Es gibt Orte, von denen ein fataler Einfluss auf den Gang der Geschichte ausgeht. Das liegt natürlich nicht an den Orten selbst, sondern an der Tatsache, dass sich Politiker – Weltenlenker, wie sie in ihrer Überheblichkeit meinen – an solchen mondänen Stätten treffen, um über das Schicksal anderer Völker zu entscheiden. Zu diesen Orten gehört Sèvres, zehn Kilometer vom Zentrum von Paris gelegen. Dort beschlossen am 10. Augst 1920 Vertreter der Siegermächte des ersten Weltkrieges in Anwesenheit von Delegierten des geschlagenen Osmanischen Reiches die Auflösung eben dieses alten Imperiums. Wenn nicht Mustafa Kemal, später genannt Atatürk, in den Jahren 1919 bis etwa 1923 militärisch eingegriffen hätte, wäre es nicht einmal zur Gründung des heute bestehenden türkischen Nationalstaates gekommen. Dieser musste 1923 in Lausanne von den Siegermächten zähneknirschend akzeptiert werden.
Das Treffen von Sèvres fand in einem Saal des heutigen Porzellanmuseums statt. Das politische Porzellan, das damals – diese möglicherweise platte Anspielung liegt leider auf der Hand – im Nahen Osten zerschlagen wurde, haben die Menschen der Region bis auf den heutigen Tag nicht zusammenkitten können. Und ein Sèvres-Syndrom plagt noch heute die moderne Türkei: die Angst vor der Intervention ausländischer Mächte in die innere Struktur des Landes.
Geheimabkommen von Sèvres
In derselben Stadt Sèvres trafen sich 36 Jahre später, im Oktober 1956, Guy Mollet, der französische Ministerpräsident, Anthony Eden, Grossbritanniens Premierminister, und sein israelischer Kollege David Ben Gurion. Der politische Albtraum, von dem etwa Anthony Eden und Winston Churchill verfolgt wurden, war Realität geworden: Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser hatte im Juli desselben Jahres den im britischen Mehrheitsbesitz befindlichen Suezkanal verstaatlicht. Diese politische Selbständigkeit, diese Souveränität des ehemaligen britischen Protektorats wollte besonders Anthony Eden nicht hinnehmen. Die drei politischen Verschwörer unterzeichneten ein Geheimabkommen, in welchem sie einen Angriff auf Ägypten und die Wiederbesetzung der Suezkanalzone beschlossen.
Diese Verschwörung endete bekanntermassen in einem politischen Desaster. US-Präsident Dwight Dean Eisenhower war nicht informiert worden und verurteilte das Unterfangen auf das schärfste; zur gleichen Zeit, im Oktober 1956, liess die Sowjetunion den ungarischen Volksaufstand niederknüppeln. Die drei Verschwörerstaaten gerieten in ein Dilemma: im Nahen Osten einen imperialen Krieg führen und gleichzeitig das sowjetische Eingreifen in Budapest verurteilen – eine solche Doppelmoral war niemandem zu vermitteln. Nasser, obwohl militärisch geschlagen, war der strahlende politische Sieger.
Nichts blieb also vom Geheimabkommen von Sèvres – bis auf einen Punkt. Ein hochrangiges Mitglied der israelischen Verhandlungsdelegation war Shimon Peres, damals Generaldirektor im israelischen Verteidigungsministerium. Im Laufe der Verhandlungen erlangte er von Frankreich die Zusage, beim Aufbau eines israelischen atomaren Sprengkörpers behilflich zu sein.
