Es ist ein schönes Land, das schöne Spanien
Viel neue Weisheit sprosste aus der alten.
Und Scharen wissbegier'ger Schüler wallten
Aus allen Ländern her nach Cordoba,
Um hier zu lernen, wie man Sterne misst,
Und wie man löst die Rätsel dieses Lebens.
Heinrich Heine
Aus: Almansor, 1823
Beginnen wir mit dem durchaus als tragisch zu charakterisierenden Ende. Am 2. Januar des Jahres 1492 christlicher, am 1. März des Jahres 897 muslimischer Zeitrechnung erobern die von Papst Alexander VI. vier Jahre später, 1496, mit dem Ehrentitel "katholische Könige" versehenen Ferdinand II. von Aragon und Isabella I. von Kastilien das als märchenhaft verklärte Granada, die letzte noch von Muslimen besetzte Stadt auf dem Boden der Iberischen Halbinsel.
Im selben Jahre weisen diese "katholischen Könige" die Juden aus, die Muslime werden vor die Wahl gestellt, entweder zum Christentum zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Mit dem Fall Granadas, dem "Sitz der "Maurenherrlichkeit", wie Heinrich Heine später dichtet, geht nicht nur die knapp achthundertjährige muslimische Geschichte jener Halbinsel zu Ende, aus der später Spanien wird; vorbei ist auch eine Epoche der "religiösen und ethnischen Toleranz", wiewohl man diesen viel strapazierten Begriff hier nur unter Einschränkung verwenden darf.
Orientbegeisterung - die Araber als Kulturvolk
Doch davon später. Heinrich Heine lässt sich vom Fall Granadas und dem Ende von Al-Andalus zu seiner Tragödie Almansor inspirieren: Ein arabischer Adliger namens Abdullah entscheidet sich, seinem muslimischen Glauben treu zu bleiben und führt Ehefrau Fatima und Sohn Almansor mit ins Exil in den Jemen. Die Literaturgeschichte hat herausgefunden, dass Heine für seine Tragödie die Geschichte von Al-Andalus intensiv studiert und dass er sich auch darüber kundig gemacht hat, wie Papst und spanische Krone nach 1492 das Christentum mit Gewalt "und mit Hilfe der Inquisition" verbreitet haben.
Heines Almansor fällt in eine Zeit allgemeiner Orientbegeisterung, in der plötzlich die Araber nicht mehr als filzige, grobe Wüstenbewohner, sondern als Kulturvolk gesehen werden, die zahlreiche Werke der Poesie und viele Erzählungen geschaffen haben. Über dieses zweifellos etwas romantisierte Bild des Arabers schreibt Victor Hugo, früher seien wir "Hellenen" gewesen, "und jetzt sind wir Orientalen".
Die Juden empfinden die Ankunft der Muslime als Befreiung
Begonnen hat die Geschichte von "Al-Andalish", wie die Araber in Anspielung an die Vandalen die Iberische Halbinsel nannten, im Jahre 711 christlicher Zeitrechnung, als der muslimische Feldherr Tariq beim heute Gibraltar genannten Felsen (von "Gebel Tariq" = Berg des Tariq) an der Spitze eines Berberheeres vom nordafrikanischen Ceuta aus auf die Iberische Halbinsel übersetzt, wohl, um zunächst nur in Form einer traditionellen arabischen Razzia, eines Raubzuges, reiche Beute zu machen.
Doch das solchermassen angegriffene christliche, durch inneren Zwist gespaltene Westgotenreich kollabiert schnell. Die dort ansässigen Juden empfinden die Ankunft der Muslime als eine Art Befreiung, denn die Westgoten hatten die Juden verfolgt und unterdrückt. Unter den Muslimen gelten die Juden wie auch die Christen als Schutzbefohlene (dhimmis), die gegen Zahlung einer Sondersteuer unbehelligt weiter nach ihren Glaubensgrundsätzen leben können.
Sklaven als staatstragende Schicht
In den nachfolgenden arabischen Armeen spielt jenes nordafrikanische Volk eine entscheidende Rolle, das die Römer "barbari", Barbaren genannt hatten und das dann als Berber in der andalusischen Geschichte eine bedeutende Rolle spielt. Die Berber waren früh zum muslimischen Glauben übergetreten und stellen in den muslimischen Kontingenten, die jetzt immer öfter in die iberische Halbinsel einfallen schlagkräftige Kontingente. Das am Guadalquivir gelegene Cordoba wird schnell zum Zentrum des neuen Reiches, das sich bald bis weit nach Norden ausdehnt.
