor Balduin Bienlein) zu einer Hauptfigur in Hergés „Tintin“ (Tim und Struppi) geschafft.
Auguste Piccard ist 1931 als Erster in bisher unerreichte Höhen, auf 15‘781 Meter, aufgestiegen. Für diese Expedition hat er die Druckkabine erfunden.
Die beiden Autoren beschreiben detailliert die dramatische und leicht chaotische Fahrt in die Stratosphäre. Vorgesehen ist der Start in Augsburg. Dort befindet sich die Ballonfabrik. Doch ein erster Versuch scheitert, weil plötzlich Böen aufkommen. Der Start muss im letzten Moment abgebrochen werden und bringt Piccard viel Häme und Spott ein. „Man habe es ja schon immer gewusst“, dass das nicht geht.
Da treibt der Ballon, irgendwohin
Am 27. Mai 1931 gelingt der Start. Die beiden tragen einen Sturzhelm aus Korbgeflecht. Zusammen mit Paul Kipfer steigt Piccard in nur 28 Minuten in die Stratosphäre vor. Zum ersten Mal sehen Menschen die Erdkrümmung. Die Fahrt verläuft nicht reibungslos. Mit Putzwolle und Vaseline muss ein Leck abgedichtet werden. Wegen des turbulenten Starts verwickelt sich die Ventilleine und das Gefährt ist nicht mehr steuerbar. Der Ballon treibt jetzt irgendwo hin.
Die beiden Piloten trinken das Kondenswasser, das sich an der Innenwand der Gondel bildete. Piccard hatte vergessen, Wasserflaschen mitzunehmen. Draussen ist es 55 Grad kalt, im Innern der Gondel jedoch bis zu 41 Grad heiss. Und da treibt er, der Ballon, irgendwohin, auf der Erde spekulierte man schon über den Tod der beiden Ballonfahrer.
Obergurgl
Nach 17 Stunden, gegen 21 Uhr, landet die Kapsel auf einem Gletscher im Ötztal. Die beiden Ballonfahrer haben keine Ahnung, wo sie sind. Bauern finden sie schliesslich. Das Dorf Obergurgl mit 14 Häusern, einer Kirche und einer Poststation wird für einige Tage zum Zentrum der Welt.
Auguste ist keineswegs der trockene Professor. Mit seinem Zwillingsbruder Jean leistet er sich manchen Schalk. Beide gleichen sich wie ein Ei dem andern. Einmal geht Jean in Zürich zum Coiffeur und lässt sich die Haare ratzekahl schneiden. Am nächsten Tag erscheint Auguste mit wallenden Haaren und vorwurfsvoller Miene. Die Haare seien schnell nachgewachsen. Der Coiffeur versteht die Welt nicht, schneidet ihm die Haare – und verlangt nichts.
Hoch hinaus, tief hinunter
Auguste ist es auch, der Pläne schmiedet, um in tiefste Tiefen der Meere vorzudringen. Dazu entwickelt er den Bathyskaph. (Bathys – griechisch für „tief“, skaphos für „Schiff“). Zusammen mit seinem Sohn Jacques konstruiert er später das Tiefseetauchboot „Trieste“.
Die Amerikaner interessieren sich für das Unternehmen. Im September 1959 wird die Trieste nach Guam befördert. Hier soll das U-Boot in den Marianengraben hinuntergleiten, auf den tiefsten Punkt der Erde. Im letzten Moment versuchten die Amerikaner, Jacques Piccard auszuschliessen. Er sollte nicht das Tauchboot steuern, dafür waren zwei andere vorgesehen. Für Jacques war das unfassbar. Schliesslich hatte sein Vater das Boot entwickelt. Und er selbst hatte zehn Jahre in die Verwirklichung dieses Traums investiert. Nach Protesten geben die Amerikaner nach. Doch sie wollen, dass die amerikanische Flagge auf dem Boot gehisst wird, die Schweizer Flagge sei „irgenwie verloren gegangen“. Jacques zaubert eine Schweizer Fahne hervor. Jetzt wehen beide Flaggen auf der Trieste.
170‘000 Tonnen Wasser lasten auf ihnen
Am 24. Januar geht‘s los. Um 13.06 Uhr landen Piccard und Don Walsh auf 10‘916 Metern. „Wir landeten auf einem hübschen flachen Boden aus festem Diatomeenschlamm“, sagt Piccard später. Auf der Metallkugel lasten 170‘000 Tonnen Wasser. Zwanzig Minuten weilen sie dort am tiefsten Punkt der Erde. Ohne Zwischenfälle tauchen sie auf. Der Tauchgang dauert 8 Stunden und 44 Minuten. Piccard ist jetzt ein Held. Selbst Präsident Eisenhower empfängt ihn.
Mit diesem Experiment hat Piccard möglicherweise die Erde vor einer Umweltkatastrophe gerettet. Die Entdeckung von Leben im Marianengraben verhinderte die geplante Entsorgung von Atommüll auf dem Meeresboden. Jacques war also eine Art Vorkämpfer für den Umweltschutz.
„Unmöglich“ gibt es nicht
Die Piccards haben den Pioniergeist in den Genen. Das unmöglich Scheinende kann möglich gemacht werden. „Das bedingt neue, unkonventionelle Denkansätze, Visionen und Träume“, sagt Richard Branson. „Das Schlimmste ist nicht zu scheitern“, betont Piccard, „das Schlimmste ist, es gar nicht versucht zu haben“.
Das Buch ist eine Ohrfeige für alle Bedenkenträger dieser Welt: alle jene, die reflexartig immer gleich Hindernisse sehen, statt sie wegzuräumen. Das Buch ist auch eine Botschaft: „Unmöglich“ gibt es nicht. Man muss nur wollen: Visionen haben, Träume haben.
Susanne Dieminger/Roland Jeanneret: Piccard - Pioniere ohne Grenzen. Mit DVD "Das Leben als Ballonfahrt" und "Pionierfamilie Piccard". Welbild Buchverlag Schweiz, Fr. 36.90, in den Weltbildläden Fr. 29.90