Die Geschichte wiederholt sich – ob als Tragödie oder als Farce, werden wir noch erfahren. Und zwar höchstwahrscheinlich bereits in diesem Jahr: Denn das Jahr 2019 geht schwanger mit wichtigen und dramatischen Ereignissen.
Allen Differenzen mit US-Präsident Donald Trump zum Trotz positioniert sich Europa wegen neuer Terrorpläne und alter Terrorakte gegen den Iran neu. Man will sich nicht mehr alles gefallen lassen, was die Machthaber der Islamischen Republik auf europäischem Territorium anstellen.
Hocherfreut über diese neue Haltung Europas gegenüber Teheran, beschleunigen die USA den angelaufenen Prozess. Schon in drei Wochen soll in Europa eine grosse Anti-Iran-Konferenz stattfinden. Ort der Veranstaltung ist Polen, ein Land, das mit der US-amerikanischen Aussenpolitik bekanntlich weniger Probleme hat als mit der europäischen. Schon haben zehn Länder ihre Teilnahme an dieser Konferenz zugesagt. Und auch der Iran hat reagiert: Vergangenen Sonntag hat das iranische Aussenministerium den polnischen Botschafter in Teheran einbestellt, um gegen die geplante Konferenz zu protestieren.
Man veranstalte im eigenen Land Konferenzen mit wem man wolle und zu welchem Thema auch immer, war die Reaktion aus Warschau.
Nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen hatte Europa eigentlich nicht alle Brücken zum Iran einreissen wollen. Man verteidigte das Abkommen und sucht immer noch Wege, um die US-Sanktionen gegen die Islamische Republik zu umgehen. Doch diese Gratwanderung droht zu scheitern – wie einst, als Europa mit seinem „kritischen Dialog“ versuchte, irgendwie mit dem Iran in Kontakt zu bleiben.
Ein altes Stück, neu inszeniert
Ein Stück, das wir aus jüngerer Vergangenheit kennen, wird damit offenbar neu inszeniert. Es geht so: Erst wird der Islamischen Republik vorgeworfen, iranische Oppositionelle in Europa durch Terroranschläge und Morde liquidiert zu haben oder liquidieren zu wollen. Dem folgen gemeinsame Proteste, Solidaritätsbekundungen und Sanktionen der einzelnen europäischen Länder. Daraufhin melden sich US-Politiker zu Wort und zeigen sich erfreut darüber, dass Europa endlich lerne, Position gegen die „terroristischen Machthaber“ im Iran zu beziehen.
Das obligatorische Dementi, gepaart mit Drohungen, kommt als vorläufig letzter Auftritt dieses Aktes aus Teheran.
Denn die Vorstellung ist damit noch keineswegs zu Ende. Es beginnt der zweite und spannendere Teil der Inszenierung: Europa will es sich trotz allem mit dem Iran nicht ganz verderben. Eine Hintertür muss offen bleiben. Gleichwohl will man sich von der brachialen Iran-Politik der USA irgendwie absetzen. Und damit beginnen die Rückzugsgefechte und Deeskalationsübungen – verbunden mit der Hoffnung, es werde bald wieder eine gewisse Normalisierung einkehren.
Der erste Akt
Die erste Arbeitswoche des neuen Jahres begann mit dem ersten Auftritt. Anfang der Woche teilte der dänische Aussenminister Anders Samuelsen per Twitter mit, die EU-Staaten hätten sich auf neue Sanktionen gegen den iranischen Geheimdienst geeinigt. „Starkes Signal der EU, dass wir solches Verhalten in Europa nicht akzeptieren“, so Samuelsen in seinem Tweet. Der dänische Geheimdienst hatte dem Iran Ende Oktober vorgeworfen, einen Anschlag auf drei Iraner in Dänemark geplant zu haben.
Doch es blieb nicht dabei. Noch am selben Tag kamen die Niederlande mit weiteren Vorwürfen. Wenige Stunden nach Samuelsen trat der niederländische Aussenminister Stef Blok vor die Presse und teilte mit, es gebe klare Hinweise, dass die iranische Regierung in die Ermordung von zwei niederländischen Bürgern iranischer Herkunft verwickelt sei.
Ein politischer Racheakt
Der erste dieser Morde ereignete sich vor drei Jahren im niederländischen Almere, offenbar als ein politischer Racheakt aus den ersten Tagen der Islamischen Republik: In der beschaulichen Kleinstadt südlich von Amsterdam hatte der 56-jährige Ali Motamed bis dahin als Elektriker ein unauffälliges Leben samt Ehefrau und kleinem Sohn gelebt. Im Dezember 2015 wurde Motamed vor seinem Haus von einem Killerkommando umgebracht. Dank Überwachungskameras gelang es der Polizei, die beiden Täter festzunehmen. Sie stammten aus dem Amsterdamer Drogenhandel. So weit die scheinbare kriminelle Normalität.