Von 750 bis 1031 ist Cordoba der Sitz des Omajaden-Kalifats. Die Omajaden waren im Jahr 750 in Damaskus von der Dynastie der Abbasiden vertrieben worden, die Abbasiden machten Bagdad zur Hauptstadt des arabisch-muslimischen Reiches. Mit Abd al-Rahman erreicht schliesslich ein Flüchtling aus dem Stamm der Omajaden Cordoba, wo er ein von Bagdad unabhängiges Kalifat errichtet. Einen Höhepunkt erreicht das Kalifat von Cordoba unter Abd al-Rahman III, der von 912 bis 961 regiert. Er lässt, wie der Berliner Historiker Michael Borgolte schreibt, "weisse Sklaven" auf dem Sklavenmarkt von Verdun kaufen. Diese Sklaven sind offenbar Gefangene, die das fränkische Herrschergeschlecht der Ottonen bei seinen Feldzügen gegen die Slaven gemacht hatte. Die Sklaven werden ein wichtiger Bestandteil der Armee, später erreichen sie bedeutende Stellungen in der Staatsverwaltung, neben Arabern und Berbern entwickeln sie sich zu einem staatstragenden Schicht in Al-Andalus. Abd al-Rahman III. baut auch die als Märchenstadt in die Geschichte eingegangene Palastresidenz Medinat al-Zahra, angeblich benannt nach der Lieblingskonkubine des Kalifen, Zahra. Doch die Traumstadt wird bald, nämlich schon 1010 im Verlaufe eines Bürgerkrieges zerstört, gut 20 Jahre später, 1031, ist auch das Kalifat von Cordoba nach vielen Berbereinfällen zu Ende.
Christliche Reconquista
An seine Stelle treten etwa vierzig Kleinstaaten, den Taifas. Es gibt Taifas, die von Berbern beherrscht werden, in anderen regieren Araber. Die Konkurrenz, die Zwistigkeiten, die ständigen Kleinkriege schwächen das einst politisch und wirtschaftlich mächtige Al-Andalus, die christlichen Herrscher des Nordens beginnen, die Zerrissenheit auszunutzen und den muslimischen Duodezfürstentümern Tribute aufzuerlegen. Allmählich entwickelt sich auch der Gedanke einer christlichen Reconquista - der Wiedereroberung des an die Muslime verlorenen Landes, die mit der Eroberung von Granada 1492 endet.
Allerdings verläuft diese Reconquista nicht geradlinig. Sie beginnt nämlich mit einer heftigen Niederlage. Alfons VI von Leon-Kastilien (Regierungszeit 1065 bis 1109) unterliegt einem muslimischen Heer, das auf einen Hilferuf der Taifas aus Nordafrika übergesetzt war. Diese Streitmacht besteht aus Berbern, ihre Führer nennen sich Almoraviden (von "al-murabitun" = die Gottgeweihten), 1146 werden diese von einer anderen Berberdynastie, den Almohaden (von "al-muwahhidun" = die im Glauben Einigen, die an einen einzigen Gott Glaubenden) abgelöst.
Keine der Berberreiche kann aber die an Kraft gewinnende christliche Reconqista aufhalten. 1085 fällt Toledo, 1236 Cordoba, 1248 Sevilla. Bis 1492 dauert es dann, bis die christlichen Herrscher Ferdinand und Isabella auch den letzten muslimischen Posten, das Emirat von Granada, erobern. Damit ist nach knapp acht Jahrhunderten die muslimische Herrschaft in Spanien zu Ende. In dieser Zeit der Reconquista spielt auch der Roman Lion Feuchtwangers "Die Jüdin von Toledo": In einer Epoche, da die Juden Andalusiens gezwungen werden sollen, den muslimischen Glauben anzunehmen, nimmt ein Jude den Namen seiner Väter "Jehuda Ibn Esra" an und tritt in die Dienste des katholischen kastilischen Königs Alfons VIII. (Regierungszeit 1158-1214). Der ist zwar durch einen Waffenstillstand mit den Muslimen zum Frieden angehalten, träumt aber immer noch von der Fortsetzung der Reconquista. Der Roman nimmt eine dramatische Wende, als sich Alfons VIII. in die Tochter des Juden, Fermosa (= die Schöne), verliebt.
