Der Vorschlag stellt die Grundpfeiler unseres Rechtssystems auf den Kopf und hebt die Freiheit und Rechtsstaatlichkeit im Namen der Sicherheit auf. Er wäre ein Sieg für den Terrorismus.
Journal21.ch will die Jungen vermehrt zu Wort kommen lassen. In der Rubrik „Jugend schreibt“ nehmen Schülerinnen und Schüler des Zürcher Realgymnasiums Rämibühl regelmässig Stellung zu aktuellen Themen.
Nick Sempach wurde im Jahr 2000 geboren und lebt in Zürich. Im Sommer 2019 schloss er die zweisprachige Matur am RG Rämibühl ab. Momentan studiert er Recht an der Universität Zürich. Er interessiert sich für Philosophie, Geschichte, technischen Fortschritt und Sport.
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Ob 9/11, die schrecklichen Anschläge in Paris oder der Anschlag in Wien: Der Terrorismus gehört ohne Zweifel zu den grössten und vor allem unberechenbarsten Gefahren für die westliche Welt; auch für die Schweiz, wie vor kurzem die Verbindungen des Wiener Attentäters nach Winterthur zeigten. Problematisch ist hierbei vor allem, dass die Gefahren inzwischen nicht mehr von grossen, vernetzten Organisationen ausgehen. Das Phänomen des „low-cost terrorism“ – also lose verbundenen Einzeltätern, die ohne grossen Aufwand den grösstmöglichen Schaden anzurichten versuchen – ist vor allem seit dem Zurückdrängen des IS zur verbreitetsten Form des Terrors aufgestiegen. Ein solch feiges und menschenverachtendes Vorgehen ist zweifelsohne in der Lage, jede freiheitlich demokratische Ordnung der Gesellschaft zu bedrohen.
Trotz alledem besteht inzwischen eine weitaus grössere und konkretere Bedrohung unserer Gesellschaft, welche vollkommen demokratisch in Bern in die Wege geleitet wurde. Sowohl National- als auch Ständerat sprachen sich im Sommer für das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus aus. Dieses Gesetz soll dazu dienen, die innere Sicherheit der Schweiz zu wahren, indem den jeweils zuständigen Behörden ein dafür angemessenes Instrumentarium zur Verfügung gestellt wird.
Konkret sieht das Gesetz die Einführung von verwaltungspolizeilichen Massnahmen vor, welche gegenüber terroristischen „Gefährderinnen und Gefährdern” angeordnet werden können. Die Massnahmen umfassen unter anderem Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontaktverbote, Ein- und Ausgrenzung, Eingrenzung auf eine Liegenschaft (sog. Hausarrest) sowie ein Ausreiseverbot. Hinzu kommen noch Möglichkeiten der verdeckten Fahndung im Internet, Bereinigungen mit Hinblick auf das geltende Ausländer- und Integrationsgesetz, Regelungen über den Informationsaustausch im In- und Ausland sowie Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Personen, die Zugriff auf den Sicherheitsbereich eines Flughafens haben. Unlängst zeigte das fehlerhafte Verhalten der österreichischen Verwaltung traurigerweise, was die gravierenden Folgen einer unzureichenden oder fehlerhaften Terrorismusbekämpfung sein können.
Eine Verschärfung und Verbesserung auf diesem Gebiet wären grundsätzlich durchaus bedenkenswert, wenn der konkrete Vorschlag nicht ausgerechnet aus einer Partei käme, die in jeder Person, die nur leicht südländisch aussieht, einen Kriminellen oder Terroristen sieht; wobei das Gesetz womöglich genau dies zur Folge hätte: Aus unbescholtenen Bürgern könnten „Gefährder“ gemacht werden; mit weitreichenden Folgen.
Die Problematik beginnt bereits im Wortlaut. Die zuvor erwähnten verwaltungspolizeilichen Massnahmen sollen ihre Anwendung gegenüber „terroristischen Gefährdungen und Gefährdern“ entfalten. Ein solcher Gefährder ist wiederum keine Person, die eine Straftat begangen hat oder sich unmittelbar in den Vorbereitungshandlungen für eine Straftat befindet. Der sehr vage Begriff „GefährderIn“ wird nämlich nur durch das Vorhandensein von bestimmten Anhaltspunkten definiert, die wiederum alles andere als konkret sind. Das Gesetz spricht von „Anhaltspunkten“, dass eine Person „eine terroristische Aktivität ausüben wird“, wobei diese unter anderem der „Verbreitung von Angst und Schrecken“ dienen sollte. Ein nachweislich vager Begriff, der zusätzlich an einer nicht konkret bestehenden Bedrohung gemessen werden soll, ist rechtsstaatlich selbstverständlich mehr als nur problematisch.
