Die Schweiz erscheint, schaut man auf ihre Staatsfinanzen, als eine Insel der Seligen. Bundesrat Ueli Maurer hat für das Jahr 2018 ein Plus in der Staatsrechnung von 2,7 Mia. Franken präsentiert, ähnlich wie bereits im Vorjahr. Wie im Jahr zuvor – und eigentlich immer in jüngster Vergangenheit – kontrastiert das Ergebnis stark mit einem sehr vorsichtigen Budget.
Es gehört zum Spiel der Politik, dass Maurers gute Nachricht keinen einhelligen Beifall auslöst. Dabei geht die Kritik in unterschiedliche Richtungen. Die einen werten die falschen Prognosen des Finanzdepartements als fachliches Versagen, andere sehen darin eine politische Trickserei zur Vortäuschung faktisch nicht vorhandener Sparzwänge. Vor allem aber facht der unverhoffte Geldsegen die bestehenden grundsätzlichen Divergenzen an: Die Linke will mit dem Überschuss staatliche Investitionen und Sozialleistungen stärken, die Rechte setzt auf forcierten Schuldenabbau.
Sind die Argumente für zusätzliche Staatsausgaben nicht bestechend? Der Bedarf, etwa bei der AHV und in manchen Bereichen der Bildung, ist ja offensichtlich. Und das Land leidet nicht unter seinen Krediten. Mit rund 100 Mia. Franken ist deren Volumen im internationalen Massstab vergleichsweise gering, und die Zinsen für die «gute Schuldnerin» Schweiz sind auf historisch tiefem Niveau. Warum sollte man da Kredite zurückzahlen oder auf die Umschuldung abgelaufener Darlehen verzichten?
Die politische Gegenseite sieht das ganz anders. Sie hat tatsächlich gute Gründe, jetzt die Staatsschulden weiter abzubauen, und zwar sind es gar nicht so sehr finanzielle Argumente, die dafürsprechen. Schulden sind in die Zukunft verschobene Lasten, und dieses Hinausschieben von Verbindlichkeiten auf spätere Zeiten oder gar kommende Generationen ist wie eine Droge, die das politische System abhängig macht. Staatsschulden sind aus dieser Sicht ein Übel, bei dem stets genau zu prüfen ist, ob es gegenüber anderen Optionen tatsächlich das kleinere ist.
Als kleineres Übel kann die Schuldenaufnahme nur durchgehen, wenn es gilt, unvorhergesehene Notsituationen aufzufangen, temporäre Sonderanstrengungen zu schultern oder – wie Keynes gelehrt hat – in Zeiten schwerer Wirtschaftsflauten mit staatlichen Mitteln Gegensteuer zu geben. Von alldem trifft auf die Schweiz heute nichts zu. Sie hat gegenwärtig keine Veranlassung, Schulden mitzuschleppen.
Eine solche Haltung steht quer zum Zeitgeist. Im allgemeinen scheren sich die finanzpolitischen Sitten meist wenig um die Zukunft. Heute gelten Staatsschulden als normale, elegante und im Moment kostengünstige Problemlösungen. Fremdfinanzierungen mildern die parlamentarischen Verteilungskämpfe. Sie ersparen oder verschieben unter Umständen auch unpopuläre Volksentscheide. Verschuldung als ein Übel zu sehen, das man nur bei Vorliegen starker Gründe tolerieren darf, würde ein gründliches Umdenken voraussetzen.
Früher oder später wird eine solche Wende kommen müssen. Bei der ungesunden Schuldenwirtschaft geht es ja nicht nur um die – im Fall der Schweiz eher moderaten – in der Staatsbilanz ausgewiesenen Fremdkredite, sondern mehr noch um die verschleierten ungedeckten Verbindlichkeiten im System der Sozialversicherungen. Auch sie sind Anleihen zu Lasten kommender Generationen. Indem die Politik hier die überfälligen Reformen blockiert, verschiebt sie das Abtragen heutiger Probleme in die Zukunft. Statt solcher Vogel-Strauss-Politik braucht es ein Ethos, das offene genau wie verdeckte Staatsschulden klipp und klar als ein Übel betrachtet, das man nur mit sehr guten Gründen für ganz gezielte Zwecke und beschränkte Zeit auf sich nehmen soll.
Diejenigen haben also recht, die jetzt bei der Frage der Überschussverwendung den Schuldenabbau in den Vordergrund rücken. Allerdings wäre ihre Politik nur dann glaubwürdig, wenn sie gleichzeitig alles daransetzten, die Blockaden bei den Reformen der Sozialwerke aufzuheben. Hier hängt die Politik ganz besonders hartnäckig an der Nadel der harten Droge. Von diesem gefährlichen Stoff gilt es wegzukommen.