Atomare Option im Sechstagekrieg
Die Bedeutung von Peres bei der Entwicklung einer israelischen Atombombe ist bisher nicht zum Thema gemacht worden. Über seinen Anteil am atomaren Projekt seines Landes schrieb Peres später: „Vom Beginn an beschloss ich, meine Rolle voll und ganz aus dem öffentlichen Rampenlicht herauszuhalten (...) Deshalb wurde mein Name niemals in irgendeinem formalen Komitee erwähnt, welches auf dem Gebiet der Atomkraft gebildet wurde. Das allerdings hinderte mich nicht daran, tatsächlich das ganze Projekt im Namen von Ben Gurion zu führen, noch schränkte es meine Autorität in irgendeiner Weise ein. Ben Gurion vertraute mir.“ (1)
Dieses geheime israelische Atomprogramm hatte, von der Öffentlichkeit unbemerkt, vor gut fünfzig Jahren im Sechstagekrieg vom 5. bis 10. Juni 1967 in den militärischen Planungen Israels einen erheblichen Stellenwert. Für den Fall einer Niederlage gegen Ägypten, Syrien und Jordanien erwog Israel, möglicherweise in der ägyptischen Wüste auf dem Sinai – wohlgemerkt nicht auf dem eigentlichen Schlachtfeld – einen atomaren Sprengsatz zu zünden. Das Ziel: Seht her, ihr Araber, wir sind eine Atommacht, wenn ihr uns weiter bedrängt, werden wir uns auch atomar wehren können. Diese atomare Kriegsalternative wurde schnell zu den Akten gelegt, denn innerhalb von wenigen Stunden hatte die israelische Luftwaffe die meisten gegnerischen Kampfflugzeuge am Boden zerstört.
Vorgeschichte: Nasser gegen das Empire
Um diesen gesamten Konflikt, auch das israelische Streben nach einer Atomwaffe, richtig einordnen zu können, muss man sich die politische, persönliche, aber auch kulturelle Konfrontation in Erinnerung rufen, die etwa Männer wie Gamal Abdel Nasser und Anthony Eden trennten. Den Abgrund, den beide niemals überwunden haben, zeigt ein Ereignis vom 26. Februar 1955. Anthony Eden war Aussenminister. Der weltgewandte, polyglotte, im politischen Ambiente des Empires gross gewordene Aristokrat wollte einen ihm eher dubios erscheinenden Obersten namens Gamal Abdel Nasser kennenlernen. Dieser Nasser hatte 1952 die von England gestützte, ursprünglich aus Albanien stammende ägyptische Dynastie unter König Farouk gestürzt und begann, einen für Eden obskuren arabischen Nationalismus zu predigen.
Das Treffen fand in der britischen Botschaft im Kairoer Stadtteil Garden City statt. Eden erschien im weissen Dinnerjackett, Nasser in der Uniform eines Obersten. Mohammed Hassanein Heikal, seinerzeit führender Journalist des Landes und enger Vertrauter Nassers, hat die Szene später beschrieben. Nasser habe die Botschaft mit äusserstem Widerwillen betreten, denn sie sei siebzig Jahre lang das wahre Machtzentrum Ägyptens gewesen, „ein Symbol der Kolonialherrschaft“. Heikal schreibt: „Nasser fühlte die ganze Demütigung kolonialer Unterwerfung Ägyptens, sooft er über die Schwelle des Gebäudes trat.“
Eden wollte Nasser und wohl auch seine eigene junge Frau Clarissa Eden, wie Heikal vermutet, beeindrucken und begrüsste Nasser auf Arabisch: „As-salamuh aleikum wa rahmut allah wa harakatuh.“ (Friede sei mit Dir und das Mitleid Gottes und sein Segen.) In den Diskussionen zeigte sich Nasser erfreut darüber, dass England zugesagt hatte, demnächst seine letzten Truppen aus der Suezkanalzone abzuziehen. Eden seinerseits versuchte Nasser vergeblich zu überreden, dem Bagdadpakt beizutreten – einem gegen die Sowjetunion gerichteten Bündnis aus Pakistan, der Türkei, Irans, des Iraks und Englands.
