Die Meinungen gehen auseinander, ob Donald Trump nach der Ankündigung seiner Kandidatur 2024 erneut Chancen hat, amerikanischer Präsident zu werden. Ist das politische Gepäck, das er mitbringt, in der Tat zu schwer oder sind seine Anhängerinnen und Anhänger wirklich so unbelehrbar?
Der Titel des Songs von Sam & Dave, der im Ballsaal in Mar-a-Lago am Ende von Donald Trumps Ankündigungsrede gespielt wurde, tönte wie eine Drohung: «Hold On, I’m Coming» – Halt dich fest, ich komme. Die Rede zuvor, gespickt mit Halbwahrheiten, Lügen und Fake News, hatte 63 Minuten gedauert – zu lange für den Geschmack von CNN und Fox News, die sich beide frühzeitig aus der Live-Übertragung verabschiedeten. Nicht länger als 35 Minuten solle er sprechen, hatten Berater dem Ex-Präsidenten empfohlen. Reden-Profis zufolge dauert die ideale Wahlkampfrede zwischen 18 und 22 Minuten.
Doch Donald Trump widersetzte sich, wie stets, allen Gepflogenheiten und Konventionen. Er wollte weit ausholen, um die absolut desolate Lage der USA zu schildern, einer Nation, die ihm zufolge von illegalen Immigranten überrannt und von kaltblütigen Verbrechern terrorisiert wird und die Joe Bidens demokratische Regierung in eine sozialistische Hölle verwandeln will.
Er versprach, üppige Kronleuchter über und ein Flaggenwald hinter ihm, Amerika wieder gross zu machen: «MAGA». Die USA, sagte Trump, seien eine Nation, die «von schwärender Fäulnis» befallen sei und von «radikalen Verrückten» regiert werde, die das Land «an den Rand eines Atomkrieges» führen würden. Sein Rezept, diesem Verfall zu begegnen: Todesstrafe für Drogendelinquenten, Beseitigung der Obdachlosigkeit, Abschaffung der Briefwahl, konservativere Lehrpläne, Amtszeitbeschränkung für Kongressangehörige und das Pflanzen «unserer schönen amerikanischen Flagge auf dem Mars». Selbst Angela Merkel, deren Akzent er imitierte, verschonte Trump in seiner Rede nicht. Dafür fand er bewundernde Worte für den chinesischen Staatspräsidenten Xi jinping: «Ich nenne ihn König.»
Zwar hatten Wahlstrategen der republikanischen Partei (GOP) im Vorfeld angezweifelt, ob ein Termin so kurz nach den Zwischenwahlen für eine Ankündigung der Präsidentschaftskandidatur opportun sei. Das für die Partei enttäuschende Ergebnis des Urnengangs, der ihr statt der erwarteten «roten Welle» höchsten einen «roten Nieselregen» beschert hatte, schien den Strategen Recht zu geben.
Doch Donald Trump, der nichts so sehr hasst, als wie ein Verlierer dazustehen, liess sich nicht beirren und ergriff in Mar-a-Lago die Initiative, die ihm mit Sicherheit neue Schlagzeilen eintragen würde – nicht zuletzt, um Floridas republikanischem Gouverneur Ron DeSantis das Rampenlicht zu stehlen, der mit einem Glanzresultat wiedergewählt worden war und heute als sein gefährlichster Rivale gilt. Ein Vorgehen, das ihn als Kandidaten, so sein Kalkül, auch gegen die Verfahren der Justiz immunisieren würde, derer er sich aus seiner Zeit im Weissen Haus und als privater Geschäftsmann zu erwehren hat.
Noch ist offen, ob es im Fall dieser Verfahren, die der Ex-Präsident als «politische Hexenjagden» bezeichnet, auch zu Anklagen kommen oder noch ein Sonderermittler eingesetzt werden wird. Wie immer er sich bei den zwei Verfahren auf Bundesebene entscheidet, Justizminister Merrick Garland dürfte die Kritik entweder von republikanischer oder demokratischer Seite sicher sein.
Garland selbst sagt, die Beweislage und nicht politische Überlegungen würden seinen Entscheid bestimmen. Wobei 2015 das FBI auch gegen Trumps damalige Gegnerin Hillary Clinton, auch sie Präsidentschaftskandidatin, ein Verfahren wegen privater Nutzung eines Mail-Servers eröffnet hatte, das sich bis kurz vor dem Wahltag hinzog und die frühere First Lady unter Umständen den Sieg kostete. Auf jeden Fall sollte ein politischer Kandidat vor Strafverfolgung durch die Justiz nicht geschützt sein.