Doch das war nur die Oberfläche: Spätere Ermittlungen ergaben, dass Motamed eigentlich Mohammad Reza Kolahi hiess: ein Name, den fast jeder Iraner kennt. 1981 hatte Kolahi als 22-Jähriger eine Bombe in der Zentrale der Partei der Islamischen Republik in Teheran gelegt und damit auf einen Schlag 73 führende Köpfe der neuen Machthaber getötet. Nach diesem Anschlag war das Überleben der Islamischen Republik höchst fraglich. Denn die Revolution war jung, der mörderische Krieg gegen den Irak tobte unvermindert und ein unversöhnlicher Machtkampf im Inneren lähmte den gesamten Machtapparat. Doch das Regime überlebte, Kolahi konnte fliehen und setzte sich ins Ausland ab, wo er über dreissig Jahre unerkannt lebte. Aber der iranische Geheimdienst hatte nie aufgehört, ihn zu suchen; schliesslich spürte man ihn in Holland auf und liess ihn durch gedungene Mörder töten.
Zwei Jahre später, am 8. November 2017, wurde Ahmad Mola Nissi in Den Haag auf offener Strasse erschossen. Der 52-Jährige war Gründungsmitglied der separatistischen „Arabischen Befreiungsbewegung für Ahvaz“, die seit 1999 für Autonomie und Selbstbestimmung der erdölreichen südiranischen Provinz Khuzestan kämpft. Die Polizei konnte den mutmasslichen Täter noch am selben Tag verhaften. Die Verantwortlichen für den Mord sehen die niederländischen Behörden allerdings in Teheran.
Dementi aus Teheran
Der Iran weist derartige Anschuldigungen stets kategorisch zurück. Die Anschläge seien fingiert und gingen von jenen aus, die das Verhältnis zwischen Europa und dem Iran schädigen wollten, lauten die Dementi. „Jene“ – gemeint ist damit Israel. Laut israelischen Medien wiederum sollen Hinweise des Mossad entscheidend für die Aufklärung der Attentate gewesen sein.
Doch der amerikanische Aussenminister Mike Pompeo gratulierte den Europäern, dass sie „Mörder des iranischen Regimes“ gefasst haben. Schon in seiner ersten grossen Rede als Aussenminister im Mai 2018 hatte Pompeo gewarnt, die iranischen Revolutionsgarden planten Mordoperationen „im Herzen Europas“.
Terrorplan in Albanien?
Ähnlich klang Ende des Jahres 2018 ein Tweet der US-Botschaft in Albanien: Man habe eine terroristische Verschwörung auf albanischem Boden verhindert. Wie dies geschah, ist unklar. Fest steht, dass die albanische Regierung den iranischen Botschafter und einen seiner Mitarbeiter kurz vor Weihnachten des Landes verwies. Eine offizielle Begründung für den Schritt gibt es nicht.
„In Absprache mit Verbündeten“, heisst es, sei man zu dem Schluss gekommen, dass der Botschafter Aktivitäten nachgegangen sei, die mit seinem Status nicht vereinbar waren. Es ging um angebliche Terrorpläne des Iran während eines Fussballspiels zwischen Israel und Albanien. Wie auch immer: Albanien ist kein Einzelfall.
Ein Terrorplan, vier europäische Staaten
Gleich vier weitere europäische Länder – Deutschland, Frankreich, Belgien und Österreich – verlangen vom Iran ebenfalls Antworten über einen gescheiterten Terrorplan, der offenbar gegen eine Tagung der Volksmudjahedin Ende Juli 2018 in Paris gerichtet war. Drahtzieher soll ein in Wien stationierter iranischer Diplomat gewesen sein, der auf einer Autobahn in Deutschland verhaftet und an Belgien übergeben wurde. Denn der Sprengstoff für das Attentat in Paris wurde bei einem in Belgien lebenden Ehepaar gefunden. Gelebte europäische Realität, möchte man sagen.
EU-Sanktionen gegen den Iran
So kommen in diesen Tagen plötzlich alte Taten und neue Akten zusammen – und werden zu einem grossen Hindernis für eine Annäherung zwischen dem Iran und Europa. Und das zu einer Zeit, wo der Iran Europa mehr denn je braucht, um Trumps Sanktionen irgendwie zu überstehen. Wenige Stunden nach den Auftritten des dänischen und des niederländischen Aussenministers beschloss auch die EU neue Sanktionen gegen den Iran. Im Visier stehen dabei eine für Auslandsoperationen zuständige Abteilung des iranischen Geheimdienstes sowie zwei Einzelpersonen.