Das Treffen brachte die beiden unterschiedlichen Männer nicht zusammen; vielmehr war es ein Vorbote tragischer Ereignisse. Heikal schreibt: „Welten lagen zwischen ihnen. Herkunft, Erziehung, Auftreten, Kleidung, Erfahrung, Weltanschauung (…) Es war eine Konfrontation zwischen extremen Repräsentanten zweier feindlicher Lebensstile, eine persönliche und eine nationale Konfrontation. Sie endete tragisch.“ (2)
Exzesse am Ende des Kolonialismus
In der Tat. Nur ein gutes Jahr später hatte sich die Beziehung in blanken Hass gewandelt. Als ein Beamter des Foreign Office, Anthony Nutting, im März 1956 Anthony Eden, inzwischen Premierminister, riet, Nasser diplomatisch zu isolieren und dadurch zu schwächen, rief Eden ins Telephon: „Was soll all dieser Unsinn, Nasser zu isolieren oder ihn zu neutralisieren, wie Sie es nennen? Ich wünsche ihn ermordet, können Sie das nicht verstehen?“ (3)
Auch Clarissa Eden wollte Nasser loswerden. Sie sei wütend gewesen, berichtet Mohammed Heikal, weil ihr Mann in der Tory-Partei als Schwächling galt. Es sei ihr Traum gewesen, dass sich ihr Gatte wie ihr Onkel Winston Chruchill, „bewähren“ möge.
Ermordung, zumindest aber Inhaftierung führender Politiker der gerade „in die Unabhängigkeit entlassenen Völker“, wie es im herablassenden kolonialen Sprachgebrauch hiess, aber auch exzessive Gewalt gegen Unabhängigkeitskämpfer waren damals bei abtretenden Kolonialherren gängige Praxis. Denn: Unabhängigkeit ja – aber nur unter dem politischen Gängelband der alten Herren. So wurde etwa der algerische Rebellenführer Ahmed Ben Bella im Oktober 1956, also exakt zum Zeitpunkt, zu dem Frankreich, England und Israel das Geheimabkommen von Sèvres schlossen, auf einem Flug nach Tunis von französischen Geheimagenten gekidnappt und in Frankreich inhaftiert. Diese Entführung war auch ein Schlag gegen Nasser, der die algerische Unabhängigkeitsbewegung mit Waffen unterstützte.
Nur wenig später, Ende 1960, gab es einen noch schlimmeren Übergriff. Der Führer eines neuen, nominell unabhängigen Staates, Patrice Lumumba, erster Premier des ehemals belgischen Kongo, wurde auf Betreiben der USA ermordet. Damit bereiteten die USA die Machtübernahme des Diktators Mobutu Sese Seko vor, der von 1965 bis 1997 regierte und den Präsident Ronald Reagan 1983 einen „treuen Freund der USA“ nannte.
Gründung der Blockfreien
In diese Reihe der neuen, selbstbewussten, aber zumindest politisch gefährdeten Führer der „in die Unabhängigkeit entlassenen“ Völker gehörte auch Gamal Abdel Nasser. Englands Aussenminister Selwyn Lloyd – er bekleidete dieses Amt von 1955 bis 1960 – erklärte, der Suezkanal gehöre zum gesamten mittelöstlichen „Ölkomplex“. Wehe dem, der diese „Pendeltür des Empire“, so äusserte sich Anthony Eden, den Briten entreissen würde. Kein Wunder, dass Winston Churchill intern mit Regimewechsel drohte: Falls Nasser England um das nahöstliche Erdöl bringen wolle, dann müsse er „verschwinden“.
Doch Nasser konnte zunächst diplomatische Vorsorge treffen. Zusammen mit dem Jugoslawen Josip Broz Tito, dem Indonesier Sukarno, dem Inder Jawaharlal Nehru, dem Kubaner Fidel Castro und dem Chinesen Tschu-en-Lai gründete er 1955 im indonesischen Bandung die Bewegung der Blockfreien. Israel stand nun einem international gestärkten Nasser gegenüber. Und Anthony Eden auch. Die Beseitigung des Mannes blieb aber eine Option. Man musste nur auf den Zeitpunkt warten.
