An diesem Tag will US Präsident Trump seine „beispiellosen Sanktionen“ gegen den Iran genauer beschreiben. In der neuen amerikanischen Strategie gegen den Terror steht nicht mehr die Al-Kaida oder der IS im Mittelpunkt, sondern der Iran. Gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien immer neue und gefährlichere Wendungen.
Mullhas Windmühlen
„In stürmischen Zeiten bauen manche Menschen Schutzwälle und manche Windmühlen.“ Dieser Satz steht am Ende eines kurzen Beitrags über die künstliche Intelligenz, erschienen im „Messenger-Telegramm“. Darin beschreibt der Autor in wenigen Sätzen, den unaufhaltsamen Wettbewerb zwischen China und den USA und wie die beiden Supermächte die Welt von Morgen beherrschen wollten. Der kurze Beitrag endet, beinahe unvermittelt, mit jener süffisanten und geistreichen Pointe.
http://www.iran-emrooz.net/index.php/think/more/76898/
Der Präsidentenberater, der Seismograph
Doch dieser Schlusspunkt ist in Wahrheit ein echter Knaller. Sein Autor ist kein geringerer als Mahmud Sariolghalam, Berater des iranischen Präsidenten Hassan Rohani. Der 60-Jährige, in den USA ausgebildeter Professor, lehrt in Teheran an der Universität Imam Sadegh, der Kaderschmiede der Islamischen Republik. Hier werden seit vierzig Jahren hohe Funktionäre des Staates ausgebildet, fast alle Diplomaten des Gottesstaates sind Absolventen dieser Universität.
Professor Sariolghalam geniesst eine Art Narrenfreiheit; er schert sich nicht um Verbote und ist in den sozialen Netzwerken sehr aktiv, hat eine klare und unverblümte Sprache und erlaubt sich, auch Tabuthemen anzusprechen.
Er ist zugleich eine Art Seismograph der Stimmung für das, was in den höheren Rängen gedacht, gespürt und gefürchtet wird.
Wo endet er, am Galgen, im Exil oder im Gefängnis?
Wegen der Klarheit seiner Sprache gilt er bei manchen Radikalen als „fünfte Kolonne“ des Feindes. Eine Website erinnerte ihn kürzlich an das Schicksal aller bisherigen Präsidentenberater seit Bestehen der islamischen Republik: Der erste habe am Galgen geendet, der zweite befände sich im Londoner Exil, der dritte sei nach einem Attentat an den Rollstuhl gefesselt und der vierte friste sein Dasein in einer Gefängniszelle.
https://www.parsine.com/fa/news/173696/روحانی-با-سريع-القلم-چه-خواهد-كرد
Was aus dem derzeitigen Präsidentenberater wird, wisse man nicht, doch der „Seismograph“ fühle sich offenbar immer noch sicher und melde sich regelmässig. Wie auch immer, die Anspielungen auf „Stürme“ und „Windmühlen“ sind eine treffende Zustandsbeschreibung, besser könnte man die iranischen Verhältnisse dieser Tage nicht beschreiben.
„In der Welt draussen, beschäftigt man sich mit wahren Herausforderungen unserer Zeit, während wir hierzulande gegen die Windmühlen kämpfen.“ Diese bittere Wahrheit wollte der Präsidentenberater mit seiner Schlusspointe nicht nur den Mächtigen im Land selbst, sondern – verbreitet im Messenger-Telegramm – auch dem Weltpublikum mitteilen. Ob jemand ihm zuhört?
Trump hat etwas Grosses gegen den Iran vor
Heftige Stürme wehen in der Tat aus unterschiedlichen Richtungen, und am Ruder sitzt ein zerstrittener Machtzirkel, der ratlos scheint, widersprüchlich handelt und den Eindruck des baldigen und unvermeidlichen Untergans vermittelt. Die Islamische Republik muss in ihrem vierzigsten Jahr ernsthaft um ihre Existenz bangen.
An dem Tag, als der Präsidentenberater diese Notiz in die virtuelle Welt setzte, befand sich sein Chef, Hassan Rohani, in der realen Welt von New York, um dort vor der UN-Vollversammlung zu sprechen. Wenige Stunden vor ihm hatte US-Präsident Donald Trump seinen Auftritt. Wie zu erwarten, war der Iran Trumps Hauptthema, und er beschrieb mit drastischen Worten, wie er künftig mit dem Land umgehen wolle. Trump nahm kein Blatt vor den Mund.