Bleibt die Frage, wie gross die Chancen eines nach den «midterms» zumindest angeschlagenen Donald Trump sind, 2024 erneut zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt zu werden. Skeptiker verweisen auf das schlechte Abschneiden seiner Günstlinge am 8. November auf nationaler, staatlicher und lokaler Ebene und deuten deren Niederlagen als klare Absage an den «Trumpismus». Sie erinnern daran, dass sich bisher stets loyale Medien des Murdoch-Imperiums von ihm lossagen würden und zitieren das «Wall Street Journal», das den «toxischen» Expräsidenten zum «grössten Verlierer der republikanischen Partei» gestempelt hat. Ausserdem sollen sich künftig einige potente Geldgeber von Trump abwenden, denen es wichtig ist, Gewinner und nicht Verlierer zu unterstützen.
Die Skeptiker führen auch an, dass einem Meinungsbefrager der GOP zufolge lediglich noch 40 Prozent der Republikaner «Always Trumpers» seien, wogegen zehn Prozent «Never Trumpers» und 50 Prozent «Maybe Trumpers» stünden. Und sie zitieren eine Umfrage von Politico/Morning Consult, wonach 65 Prozent der republikanischen Parteigängerinnen und Parteigänger Donald Trump in zwei Jahren nicht als ihren Kandidaten sehen möchten.
Auch zeigen andere Umfragen den Ex-Präsidenten gegenüber Gouverneur Ron DeSantis neu im Hintertreffen. Trump, witzelt ein konservativer Kolumnist der «New York Times», fühle sich bei seinem Bemühen, die Zuneigung konservativer Amerikanerinnen und Amerikaner zu gewinnen, zunehmend wie der übergewichtige und eifersüchtige Gatte, während DeSantis wie der attraktive und erfolgreiche Nachbar aussehe.
Ferner, heisst es, gebe es keine Anzeichen dafür, dass es Trump gelingen werde, 2024 ein weniger desorganisiertes Wahlkampfteam als vier Jahre zuvor zu finden. Dies in einem politischen Umfeld, das für ihn mutmasslich weniger günstig aussehen werde, als 2016, als sich der New Yorker Immobilienunternehmer bei Vorwahlen nicht weniger als 16 Rivalen gegenübersah, die zu besiegen, zerstritten, wie sie waren, für ihn ein Leichtes war. Heute zeigt sich die GOP geeinter: Einerseits hat sich die Partei dem Ex-Präsidenten angenähert, anderseits ist dieser dem republikanischen Establishment nähergekommen.
Dagegen argumentieren Pessimisten, es gebe keine Anzeichen für ein bevorstehendes Ende des «Trumpismus». Zu gut sei es Donald Trump gelungen, das politische Klima zu vergiften, das Land zu spalten und die republikanische Partei hinter sich zu zwingen. Die Kombination aus Feindseligkeit, Regelbeugung und Schamlosigkeit, die zu seiner Präsidentschaft geführt hat, sei nach wie vor die vorherrschende Haltung der GOP – eine Haltung, auf die sich eine Minderheitspartei zwangsläufig versteifen müsse, wenn sie eine Mehrheit beherrschen wolle.
«Für einen Amerikaner wie mich ist die Vorstellung eines neuen Trump-Wahlkampfes mit all seinen Lügen, seiner Streitsucht und seinen Bemühungen, die amerikanische Demokratie zu untergraben eine absolute Horror-Show», sagt etwa Senator Bernie Sanders, 2020 demokratischer Präsidentschaftskandidat. Doch sieht Sanders darin auch einen Grund zur Hoffnung: «Andererseits muss ich sagen, dass ich als Politiker, der 2024 keinen Republikaner ins Weisse Haus gewählt sehen will, seine Kandidatur auch als vermutlich gute Sache sehe.»
Auch Susan B. Glasser, Kolumnistin des «New Yorker», zeigt sich alles andere als überzeugt, dass Donald Trump am Ende sei: «Im Laufe der Trump-Jahre gab es so viele Momente, in denen es durchaus möglich schien, den Don loszuwerden, bis es nicht mehr möglich war: das ‘Access Hollywood’-Tape, die Pressekonferenz in Helsinki mit Wladimir Putin, das ‘perfekte’ Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj, das zu Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren führte, der verrückte Umgang mit der COVID-19-Pandemie, der Aufstand im Kapitol am 6. Januar 2021 und Trumps zweites Amtsenthebungsverfahren.»
Warum, fragt sich Glasser, sollte es dieses Mal anders sein? «Ist eine Niederlage für die Republikaner wirklich eine grössere Sünde als die Belästigung von Frauen, die Erpressung ausländischer Staatsoberhäupter oder der Versuch, an der Macht zu bleiben, indem man einen wütenden Mob zum Angriff auf den Kongress aufruft?»
Donald Trump habe, schreibt Michelle Goldberg in der «New York Times», in seiner Ankündigungsrede im Ballsaal in Mar-a-Lago lediglich einen einzigen wahren Satz gesagt. Amerika, sagte der frischgebackene Präsidentschaftskandidat, sei ohne Zweifel äusserst fragil: «Es kann nicht zu viel ertragen.»