Umstrittenes israelisches Atomprogramm
Zurück zu Israel: Dass einmal ein charismatischer arabischer Führer die politische Bühne betreten und die Araber gegen Israel in Stellung bringen würde, dieses Szenario war die Schreckensvision von David Ben Gurion. Zwar hatte Nasser im Mai und Juni 1967 schwere taktische Fehler gemacht – politisch wie militärisch –, aber dass er eine Vernichtung Israels plante, konnte man ihm bisher niemals nachweisen. Ben Gurion indessen wollte von Anfang an vorsorgen. Aus der Sicht Israels war das verständlich, denn es hatte sich, ohne auch nur ein Wort mit den palästinensischen Arabern gesprochen zu haben, auf deren Territorium mit Gewalt niedergelassen. Und so dachte Ben Gurion früh über eine überwältigende Bewaffnung seines neuen Staates nach – auch eine mit Massenvernichtungswaffen.
Avner Cohen schreibt, Ben Gurion habe keine Bedenken gehabt, Israel zu einem Land mit Massenvernichtungswaffen zu machen. In einem Brief von 1948 an einen seiner Mitarbeiter in Europa gab Ben Gurion Anweisungen, osteuropäische jüdische Wissenschaftler auszusuchen, die bei dem Bau eines nuklearen Sprengkörpers helfen könnten. Angestrebt war damals, wie Avner Cohen weiter schreibt, auch die Kapazität zur Herstellung chemischer und biologischer Waffen. Und obwohl Israel 1948 keinen einzigen Wissenschaftler mit Kenntnissen von atomarer Technik hatte, war der Wille, ein Nuklearprogramm aufzulegen, schon damals vorhanden.
1955 machte Ben Gurion Shimon Peres, damals erst einunddreissig Jahre alt, zum Chef des israelischen Nuklearprogramms. Es war Peres, schreibt Avner Cohen, der in den Jahren 1956 und 1957 Ben Gurion davon überzeugte, dass die Zeit reif sei, das nukleare Projekt wirklich zu beginnen. Avner Cohen schreibt weiter: „Die grenzenlose Energie von Peres und seine politischen Fähigkeiten waren die notwendigen Bestandteile, um die nuklearen Hoffnungen Israels zu verwirklichen.“
Unumstritten allerdings war das Projekt nicht. Premierminister Levi Eschkol war stets zögerlich, und Generalstabschef Yitzhak Rabin war strikt dagegen. Mit dieser Haltung stand er im Einvernehmen mit den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson. Rabin argumentierte, dem in der Negevstadt Dimona angesiedelten Nuklearprojekt fehle es an „internationaler Legitimität“. Ägypten etwa wäre in der Lage, Dimona zu bombardieren. „Wenn“, argumentierte Rabin, „Ägypten Dimona angreift und wir einen Krieg beginnen, würde uns die gesamte Welt ein Ultimatum stellen.“
Nassers Fehlkalkulation
Solche Argumente verhallten wirkungslos. So kam es, dass es nur eine Dekade später, im Juni 1967, bereits die Option gab, im Falle einer drohenden Niederlage im Krieg gegen Ägypten, Syrien und Jordanien auf dem ägyptischen Sinai einen nuklearen Sprengsatz zu zünden – als Demonstration israelischer Stärke.
Denn nach seinem politischen Sieg in der Suezkrise von 1956 hatte sich Nasser zum unumstrittenen Führer der arabischen Welt aufschwingen können. Ben Gurions Alptraum von einem charismatischen arabischen, Israel bedrohenden Politiker war Realität geworden. Nassers gegen Israel gerichtete Rhetorik faszinierte die Araber, welche die israelische Landnahme – die palästinensische Nakhba, die Katastrophe von 1948 – nicht verwunden hatten. In der sich aufheizenden Atmosphäre im Frühjahr 1967, hervorgerufen auch durch die meist von Israel, wie Moshe Dayan später zugab, provozierten Zwischenfälle an den Golanhöhen, stiess Nasser allerdings an die Grenzen seiner Politik. Er machte entscheidende Fehler. So forderte er etwa UN-Generalsekretär U Thant auf, die UN-Truppen (eigentlich Unef: United Nations Emergency Force) vom Sinai abzuziehen, schickte selber mehr ägyptische Truppen auf die Halbinsel und schloss die Strasse von Tiran für die israelische Schiffahrt.