Ein korruptes und mafiöses Regime verbreite über die ganze Welt Terror, und gerade dieses Regime wolle sich Nuklearwaffen beschaffen. Er lasse dies nicht zu, daher sei er aus dem Atomabkommen ausgestiegen. Trump trug eine lange Liste anderer Anschuldigungen gegen die Mächtigen in Teheran vor und kündigte an, der Iran werde bald mit Sanktionen rechnen müssen, die in der Geschichte der Menschheit beispiellos seien. Kaum hatte der US-Präsident das Rednerpult verlassen, da kletterte auf dem Teheraner Bazar der US-Dollar auf einen neuen Rekord: Für einen US-Dollar musste man 20’000 Tuman zahlen. Beim Rohanis Amtsantritt vor fünf Jahren war das Verhältnis Dollar zu Tuman 1 : 3000.
Terroranschlag im Zentrum der Erdölindustrie
Der Dollarkurs war nicht die einzige Hiobsbotschaft, die Rohani an diesem Tag aus der Heimat erreichte. Während sich der Präsident in New York aufhielt, musste er damit rechnen, dass sich in der Heimat der kalte Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu einem sehr heissen Krieg verwandeln könnte.
Denn wenige Stunden vor seinem Abflug nach New York waren bei einer Terrorattacke auf eine Militärparade in der Stadt Ahwas, in der Erdölprovinz Chusestan, 25 Menschen getötet und mehr als 60 weitere verletzt worden. Unter den Toten waren auch die drei Angreifer, die auf eine Zuschauertribüne mit offiziellen Vertretern geschossen hatten. Ein verheerender Anschlag in einer der sensibelsten und reichsten Regionen des Landes, in der eine arabische Minderheit regelmässig für Unruhe sorgt.
Der Ruf der Garden ist ruiniert
Politisch gesehen war diese Terrorattacke auch für die omnipotenten Revolutionsgarden verheerend. Seit Jahren propagieren sie, der Iran sei das sicherste Land des Nahen Osten, und diese Sicherheit verdanke man einzig und allein den Gardisten, die in vielen Ländern der Region gegen Terroristen kämpften und im eigenen Lande in allen Bereichen präsent sind.
Plötzlich war dieser eiserne Ruf ruiniert. Nach den Verantwortlichen musste man nicht lange suchen. Eine Stunde nach dem blutigen Terrorakt übrnahm eine Organisation namens „Al Ahwasieh“ die Verantwortung für das Attentat. Diese separatistische Gruppe, die sich als Sprachrohr der arabischen Minderheit im Südwesten Irans versteht, wird offenbar von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, sowohl medial, wie auch finanziell.
„Dubai und Riad bombadieren“
Nach dieser Selbstbezichtigung setzte sich eine Maschinerie in Bewegung, die eine sofortige Rache forderte. Radio und Fernsehen, Freitagsprediger, Studentenorganisationen, Sprecher der verschiedenen Sicherheitskräfte und der paramilitärischen Verbände – kurzum, all jene, die ihre Stimme in der Islamischen Republik erheben dürfen, wünschten sich eine „heldenhafte Antwort der Revolutionsgarden“. Hossein Shariatmadari, der Chefredaktor der Tageszeitung „Keyhan“, der als inoffizieller Sprecher des Revolutionsführers gilt, überschrieb seinen Leitartikel mit den Worten: „Raketen Richtung Riad und Dubai“.
Auch Hassan Rohani selbst hatte auf dem Teheraner Flughafen vor seinem Abflug nach New York „die kleinen Staaten in der Golfregion“ beschuldigt, sie stünden hinter dem Terroranschlag. Und am nächsten Tag nannte Revolutionsführer Chamenei „diese kleinen Staaten“ beim Namen und bezeichnete die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien als Spielzeuge Amerikas.
