Albanien kann ein Paradies sein, aber die Hölle ist nicht fern. Der Fotograf Hans Peter Jost war schon als junger Mensch von der albanischen «Utopie» fasziniert, konnte aber erst nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1991 einreisen. Von da an hat er das Land dreissig Jahre lang mit der Kamera beobachtet. Trotz aller Kontraste finden sich darin auch viele Facetten.
Direkt nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft hat er einiges von dem gefunden, was sich an Vorstellungen mit diesem landschaftlich reizvollen, vorwiegend muslimischen Land auf dem Balkan verbindet. Die Rückständigkeit auf dem Lande öffnet Blicke in eine nahezu mittelalterliche Vergangenheit, die der Mitteleuropäer mit einem Gefühl der Nostalgie geniesst. Aber so leben möchte er natürlich nicht.
Hans Peter Jost beschreibt in seiner kurzen Einleitung, wie sich Albanien mit der Demokratie und dem mit ihr verbundenen Kapitalismus rasend schnell verändert hat. Wie in den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks entstand sehr schnell eine Schicht cleverer Händler und Geschäftemacher. Ein Bauboom setzte ein, die Strassen füllten sich mit Autos, und viele Dörfer verödeten aufgrund der Landflucht. Die Kluft zwischen Arm und Reich tat sich auf und wird bis heute immer tiefer.
Man könnte darin eine banale Geschichte sehen, die lediglich das wiederholt, was schon aus anderen ehemals kommunistischen Ländern bekannt ist. Aber die Bilder von Hans Peter Jost zeigen, dass es so einfach nicht ist. Von den frühen Aufnahmen ländlich-exotischen Lebens in einfachsten Verhältnissen bis in die späteren Darstellungen des Eindringens westlicher Konsumkultur zeigt sich eine spezielle Färbung des Lebens, das ein bisschen an Karl May und das «Land der Skipetaren» denken lässt.
Dieser Effekt hängt auch mit der klugen, aber eigenwilligen Gestaltung von «Albania in Between» zusammen. Denn es handelt sich nicht um einen Bildband mit verschiedenen Kapiteln, wie es üblich ist und wie man es erwarten würde. Statt dessen werden die Bilder auf 6 Broschüren, die mit einer Text-Broschüre und einer weiteren mit einem Gesamtüberblick ergänzt sind, aufgeteilt. Diese Broschüren mit 444 Seiten befinden sich in einem Schuber.
Das wirkt zunächst eigenwillig und befremdlich, aber es zeigt sich nach und nach der Sinn dieses Konzepts. Als erstes fällt die thematische Gliederung ins Auge: Brot / Glaube / Familie / Bauboom / Vergangenheit / Träume. In den jeweiligen Broschüren finden wir Bilder von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. Die Fotos sind überwiegend in Farbe, manche Bilder aus dem Anfang der 1990er Jahre sind schwarzweiss.
Die Themensetzung jeder einzelnen Broschüre regt dazu an, die Fotos gedanklich zu befragen. Bei manchen Bildern sind die Bezüge offensichtlich, bei anderen öffnet sich ein Feld eigener Überlegungen. In gewisser Weise wird der Betrachter in die Situation eines Reisenden versetzt, dem sich vor Ort Fragen stellen, für die er nicht sogleich eine Antwort findet.
Die Bildlegenden sind knapp, enthalten meistens nur Orts- und Zeitangaben und befinden sich in der Überblicksbroschüre. Einige Merksteine zur Interpretation der Bilder enthalten die einleitenden Texte. So bezieht sich Fatos Lubonja explizit auf einige Fotos von Jost. Fatos Lubonja, geboren 1951, ist ein albanischer Autor und Dissident. 1974 wurde er zunächst zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, später zu zwanzig. Man schickte ihn in ein Arbeitslager, dann wieder in Einzelhaft. 1991 kam er frei. Lubonja interessiert sich besonders für jene Bilder von Jost, die das Ende der Diktatur zum Thema haben.
Die Historikerin Nathalie Clayer beschäftigt sich mit «Albaniens einzigartigem Werdegang in Südost-Europa». Sie schildert, wie Albanien Staatlichkeit erlangte, später von Mussolini überfallen wurde und schliesslich unter kommunistische Herrschaft geriet. Sie erinnert an die Zeiten blanker wirtschaftlicher Not, die immer wieder verzweifelte Fluchtbewegungen ausgelöst haben. Noch im August 1991 haben sich zum Beispiel Flüchtlinge auf einen Frachter, die «Vlora», begeben, weil sie hofften, darauf nach Italien flüchten zu können. Die Bilder von diesen verzweifelten Menschen gingen damals um die Welt.
Die Publikation wurde von privaten Gönnern, der Volkart Stiftung, der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Deza, gefördert. Sie erschien nicht in einem Buchverlag, ist aber über die ISBN-Nummer in einzelnen Buchhandlungen erhältlich oder aber direkt bei Hans Peter Jost zu beziehen.
Hans Peter Jost: Albania in Between 1991–2021, 8 Broschüren, total ca. 444 Seiten, Format A5, im Schuber, 180 Fotografien, Text englisch / deutsch, Euro 78, CHF 80
ISBN 978-3-033-08720-0