Zwar war diese Blockade für Israel nicht lebensgefährlich; alle seine Mittelmeerhäfen blieben offen. Der israelische Historiker Avi Shlaim schreibt, Nasser habe den psychologischen Effekt seiner Massnahme durchaus gekannt. Denn Israels Strategie sei es immer gewesen, seinen eigenen Willen den Feinden aufzuerlegen und nicht auf einseitige Schritte dieser Feinde zu reagieren. „Indem er die Strasse von Tiran für die israelische Schifffahrt schloss, liess er (Nasser) sich auf ein fürchterliches Spiel ein – und er verlor.“ Avi Shlaim fügt hinzu, im Grunde sei es Israel nicht um die Strasse von Tiran gegangen, sondern um sein Überleben. Diesen Reflex, durch den Holocaust tief in die jüdische Seele eingegraben, hatte Nasser nicht einkalkuliert. (4)
Aktivierung des Projekts Schimschon
Drei Tage nach Stationierung ägyptischer Truppen auf dem Sinai am 14. Mai 1967 registrierte die israelische Luftabwehr erstmals Flüge ägyptischer MIG-21-Jäger über dem Nuklearreaktor in Dimona. Einen zweiten ägyptischen Erkundungsflug über Dimona registrierte Israel am 26. Mai 1967. Generalstabschef Rabin berichtete, israelische Kampfflugzeuge hätten versucht, die ägyptischen MIGs abzuschiessen, diese seien aber entkommen. In Israel stieg die Furcht, Ägypten könne versuchen, Dimona zu bombardieren.
Auch wuchs die Überzeugung, der Krieg mit Ägypten sei unvermeidlich. Ein solcher Krieg bot zwar weniger die Möglichkeit, Nasser zu ermorden, wie es Anthony Eden einst gefordert hatte, wohl aber die Chance, Nasser politisch entscheidend zu schwächen. So schlug schliesslich die Stunde der militärischen Aktivierung des Projektes Schimschon, benannt nach jenem Samson im alttestamentlichen Buch der Richter, der mit seiner übernatürlichen Kraft einen Tempel der Philister zum Einsturz gebracht und dabei 3000 Philister in den Tod gerissen hatte. Unter dem Codenamen Shimshon wurde die Explosion eines atomaren Sprengkopfes auf dem Sinai für den Fall vorbereitet, dass Israel in dem drohenden Krieg verlieren würde.
Kronzeuge in diesem Drama war, wie Avner Cohen berichtet, ein Mann namens Yitzhak Ya akov, genannt Ya tza, seinerzeit Brigadegeneral und Verantwortlicher für die Entwicklung von Waffensystemen. Im Jahre 1999 habe Ya tza, berichtet Avner Cohen, ihm eine Darstellung der Ereignisse vom Mai und Juni 1967 gegeben. Danach hätten die Verantwortlichen für das israelische Nuklearprojekt Tag und Nacht daran gearbeitet, einen Nuklearsprengkörper „benutzbar“ zu machen. Diese Vorrichtung sei keine wirkliche Bombe gewesen, eher eine Art „Gerät“, eine zündbare Vorstufe zur Bombe. Allerdings habe diesem „Gerät“ die „operationelle Funktion“ gefehlt, welche nur die IDF (Israeli Defense Force) hätte liefern können. Die Idee hinter dem Projekt Schimschon sei gewesen, Premierminister Levi Eshkol im Falle einer nicht zu erwartenden Niederlage gegen Ägypten ein letztes militärisches Hilfsmittel, eine Schau israelischer Stärke, an die Hand zu geben.