Toleranz, friedliches Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden
Die Geschichte des muslimischen Spaniens liest sich wie eine Abfolge von Eroberungskriegen, Siegen, militärischen Rückschlägen, Palastintrigen, Bürgerkriegen und Staatsstreichen. Freilich hatten ähnliche Verhältnisse sowohl im untergegangenen Westgotenreich als auch in den christlichen Königreichen des Nordens geherrscht. Und doch verklären sich bei der Erwähnung von Al-Andalus oft die Gedanken. Worte fallen wie Toleranz und wie convivencia - friedliches Zusammenleben von Muslimen, Christen und Juden. Trotz aller Kriege nämlich ist die Epoche von Al-Andalus als eine Ära in die Geschichte eingegangen, die durch eine Blüte der Wissenschaft, der Poesie und der Philosophie charakterisiert ist. Eine wesentliche Ursache für diesen kulturellen Glanz ist auch das Konzept der Toleranz, dem viele muslimische Herrscher folgen. Allerdings ist Toleranz im Islam keineswegs gleichzusetzen mit Gleichberechtigung. Christen und Juden, die einer Religion folgen, die sich auf ein Buch, nämlich die Bibel stützen und an nur einen Gott glauben, dürfen ihren Glauben ausüben. Gleichheit im modernen Sinne herrscht damit unter den drei Religionen keineswegs. Aber: Anders als seinerzeit im Reich der Westgoten und später im Spanien der "katholischen Könige" werden Christen und Juden im Allgemeinen weder vertrieben noch werden sie mit Gewalt dazu gezwungen, zum Islam überzutreten.
Cordoba wird Zentrum des talmudischen Judentums
Wie nun sieht das tägliche Zusammenleben aus? Christen, Juden und Muslime leben meistens in verschiedenen Stadtteilen, wiewohl diese Wohnquartiere wohl nicht exklusiv einer einzigen Gruppe zugeordnet sind. Viele Christen behalten ihren Glauben, passen ihre Lebensgewohnheiten aber mehr und mehr an die arabischen Gebräuche an. Diese Mozaraber tragen oft einen lateinischen und einen arabischen Namen. Sie sprechen Arabisch und eine Art romanischen Dialekt, aus dem sich das Spanische entwickelt. Oft praktizieren sie sogar die Beschneidung, ihre Assimilierung an die Muslime geht soweit, dass sie sich einen Harem halten. Die grösste Bevölkerungsgruppe stellen indessen die Muwalladun, die ursprünglichen christlichen Bewohner der Halbinsel, die allmählich zum Islam übertreten. Unter den Kalifen Abd al-Rahman III. und seinem Nachfolger Al-Hakam kommen viele Juden nach Cordoba, die Stadt wird zu einem Zentrum des talmudischen Judentums.
Freilich: Es gibt Perioden grösserer Toleranz, und es gibt Epochen einer grösseren Trennung, ja auch Verfolgung von Minderheiten. Unter der Herrschaft der strenggläubigen Berberdynastie der Almoraviden sollen im Sevilla des 12. Jahrhunderts muslimische Frauen daran gehindert werden, die "verabscheuungswürdigen Kirchen" zu betreten, weil Priester "Bösewichter und Sodomiten" seien. Christinnen sollten nur an Sonn- und Feiertagen in die Kirchen gehen, da sie sonst mit den Priestern Unzucht trieben, von denen die meisten ohnedies (919-859) mit mehreren Frauen schliefen.
Märtyrerbewegung
Überhaupt bedeutet die Herrschaft der beiden Berberdynastien das weitgehende Ende der convivencia. Juden werden verfolgt und fliehen entweder in die christlichen Königreiche des Nordens oder in jenen islamischen Orient, in dem Angehörige von religiösen Minderheiten weiter als "Schutzbefohlene" friedlich leben können. Ähnliche Fluchtwege nehmen die christlichen Mozaraber.
Andererseits suchen christliche Extremisten das Martyrium. Sie wollen durch den muslimischen Kalifen hingerichtet werden, weil sie glauben, sich so von der Sünde der Unterordnung unter den Islam freimachen zu können. Diese Märtyrerbewegung, aktiv gefördert von St. Eulogius von Cordoba (819-859), muss als Protest gegen die langsame Assimilierung an den Islam, als Protest gegen den Niedergang der ursprünglich christlichen Kultur und als Protest gegen das langsame Verschwinden des Lateinischen und seinen Ersatz durch das Arabische verstanden werden.
Der Kalif Abdelrahman II. weigert sich lange, etwa einen Mann wie Perfectus hinzurichten. Der hatte Jesus und Mohammed verglichen und Jesus als den grösseren Propheten bezeichnet. Immer wieder fordert Abdelrahman den Mönch und Priester zum Widerruf auf. Vergeblich. Noch auf dem Hinrichtungsplatz ruft Perfectus am 18. April 850: "Ja, ich verfluchte euren Propheten, und ich verfluche ihn jetzt. Ich verfluche ihn als Aufschneider, als Ehebrecher, als ein Kind der Hölle." Eulogius erleidet 859 unter dem Kalifen Mohammed I. dasselbe Schicksal.
