Die Militärs verhalten sich nicht anders, als Husni Mubarak es getan hatte. Auch er versuchte, bevor er zum Rücktritt gezwungen wurde, durch kleinere Konzessionen die Demonstranten zu beruhigen. Im Falle des äygptischen Präsidenten funktionierte dies nicht. Die Protestbewegung blieb bei ihrer Grundforderung: "Mubarak muss gehen!" - und sie erreichte schliesslich, dass er entmachtet wurde. Es war am Ende jedoch die Armee, die ihn entmachtete.
Die falsche Analogie mit Mubarak
Die Demonstranten auf dem Tahrir Platz glauben, dass sie auch diesmal, wenn sie nur lange und hart genug Widerstand leisten, ihre Ziele erreichen werden. Die bestehen im Rücktritt der Militärführung und im Übergang der Macht auf eine "revolutionäre Regierung". Was sie dabei übersehen, ist der Umstand, dass sie dafür noch eine andere Macht bräuchten, die über ihre Aktionen und ihre Präsenz auf der Strasse weit hinausgeht. Diese Macht war bei der Absetzung Mubaraks die Armee. Da diese nun selber an der Macht ist, gibt es jenseits von ihr keine andere Macht mehr, welche die Armee "absetzen" könnte.
Eine solche Macht müsste erst geschaffen werden. Es müsste eine legitime Regierung sein, die aus echten Wahlen hervorginge und den Anspruch erheben könnte, das ägyptische Volk glaubwürdiger zu vertreten als die Armee. Eine solche Regierung könnte, wenn sie sich etwa in Bereichen wie der Wirtschaft, der Wiederherstellung der Sicherheit, der Justiz oder der Erziehung bewährte, wirkliche Autorität entwickeln. Diese würde dann ausreichen, um die seit über 60 Jahren in Ägypten im Hintergrund regierenden Militärs abzulösen und sie auf ihre spezifische Rolle, jene der Landesverteidigung, zu beschränken.
Die hohe Bedeutung der Wahlen
Doch die Protestgruppen sind in ihrer eigenen Erfahrung und "revolutionären" Denkweise gefangen. Für sie muss die gleiche Methode, die sich gegen Husni Mubarak bewährt hat, auch in der gegenwärtigen Konfrontation mit den Armeespitzen funktionieren.
Die politischen Parteien und deren Leiter durchschauen die Lage eher als die "Revolutionäre". Für sie ist klar, dass ohne Wahlen, die das Gewicht der Parteien einigermassen objektiv zur Geltung bringen, keine zivile Legitimität geschaffen werden kann. Der Ablösungsvorgang müsste, um zu funktionieren, schrittweise vor sich gehen. Zuerst formal mit einer offiziellen Übergabe der Macht an zivile Autoritäten, später auch de facto durch die allmähliche Schaffung eines professionellen Offizierscorps', die einen Verzicht auf politische Machtausübung und eine Konzentration auf dden Auftrag der Landesverteidigung beinhalten würde.
Die Grenzen der Revolution
Eine Revolution allein kann dies nicht bewirken. Sie droht vielmehr stets neue de-facto-Machthaber auf den Plan zu rufen, die sich zu verschanzen suchen, sobald sie ihre Vorgänger zu Fall gebracht haben.
Die revolutinäre Romantik ist jedoch durch den Erfolg gegen Husni Mubarak (der bei genauerem Zusehen nur ein Teilerfolg war, weil er letztlich durch das Eingreifen der Armee möglich wurde) gesteigert und gefestigt worden. Die Revolutionsmentalität macht sich sogar bei der jüngeren Generation der Muslimbrüder bemerkbar. Ihre Politiker und altbewährten Anführer steuern auf Wahlen hin und weigern sich daher, weiterhin bei den Strassendemonstrationen mitzuwirken. Doch ihre jungen Leute neigen dazu, sich den Kollegen auf dem Befreiungsplatz anzuschliessen. Sie teilten deren Erfahrungen bei der früheren Demonstrationswelle gegen Mubarak, und die Revolutionsgruppen werfen jedem "Egoismus" vor, der sich nicht mit ihnen solidarisiert. Für sie handeln grundsätzlich alle Politiker aus Eigennutz, nur darauf bedacht, ihre Karrieren zu fördern. Diese Einstellung wirkt bis in die Muslimbruderschaft hinein und führt zu Spannungen.
Die Armeeführung ist in ihren überkommenen Vorstellungen von ihrer Rolle im ägyptischen Staat befangen. Sie glaubt - und dieser Glaube ist mit erheblichem Pathos verbunden -, sie sei das Rückgrat der Nation. Entsprechend fühlt sie sich dafür verantwortlich, dass Ägypten buchstäblich aufrecht in die Zukunft geht. Die jüngste Rede von Mohammed Hussein Tantawi hat diese Überzeugung überdeutlich zum Ausdruck gebracht. Die Militärführung glaubt zutiefst, ausschliesslich zum Wohle des Landes zu handeln.