In Saudi-Arabien tagte sofort der Sicherheitsrat und der allmächtige Kronprinz Ben Salman erklärte, sein Land wisse, sich zu verteidigen und vernichtende Antworten zu geben. Ähnliche Reaktionen kamen auch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. 48 Stunden herrschte der Eindruck, jeder Zeit könnte es losgehen und den kampfesfreudigen Worten würden in jedem Augenblick Taten folgen. Ein Krieg hing in der Luft.
Der IS bringt Entspannung
Doch dann kam die Rettung. Plötzlich tauchte im Internet ein neues Bekenntnis auf. Auf wackeligen Bildern auf Youtube übernahm der „Islamische Staat“ (IS) die Verantwortung für den Terroranschlag. Und da wendete sich das Blatt. Der verbale Krieg hörte auf, der drohende Waffengang war einstweilen vorbei, und das verdankte man dem IS, schrieben viele Kommentatoren.
Wer tatsächlich hinter diesem blutigen Terroranschlag steht, wissen wir nicht. Spekuliert wird in der virtuellen Welt aber viel. Es gibt nicht Wenige, die behaupten, die Revolutionsgarden selbst stünden hinter dem Anschlag, um ihre martialische Präsenz in den Städten zu rechtfertigen. Was und wer auch immer: Die Selbstbezichtigung des IS hat eine gefährliche Eskalation beendet, die unweigerlich zu einem Krieg mit unabsehbarem Ausmass münden könnte. Und das ist auch die Ironie unserer Zeit.
„Es gibt Menschen“, die den Iran bombardieren wollen
Die Gefahr eines Krieges ist allerdings keineswegs gebannt. Am vergangenen Freitag war der ehemalige US-Aussenminister John Kerry Gastredner bei dem Council on Foreign Relations, und er sagte offen, es werde immer wahrscheinlicher, dass es in der Region zu Konflikten kommen werde, „weil es Menschen gibt, die es gerne hätten, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika den Iran bombardieren würden", so Kerry wörtlich.
Als ob die US-Administration Kerrys These bestätigen wollte, legte eine Woche später John Bolton, Trumps Sicherheitsberater, eine neue Strategiestudie vor, in deren Mittelpunkt der Kampf gegen den Iran steht.
Der Iran sei „Zentralbanker des internationalen Terrorismus“, sagte Bolton bei der Vorstellung seiner Studie und betonte, Amerika werde den Iran in den Fokus seiner Anti-Terror-Strategie stellen. Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein gefährlicher Strategiewechsel. Damit nimmt der Iran praktisch den Platz von Al -Kaida und dem IS ein. Diese Strategie ist die erste, die seit 2011 veröffentlicht wird. Damals konzentrierte sich Obamas Administration ausschliesslich auf Al-Kaida.
Eine arabische Nato
Und für diesen künftigen Krieg haben die USA auch regionale Pläne entworfen. Sie wollen mit Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten und anderen Golfstaaten eine Art „Arabische Nato“ gegen den Iran schmieden.
Zufall oder nicht: Genau zu dem Zeitpunkt, als der iranische Präsident vor der UN- Vorversammlung sprach, scharte der amerikanische Aussenminister Mike Pompeo seine Kollegen aus der geplanten „arabischen Nato“ um sich, um mit ihnen die praktischen Schritte gegen den Iran zu besprechen. Ob dieser neuer Nato jemals handlungsfähig wird, ist wegen internen Zwisten zwischen diesen Ländern zwar fraglich, doch es gibt Hartgesottene, sowohl in den USA wie auch in der Region, die lieber heute, als morgen losschlagen wollen.
Was wird geschehen?
Im Iran selbst herrscht eine Stimmung der Ungewissheit. „Alle fragten sich, was kommt, was wird geschehen“ sagte am Samstag der bekannte Politologe Sadegh Zibal Kalam. Wie gebannt warten alle auf den 04. November. An diesem Tag wollen die USA die Einzelheiten der „beispiellosen Sanktionen“ bekanntgeben. Unter anderem soll der Verkauf des iranischen Öls weltweit unterbunden werden.
Soweit wollen es die Europäer aber nicht kommen lassen. Die Finanz- und Wirtschaftsminister aus Frankreich, Deutschland und Grossbritannien haben Mitte September beschlossen, Wege zu finden, wie sie die US-Sanktionen umgehen können.