Ein Rechtsgrundsatz, der unser Verständnis von Recht seit mindestens zwei Jahrhunderten geprägt hat, besagt „nullum crimen sine lege“: Es existiert kein Verbrechen (und auch keine damit verbundene Strafe), ohne dass auch ein Gesetz bestünde, welches das Verbrechen benennt. Etwas einfacher formuliert es das Schweizer Strafgesetzbuch in seinem Artikel 1: „Eine Strafe oder Massnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.“ Aus beiden dieser Formulierungen lässt sich ableiten, dass ein Gesetz „bestimmt“ (certa) sein müsse. Es bedarf keiner weiteren Erläuterungen, weshalb der Begriff „terroristischer Gefährder“ alles andere als bestimmt ist. Vielmehr ist zu erkennen, dass eine Massnahme, die basierend auf diesem Gesetz verhängt würde, gegen diesen Rechtsgrundsatz verstossen würde. Dies käme einer verheerenden Aushöhlung des Rechtsstaates gleich.
Unabhängig von den direkten rechtlichen Konsequenzen wäre eine Einschätzung über die von einer Person ausgehenden Gefährdung stark, wenn nicht ausschliesslich, von Subjektivität geprägt. Die vom Gesetz formulierten schwammigen Anforderungen führen dazu, dass letztlich unklar ist, ob es beispielsweise bereits ausreichen könnte, wenn sich auf dem Mobiltelefon einer Person ein Enthauptungsvideo befindet, welches er weder erhalten wollte noch jemals angeschaut hat. Diese vom Gesetz ausgehende Unklarheit alleine dürfte eigentlich ausreichen, um zu erkennen, dass ein solches Gesetz niemals zur Anwendung geraten darf.
Doch damit nicht genug: Zusätzlich entsteht hier ein rechtsstaatliches Problem: Die Verfügungsmacht über diese Massnahmen liegt nämlich keinesfalls bei der Judikative, wie es bei jeglichen anderen strafrechtlichen Verfahren üblich ist, sondern bei der Exekutive, namentlich dem Fedpol. Dies ist ohnehin – Stichwort Gewaltenteilung – bereits hochproblematisch. Bezieht man jedoch auch das weltweit verbreitete Problem des institutionellen Rassismus mit ein, könnte die SVP mit diesem Gesetz wohl in der Tat bewirken, dass für nicht schweizerisch aussehende Personen ein Risiko bestünde, durch diese Massnahmen völlig willkürlich in ihrer Freiheit beschränkt zu werden.
Auch unabhängig davon erfüllt das Fedpol als administrative Polizeibehörde nicht die Anforderungen, die für die Wahrung der mit der Einschränkung der persönlichen Freiheit verbundenen Grundrechte der betroffenen Personen nötig wären.
Ausserdem erschafft dieses Gesetz durch die derart willkürliche Zerstörung von Existenzen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Solche Massnahmen führen – obschon und vor allem, wenn sie unbegründet sind – zu Desintegration, Ausgrenzung und der Zerstörung von Chancengleichheit und Beziehungen.
Letztlich würde das Gesetz auch hinsichtlich der internationalen Gemeinschaft einen Bruch mit der jahrelang erarbeiteten europäischen Rechtstradition bedeuten. Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention regelt, wann ein Freiheitsentzug mit Hinblick auf die Menschenrechte verhältnismässig sein kann. Es dürfte wohl niemanden verwundern, dass ein Gesetz, welches die Exekutive ermächtigt, jemanden ohne konkreten Grund seiner persönlichen Freiheit zu berauben, mit dieser Norm kaum vereinbar sein wird. Im Gegenteil: Das vorliegende Gesetz erinnert erschreckend stark an Diktaturen, wo Personen willkürlich in ihrer Freiheit beschränkt werden können, ohne dass ihnen ein faires Verfahren, wie es Art. 6 EMRK fordert, ermöglicht worden wäre. Eine derartige Unterwanderung des Rechtsstaates wäre eine Katastrophe für unsere Gesellschaft. Auch wenn die SVP bekanntermassen ein ambivalentes Verhältnis zu Staatsverträgen hat, wäre ein Bruch mit dem EGMR eine Schande für unser Land: Es würde belegen, wie destruktiv eine populistisch-xenophobe Ideologie wirklich sein kann.
Der Terrorismus ist wohl die wüsteste Ausprägung von religiösem Fanatismus, und es steht ausser Frage, dass dagegen vorgegangen werden muss. Wenn dieses Phänomen aber zur Zerstörung des Rechtsstaates führt, die wichtigsten völkerrechtlichen Errungenschaften negiert und einen Schritt Richtung Abwertung der Menschenrechte macht, dann haben letztlich die Terroristen gewonnen; nicht weil sie unsere Gesellschaft zerstört haben, sondern weil wir das für sie übernommen haben. Eine Sprengung des Rechtsstaates „made in Switzerland“ quasi.
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Verantwortlich für die Betreuung der jungen Journalistinnen und Journalisten von „Jugend schreibt“ ist der Deutsch- und Englischlehrer Remo Federer ([email protected]).
Weitere Informationen zum Zürcher Realgymnasium Rämibühl unter www.rgzh.ch