Vor einem Vierteljahrhundert kam er als Korrespondent des Bayerischen Rundfunks (BR) in die Schweiz, um voller Neugierde das Land „glücklicher Menschen, glücklicher Kühe, wuchtiger Alpengipfel und reicher Banken“ zu entdecken. Inzwischen ist der Deutsche Schweizer, d.h. Doppelbürger, geworden, hat im Radiostudio Bern seine Frau kennengelernt, bis zum Stabschef bei Radio DRS Karriere gemacht und zieht nun Bilanz über seine journalistische Arbeit.
Von Wilhelm Tell bis Adolf Ogi
Gleich zu Beginn seiner Entdeckungsreise sucht von Peschke die typische Schweiz in drei der vier Landesgegenden: Im Glarnerland, bei den Rätoromanen, im Lötschental und in Genf. Es bleibt aber nicht bei diesen Regionen und Leuten. Präzis analysiert er prägende Figuren wie Wilhelm Tell, Arnold von Winkelried, Niklaus von der Flüe, Henri Dunant bis zu Kaspar Villiger, Oskar Reck, Rudolf Strahm oder „einem der effektivsten und erfolgreichsten Schweizer Bundesräte“ Adolf Ogi, deren Aussagen und Interviews sich wiederfinden.
Fazit des Alt-Bundesrats: „Wenn man Bilanz zieht seit 1848, dann ist die Schweiz – man darf es in den Mund nehmen – ein Erfolgsmodell. Nach wie vor leben vier Kulturen friedlich miteinander, wir sind jetzt 26 Kantone – 1979 ist ja ein neuer Kanton dazugekommen, eigentlich schmerzlos, das Volk hat so entschieden!“
Fünf oder fünfzehn Bundesräte?
Interessant ist Ogis Aussage über die Zukunft der Regierbarkeit der Schweiz: “Wir brauchen eine Regierungsreform. Die Krisen kommen sehr rasch daher, sie melden sich nicht vorher an und die Art und Weise, wie wir sie lösen, ist entscheidend für unser Land. Ich bin der Meinung, wir sollten entweder fünf Bundesräte haben und die definieren die politische Strategie. Und dann haben wir Minister delegée, nicht Staatssekretäre, Minister delegée, die die operative Arbeit ausführen. (…) Die zweitbeste Lösung wäre, dass wir auf elf oder fünfzehn Bundesräte gehen.“
Historiker von Peschke zeichnet aber in verschiedenen Sendungen auch Leidenswege auf: die religiösen Auseinandersetzungen, die kläglich gescheiterte Idee des Völkerbunds, die Schweiz im Zweiten Weltkrieg zwischen Sympathien und Abwehr zu Hitler-Deutschland, die Boot-ist-voll-Frage, der fragwürdige Umgang der Banken mit jüdischen Vermögen, die wechselnden Definitionen der bewaffneten Neutralität, die Angst der Schweizer vor Europa, das lange Abseitsstehen bis zum UNO-Beitritt. Die Sendung „Das Land, wo die Millionen blühn“, hat ihm gar einen Journalistenpreis eingebracht.
Von Peschke fällt, halb von innen, halb von aussen beobachtet, der Wandel vom Einzelfall zum Sonderfall und zum Sonderling auf. Eine Betrachtungsweise, die viele Eidgenossen in dieser Gradlinigkeit noch kaum realisiert haben..
Die unbeliebten Deutschen in der Deutschschweiz
Mit leichtem Erstaunen fällt von Peschke auf, dass er über das innere Verhältnis zwischen Deutschen und Deutschschweizern relativ wenig produziert hat. Fast scheint es, er habe dieses Thema aus eigener Betroffenheit gescheut und ausgeklammert: „Warum wollte ich das Thema nicht ansprechen? Hatte ich unbewusst Angst, dass mir einer meiner Freunde oder Kollegen sagen würde: ‚Wie kannst Du nur, gerade Du als Deutscher!’ Da kann ich nur mit dem von mir so geschätzten Karl Valentin sagen: ‚Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut’.“
Trotz Information und Kommunikation im Überfluss hätten viele Deutsche noch immer zahlreiche Klischees über die Schweiz. Und das behindere den ungezwungenen Umgang miteinander. Wir hier möchten eben nicht nur als sauber, fleissig, und bodenständig, „vielleicht ein bisschen teuer“, aber als sicherer „Panzerschrank mit Nummernschlössern“ alles in allem „ein sehr positives, wenn auch mit ein wenig Neid versetztes Bild. So aber wollen die Eidgenossen nicht wahrgenommen werden, als putzige Gartenzwerge im Heidiland. Es ärgert sie, dass die meisten Deutschen von ihrer Geschichte, von ihren kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen, von ihren Problemen und ihrer Demokratie wenig wissen. Kurz, die Eidgenossen fühlen sich von den Deutschen nicht ernst genommen, dieser Stachel sitzt tief.“
Was hat von Peschke mit seinen über hundert Beiträgen für deutsche Sender in all diesen Jahren erreicht? Johannes Grotzky, Direktor des Bayerischen Rundfunks, wägt ab: “Solche Wirkungen kann man ja direkt nie messen. Jene Zeitungen, die noch Medienkritiken kennen, haben immer wieder auf von Peschkes Leistung positiv reagiert. Ein Abbau von Vorurteilen oder gar ein Gesinnungswandel setzt sich aber aus vielen einzelnen Elementen zusammen. Und dazu hat unser Korrespondent von Peschke bestimmt einen wesentlichen Beitrag geleistet!“
Versöhnliche Annäherung
Und welche Bilanz zieht Hans-Peter von Peschke persönlich über sein Vierteljahrhundert in der Schweiz: „Ich bin Schweizer und Deutscher. Schweizer, weil ich dieses Land lieben gelernt habe und an seinem politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben will. Deutscher, weil ich meine Herkunft nicht verleugnen will, und eine Staatsangehörigkeit wechselt man nicht wie ein Hemd. 2010 bin ich also Doppelbürger geworden, weil dies von da an offiziell möglich war. Als ich 1982 zum ersten Mal beruflich in das Land der Eidgenossen kam, hätte ich mir das nicht träumen lassen.“
Zwar liest sich von Peschkes Buch nicht immer leicht – es hat wenig Zwischentitel und Gliederungen, man sieht sich ab und zu seitenweisen Bleiwüsten gegenüber –, aber lesenswert ist es absolut, sowohl für Schweizer wie für Deutsche. Den einen hält es den Aussenspiegel eines aufgeweckten Zeitgenossen vor Augen und gibt dabei einen kurzweiligen Abriss über Geschichte, Politik und Leben in unserem Land. Den andern dürften bei der Lektüre einige Eigenheiten dieser Eidgenossen verständlicher werden. Und für beide gibt es eine versöhnliche Annäherung.
Hans-Peter von Peschke DAS LAND, WO DIE MILLIONEN BLÜHN Ein Vierteljahrhundert als Journalist in der Schweiz ISBN 978-3-834-48188-0