Europas Plan
Bevor Trump am 4. November seine neue Liste der Sanktionen vorlegt, wollen die Europäer eine neue Finanzinstitution gründen, deren einziger Zweck es ist, Zahlungen für Geschäfte mit dem Iran zu regeln.
Das neue Institut ist keine Bank, sondern eine Zweckgesellschaft, die weder Kapital, noch öffentliche Mittel braucht. Ob diese Idee, die offenbar aus Frankreich stammt, tatsächlich die dringenden Probleme des Iran lösen wird, ist allerdings fraglich. Mit Hilfe dieser Einrichtung sollen die Mächtigen in Teheran eine bestimmt Menge ihres Öls verkaufen können, doch sie werden keine Dollarnoten zu sehen bekommen. Diese Zweckgesellschaft schaltet sich als eine Art Verbindungsfirma zwischen dem Iran und kleinen Firmen ein, die bereit sind, iranisches Öl kaufen bzw. ihre Ware an den Iran verkaufen.
Zum Beispiel verkauft Iran sein Öl an eine spanischen Firma, aber das Geld wird einer italienischen Firma überwiesen, die Medikamente oder Baby-Nahrung dem Iran verkaufen will. Die EU-Zweckgesellschaft fungiert dabei als Vermittlerin.
Öl gegen Nahrung wie zu Saddams Zeiten
Doch selbst diese Konstruktion kann ohne Banküberweisungen nicht funktionieren. Und Banken wehren sich nach wie vor gegen Geschäfte mit dem Iran, weil sie Strafmassnahmen der USA fürchten.
Sollte diese Idee je funktionieren, so wird sie nicht mehr sein, als jenes Programm, das man am Ende der Saddam-Hussein-Ära für den Irak erfunden hatte: Öl gegen Nahrung.
Bahram Ghassemi, Sprecher des iranischen Aussenministeriums hat sich in der vergangenen Woche vehement geweigert, den europäische Plan für den Iran als ein Programm „Öl gegen Nahrung“ zu bezeichnen. Wie man das Kind auch nennen mag, darauf läuft es hinaus. Doch die Herrschenden wissen, wie schwierig die kommenden Wochen sein werden. Sie haben sich längst gewappnet.
Mit Paramilitärs gegen Unruhen
Revolutionsführer Chamenei hat am vergangenen Donnerstag in Teheran, im grössten Fussballstadion des Landes vor hunderttausend Basidji, den gefürchteten paramilitärischen Verbänden, von einem bevorstehenden Krieg gesprochen. Amerika wolle die Islamische Republik vernichten, aber Trump sei wie ein schlafendes Kamel, das vom Baumwollkörnern träume. Eine Rede, die die Anwesenden auf Auseinandersetzungen vorbereitete, nicht gegen Trump und nicht andere Feinde im Ausland, sondern gegen die Unzufriedenen im Lande.
Anschliessend kreuzten bewaffnete Motorradverbände auf – nicht nur in Teheran, sondern in allen grossen Städten des Landes. Man sei gewappnet, um jegliche Unruhe niederzuschlagen, das war die eindeutige Botschaft an all jene, die irgendwelche Gedanken an irgendwelche Proteste hegen.
Heldenhaft wie die Jemeniten?
Dass in den kommenden Wochen die Situation sehr schwierig sein wird, das wissen alle im Iran, die Herrschenden ebenso, wie die Beherrschten. Ali Akbar Velayati, jener Kinderarzt, der 16 Jahre iranischer Aussenminister war und momentan den Revolutionsführer in aussenpolitischen Fragen berät, hat vor zehn Tagen offen gesagt, worauf sich die Bevölkerung einstellen müsste. Die Iraner sollten von den Jemeniten lernen, die sich ein Badetuch umbinden, trockenes Brot essen und trotzdem kämpfen und Widerstand leisten, so Velayati, der 36 offizielle Posten bekleidet, eine 1000 Quadratmeter grossen Villa im Norden Teheran bewohnt und dessen beiden Söhne in Vorständen grosser Firmen sitzen.
Welche Witze und Anekdoten gegen Velayati in den sozialen Medien im Umlauf sind, darüber könnte man ein dickes Buch schreiben.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal