Das Filmchen ist etwas lang und handgestrickt geraten, und der Bischof von St. Gallen ist mit der Kamera nicht recht warm geworden. Es ist zwar kein Paradestück der Kommunikation, was einen zurzeit auf der Website www.bischoefe.ch begrüsst.
Wer aber trotz des betulichen Einstiegs weiter zuhört oder die etwas ausführlichere Textfassung liest, wird sich vielleicht wundern. Markus Büchel packt das beherrschende Thema unserer Tage an, ohne sich von Ausmass und Komplexität der Finanz-, Schulden- und Wirtschaftskrise einschüchtern zu lassen.
Schwindendes Vertrauen
Vielmehr stellt er sich der beunruhigenden Problematik in seiner Rolle als Bischof, nämlich als Fürsprecher einfacher Leute – insbesondere der Armen – und mit einer christlichen Sicht der Dinge. «Das Geld ist für den Menschen da, nicht der Mensch ein Sklave des Geldes.» Dies das Motto seiner Ansprache, das ein bekanntes Jesus-Wort paraphrasiert: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.
Im Unterschied zu anderen kirchlichen Stimmen, die notorisch den Mammon dämonisieren, unterstreicht Büchel die zivilisatorischen Vorteile der Geldwirtschaft. Dann aber kommt er zur Sache, bischöflich mild im Ton, doch unmissverständlich: «Ich gebe zu: Mein Vertrauen in unser Finanz- und Wirtschaftssystem ist angekratzt. Diese Sorgen machen sich sehr viele Menschen, in ganz Europa, weltweit. Das Vertrauen in Politik, Banken und andere Finanzinstitute schwindet.»
Wer im Glaushaus sitzt
Redet ein Bischof der römisch-katholischen Kirche über den Vertrauensverlust von Institutionen, so bewegt er sich auf Glatteis. Markus Büchel spricht den heiklen Punkt an: «Gerade als Mann der Kirche weiss ich: Vertrauen ist schnell zerstört, aber nur mühsam wieder aufgebaut.» Er ist keiner, der im Glashaus mit Steinen schmeisst.
Seine Art mit dem Thema umzugehen zeigt, dass die bittere Erfahrung des Glaubwürdigkeitsverlusts seiner Kirche durch sexuellen Missbrauch, unklare Abgrenzung gegen Rechtsextreme, doktrinäre Verhärtungen und düstere Intrigen an der Spitze ihn sensibel macht für institutionelle Vertrauenskrisen jeglicher Art.
Die moralische Haftung
Als einer, der im eigenen Bereich prophylaktisch gegen Missstände vorgegangen ist (das Bistum St. Gallen hat im Kontext des Missbrauchskandals entschlossen und transparent gehandelt), redet Büchel den nun Verantwortlichen ins Gewissen.
Wer Geld anvertraut bekommt, übernimmt eine moralische Haftung. Desgleichen, wer es verleiht oder investiert. Es involviert die an Geldflüssen Beteiligten nicht nur in wirtschaftliche Prozesse, sondern auch in die damit verbundenen Verantwortlichkeiten für faire Produktionsbedingungen, schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen und Einhaltung von Menschenrechten.
Gefahr des Eigenlebens
Und weiter: Individuen und Staaten, die über ihre Verhältnisse leben und Schulden aufhäufen, handeln nicht verantwortlich. «Genug haben können ist eine Kunst, die wir in den reichen Industrienationen neu einüben müssen. Wer diese Kunst beherrscht, wird andere Reichtümer entdecken.»
Geld sei nicht Selbstzweck, so der Bischof, es sei nicht dazu da, sich selbst zu vermehren. Im Streben nach irrealer, grenzenloser Wertvermehrung habe die Finanzwirtschaft Risiken aufgetürmt und in undurchschaubarer Weise verpackt, bis die Blase platzte. Ein Finanzsystem, das sich von der realen Wirtschaft abkopple und ein unkontrollierbares Eigenleben führe, sei gefährlich und sinnlos. Büchel verweist auf Gespräche mit Fachleuten, die ihn in dieser Beurteilung bestätigt hätten.Als Bischof von St. Gallen hat er ja einen Hort des ökonomischen Sachverstands vor der Haustür.
Eine veritable Busspredigt
Büchel macht sich nicht anheischig, Lösungen für die aktuelle Mehrfachkrise angeben zu können. Hingegen nennt er eine Priorität, die sich aus der christlichen Sichtweise ergibt: «Wir dürfen nicht beim Einsatz für bedürftige Menschen, für Menschen ohne Zukunftsperspektive, für Arbeitslose, für Menschen am unteren Rand der Gesellschaft den Sparhebel ansetzen. Zumal gleichzeitig die Saläre der Bestverdienenden weiter überdurchschnittlich steigen und die Zahl der Millionäre ausgerechnet in der Krise zunimmt.» Auch fordert er die Politik auf, die Exzesse der Finanzwirtschaft wirkungsvoll einzudämmen (er tut es in Form des Dankes an diejenigen Politikerinnen und Politiker, die sich dafür einsetzen).
Es ist eine veritable Busspredigt, die Markus Büchel zum 1. August ins Netz gestellt hat. Sinnesänderung, Umkehr – oder in traditionell-kirchlicher Sprache eben «Busse» – ist das Thema der Evangelien, und zu ihr aufzurufen schon immer der Verkündigungsauftrag der Kirche. Der Aufruf macht deutlich, dass die multiple Schulden-, Finanz- und Wirtschaftskrise zu tiefgreifenden Veränderungen des Denkens und Handelns herausfordert, und zwar in persönlichen, politischen und wirtschaftlichen Dimensionen. Der St. Galler Bischof zeigt sich auf der Höhe seiner Aufgabe als Exponent der Kirche – vielleicht noch nicht ganz, was die Form betrifft, umso mehr aber nach Intention und Inhalt.
Urs Meier, Theologe, war acht Jahre als Gemeindepfarrer tätig, dann Fernsehbeauftragter und Medienexperte der reformierten Kirchen, bis Ende 2011 Geschäftsführer der Reformierten Medien. Publizistische Tätigkeiten u.a. als Autor und nebenberuflicher Redaktor der Kulturzeitschrift Reformatio sowie als Mitherausgeber und Autor des Fachorgans Medienheft (vormals Zoom Kommunikation & Medien)