Im Allgemeinen aber finden die muslimischen Staaten ebenso wie später - vor der Eroberung Granadas 1492 - die christlichen Teilstaaten praktische Arrangements der Eingliederung ihrer christlichen bzw. muslimischen Minoritäten. Die gegenseitige Durchdringung der Kulturen geht sogar soweit, dass König Alfons VI. noch nach der Eroberung Toledos durch die Christen Münzen in arabischer Sprache prägen lässt. Pogrome gibt es, abgesehen von den geschilderten Ausnahmen, nicht. Vielmehr schreibt der 1165 im südspanischen Murcia geborene Ibn Arabi, ein führender Vertreter des Sufismus:
"Es gab eine Zeit, da ich meinen Nächsten ablehnte, wenn sein Glaube nicht der meine war./ Heute ist mein Herz Herberge für alle Religionen / Es ist Gefäss für die Tafeln der Tora und die Verse des Koran."
Vorläufer der italienischen Renaissance
Berühmt wird neben den Blütezeiten Cordobas aber auch die Epoche der Fitna (= der Teilung), die Epoche der muslimischen Teilstaaten (der Taifas). In ihrer Bedeutung steht diese Epoche jener Bagdads kaum nach. Die Höfe der Kleinstaaten wetteifern um die besten Sänger. Kultur und Wissenschaft blühen, in vielen Aspekten ist die Epoche der Taifas ein Vorläufer der italienischen Renaissance.
Berühmtester Philosoph der Epoche ist Ibn Rusd, geboren 1126 in Cordoba, im Abendland bekannt als Averroes. Dass er im Auftrag des Almohaden-Kalifen Abu Yakub Yusuf die Werke des Aristoteles und Platos "Republik" kommentiert und damit grossen Einfluss sowohl in der islamischen Welt als auch im lateinischen Westen erlangt, zeigt, dass Wissenschaft und Kunst auch unter der sonst als rigide eingeschätzten Berberdynastie der Almohaden nicht immer vernachlässigt werden.
Der libanesische Historiker Philip K. Hitti (1886-1978) charakterisiert Ibn Rushd als Rationalisten, der das Recht gefordert habe, "alles ausser den offenbarten Dogmen des Glaubens dem Urteil der Vernunft zu unterwerfen". Ebenfalls in Cordoba geboren (1135) wird der berühmte jüdische Philosoph Ibn Maimun (Maimonides). Im Falle des Ibn Maimun indessen zeigt sich das andere Gesicht des oft so verklärten Al-Andalus. Eben jene Almohaden, die Ibn Rushd so gefördert hatten, verfolgen die Juden. Ibn Maimun setzt sich erst nach Fez (das ebenfalls unter almohadischer Herrschaft steht) ab, schliesslich wird er in Kairo Leibarzt des berühmten Sultans Salah el-Din (Saladin). Ibn Maimun war Arzt, Astronom, Theologe, vor allem aber Philosoph. Er steht den Lehren des Ibn Rushd nahe und fordert eine Annäherung von Wissenschaft, Philosophie und Glauben.
Katholische Glaubensdiktatur
Doch mit dem 2.Januar 1492, mit der Eroberung Granadas, der letzten muslimischen Bastion auf der Iberischen Halbinsel, durch ein christliches Heer beginnt eine neue im Vergleich zu den vergangenen etwa 700 Jahren finstere Epoche. Gab es in Al-Andalus immerhin ein oft fruchtbares Spannungsverhältnis zwischen strengem islamischen Glauben und dem Versuch rationaler, aufklärerischer Philosophie, so herrscht im Spanien der "katholischen Könige Isabella und Ferdinand" die reine Glaubensdiktatur.
Dieser 2. Januar 1492 entpuppt sich als wahrhaft spanisch-christliches Datum: Juden und Muslime werden ausgewiesen, sofern sie nicht zum Glauben der christlichen Könige konvertieren. Die Inquisition forscht nach, ob konvertierte Juden (Conversos) und konvertierte Muslime (Moriscos) noch heimlich ihren alten Glauben praktizieren. Vorbei ist es mit der zwar spannungsgeladenen, doch auch spannenden Auseinandersetzung zwischen Glauben und Wissenschaft. Vorbei ist es auch mit der in Al-Andalus überwiegend praktizierten muslimischen Toleranz, wonach Juden und Christen gegen Zahlung einer Sondersteuer unbehelligt ihren Glauben praktizieren konnten.
Das Jahr 1492 bringt aber nicht nur den Fall Granadas und die Verfolgung von Muslimen und Juden durch die "christlichen Könige". Die spanische Krone finanziert auch die Reise des Genuesen Christopher Columbus nach Westen, "um den Seeweg nach Indien zu entdecken". Entdeckt - aus eurozentrischer Sicht betrachtet - wird Mittelamerika. Während man sich etwa im Italien der Renaissance auf humanistische Werte der Antike besinnt, beginnt in der gerade in den europäischen Horizont gerückten eigenständigen Welt der mittelamerikanischen Hochkulturen die Ausbeutung und Ausrottung ganzer Völker und die Vernichtung ganzer Zivilisationen durch das christliche Abendland.
Al-Andalus ist Geschichte.