Wieder wirft die EU dem Iran vor, in europäischen Ländern Attentate geplant und teilweise ausgeführt zu haben. Und tatsächlich ensteht der Eindruck, dass der Iran wieder versucht, Vertreter der Opposition im Ausland zu eliminieren.
Kehrt die Vergangenheit zurück?
Sind die Teheraner Machthaber zu ihrer alten Politik zurückgekehrt, zurück zu den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts? Wollen sie wieder ihre Gegner in Europa physisch vernichten? Warum diese plötzliche Eskalation? Haben wir es mit einem Strategiewechsel zu tun? Und wenn ja: Warum? Und was kann, was wird Europa machen?
Und warum gerade jetzt, da Europa versucht, einen Mechanismus zu finden, um einen finanziellen Transfer mit dem Iran trotz Sanktionen weiterhin zu ermöglichen?
Eine Bombe namens „Mykonos-Urteil“
Das ist nicht das erste Mal, dass Europas Bemühungen um eine Deeskalation an iranischen Terroraktivitäten scheitern. Man erinnert sich an das Urteil aus dem „Mykonos-Prozess“, das wie eine juristische Bombe die Weltdiplomatie erschütterte. In diesem Schuldspruch hatte das Berliner Kammergericht festgestellt, dass die gesamte politische Führung des Iran unmittelbar für die Ermordung von vier kurdisch-iranischen Oppositionspolitikern am 17. September 1992 in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ verantwortlich sei. Der Richterspruch ist zugleich ein Meilenstein für die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.
Der Prozess habe die Einflusssphären von Exekutive und Jurisdiktion in der Bundesrepublik ausgelotet, werden später viele Juristen kommentieren. Denn die deutsche Regierung hatte während der Verhandlungszeit alles unternommen, um die iranische Führung aus dem Prozess herauszuhalten – vergeblich. Erstmals war in der bundesdeutschen Justizgeschichte eine Anklageerhebung des Generalbundesanwalts vor der Unterschrift an verschiedene Ministerien geschickt worden. Die Exekutive sollte offenbar vor der Explosion der „Bombe“ gewarnt werden.
Kein Wunder, dass das Urteil innen- und aussenpolitisch Wellen schlug. Der damalige Generalbundesanwalt sah in dem Prozess die Initialzündung für seine spätere Entlassung.
Ende des „kritischen Dialogs“
Nach der Urteilsverkündung brach die Bundesregierung den bisher eher symbolisch geführten „kritischen Dialog“ mit Teheran ab, wies vier iranische Diplomaten aus und rief den deutschen Botschafter in Teheran zurück. Die Staaten der Europäischen Union schlossen sich diesen Schritten an. Eine erneute internationale Isolation der Islamischen Republik ist da.
Bei einem Freitagsgebet in Teheran wird der damalige iranische Präsident Rafsandschani – im Urteil als einer der Drahtzieher der Morde persönlich erwähnt – den Richterspruch als politische Manipulation bezeichnen und Deutschland mit Konsequenzen drohen. Das ist das notwendige Signal: Danach marschieren täglich Zehntausende Demonstranten vor die deutsche Botschaft in Teheran und fordern die „Bestrafung“ der deutschen Richter und Staatsanwälte. Die Beziehungen zwischen Europa und dem Iran kreisen um Verdächtigungen, Schmähungen und eine Verurteilung.
Doch dann ebbt die Spannung langsam ab. Im Geheimen versuchen beide Seiten, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Dabei versprechen die Teheraner Machthaber, jegliche Terrorpläne und -aktionen auf europäischem Boden zu unterlassen. Und sie hielten bis heute ihr Wort: Nach dem „Mykonos-Urteil“ gab es in Europa tatsächlich lange keine terroristischen Aktivitäten iranischen Ursprungs.
Will der Schwache Stärke demonstrieren?
Wendet sich nun das Blatt? Oder sind die Auslandskommandos wieder aktiv? Doch die Geschichte wiederholt sich eben nicht. Denn die islamische Republik des Jahres 2019 ist nicht derselbe Staat, mit dem Europa, vor allem Deutschland, vor etwa dreissig Jahren einen „kritischen Dialog“ führen musste. Heute stehen die Teheraner Machthaber unter massivem Druck – aus dem Inneren ebenso wie aus dem Ausland.
Rational gesehen bräuchte die Führung in Teheran Europa also mehr denn je. Deshalb stellt sich die Frage, warum das einst gegebene Wort nicht mehr gilt. Oder haben wir es mit den Aktionen eines Schwachen zu tun, der Stärke demonstrieren will?
Mit freundlicher Genehmigung von IranJournal.org