Ausgebliebener atomarer Ernstfall
Dieser nukleare Ernstfall, geplant in der ägyptischen Sinaiwüste, ist glücklicherweise nicht eingetreten. In der Öffentlichkeit ist das Projekt Schimschon weder damals noch in den Jahren bis heute diskutiert worden. Es unterlag striktester Geheimhaltung. Yitzhak Ya kov wurde wegen seiner Aussagen, die er später gegenüber der Zeitung Yedioth Achronoth machte, zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt – obwohl der Artikel mit den Aussagen Ya tzas von der israelischen Zensur verboten worden war.
Schlimmer ging es Mordechai Vanunu, welcher der Londoner Sunday Times 1986 Dokumente über Israels Atomprogramm zuspielte, dann von Israel bei einem Aufenthalt in Italien entführt und 1988 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, von denen er etwa elf Jahre in Isolationshaft verbrachte.
Natürlich, muss man fast sagen, duldete Israel in keiner Weise, dass ein arabischer Nachbar zur Atommacht wurde. So zerstörte die israelische Luftwaffe im Jahr 1981 die irakische Atomanlage Tammuz in der Nähe von Bagdad, die wie diejenige in Israel ebenfalls mit französischer Hilfe gebaut worden war.
Die Weltregion der Friedensnobelpreise
Hätte der Sechstagekrieg vom Juni 1967 verhindert werden können? Müssige Frage, möchte man meinen, wenn man die umfangreichen bisherigen Veröffentlichungen heranzieht. Ein neuer Aspekt ergibt sich allerdings, zieht man eine Äusserung heran, die Shimon Peres in seinen 1995 veröffentlichten Memoiren machte. Darin heisst es: „Nachdem Dayan zum Verteidigungsminister gemacht wurde (am 1. Juni 1967, Anm. d. Autors), überreichte ich ihm einen gewissen Vorschlag (...), welcher die Araber abgeschreckt und den Krieg verhindert hätte.“ Avner Cohen interpretiert diese Aussage folgendermassen: „Die Bemerkung wurde als ein Vorschlag interpretiert, dass ein demonstrativer Test einer nuklearen Vorrichtung Krieg verhindert und somit Israels nuklearen Status etabliert hätte.“
Doch der Krieg brach aus. Für die Araber brachte er nach ihrer Niederlage im Krieg von 1948/49 eine neue, eine viel grössere Katastrophe. 750’000 Menschen, meistens Palästinenser, aber auch Juden, mussten fliehen. Besucht man heute palästinensische Flüchtlingslager in der Region, zeigen manche Bewohner noch die Schlüssel jener Häuser, aus denen sie vertrieben wurden.
Übrigens: im Jahr 1994 erhielten Shimon Peres und Yitzhak Rabin den Friedensnobelpreis für, wie es hiess, ihre Friedensbemühungen. Auch Jassir Arafat wurde zusammen mit den beiden israelischen Politikern mit dem Preis ausgezeichnet. Zuvor, 1978, hatten Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat und Israels Premier Menachem Begin ebenfalls den Nobelpreis bekommen für ihr Friedensabkommen von Camp David. Somit ist der Nahe Osten jene Weltregion, in der die meisten Friedensnobelpreise verliehen wurde – und in welcher die Sehnsucht nach Frieden seit Jahrzehnten nicht erfüllt wurde.
(1) Avner Cohen: Israel and the Bomb. New York 1998.
(2) Mohammed Hassaneun Heikal: Das Kairo Dossier. Aus den Geheimpapieren des Gamal Abdel Nasser. Wien 1972.
(3) Alex von Tuzelmann: Blood and sand. Suez, Hungary and Eisenhower’s Campaign for Peace. Harper/HarperCollins Publishers, 2016.
(4) Avi Shlaim: The Iron Wall. Israel and the Arab World. London 2000
Ferner:
Said K. Aburish: Nasser – The Last Arab. London 2001.
Ithith Zertal, Akiva Eldar: Lords of the Land. The War over Israels Settlements in the Occupied Territories 1967-2007 2009.