Auch nach dem Atomabkommen haben die Deutschen es nicht vermocht, wieder an diese Tradition anzuknüpfen. Doch die Gründe dafür liegen nicht in Deutschland, sondern in den USA.
Der vorletzte Satz in der Meldung lautet: „Ihr Land ist ein überaus wichtiger Player in der Region.“ Und der letzte Satz ist beinahe ein Superlativ: „Keine Lösung ist ohne Ihr Land denkbar.“
Das Ereignis, bei dem diese Sätze fielen und über das alle iranischen Zeitungen und Webseiten mit gleichem Wortlaut berichteten, war eine Audienz in Teheran Ende Dezember 2016. Michael Klor-Berchtold, neuer Botschafter Deutschlands im Iran, überreichte an diesem Tag Irans Präsidenten Hassan Rouhani seine Akkreditierung. Die in der Meldung zitierten Sätze des deutschen Diplomaten könnte man als übliche diplomatische Floskeln abtun, als bedeutungslose Komplimente, die bei solchen Gelegenheiten fallen müssen. Doch sie sind mehr als Plattitüden. Denn die zwei Personen, die sich an diesem Tag im Teheraner Präsidentenpalast gegenüberstanden, waren beide früher hochrangige Geheimdienstler. Rouhani leitete für mehr als eine Dekade den Nationalen Sicherheitsrat des Iran. Und in der kurzen Biographie Klor-Berchtolds auf der Homepage der deutschen Botschaft steht folgender Satz: „Er war ferner Krisenbeauftragter des Auswärtigen Amts und Leiter des Krisenstabs der Bundesregierung im Rang eines Botschafters sowie Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes.“ Und am Ende dieses Lebenslaufs heisst es noch, dass der Botschafter vorher in Tel Aviv und im Jemen im Einsatz gewesen war.
Wir haben es hier also mit zwei sachkundigen Geheimdienstlern zu tun, die nun in ihren neuen Positionen über eine von Krisen und Kriegen heimgesuchte Region reden werden. Und beide betonen, dass es in dieser Region ohne den Iran keine Lösung geben könne. Diese Feststellung ist keine diplomatische Floskel, sondern Extrakt geheimdienstlicher Expertise.
Unterschiedliche Erwartungen
Der neue Botschafter spricht an diesem Tag auch ausführlich über die Bedeutung des Atomabkommens zwischen dem Iran und den „5+1“ – den fünf Mitgliedern des Uno-Sicherheitsrats plus Deutschland – und betont, Deutschland werde ernsthaft über die Einhaltung des Abkommens wachen. Was in Wahrheit und Gänze bei der Audienz besprochen wurde, wissen jedoch nur die beiden Männer selbst. Wir kennen nur jene kurze Meldung, die iranische Medien über die Begegnung verbreiteten.
Doch schon diese wenigen Zeilen sagen viel darüber aus, wie unterschiedlich die Erwartungen sind. Rouhani begann seine Rede mit einem Loblied auf Deutschland, das bei den Iranern traditionell einen guten Ruf besitze und grösster Handelspartner des Iran gewesen sei: Er wünsche sich, dass das wieder so sei. Der neue Botschafter bleibt vorsichtig und zurückhaltend. Als Geheimdienstexperte ist er mit Bürden und Barrieren bestens vertraut. Er will keine falsche Hoffnungen wecken wie einst Deutschlands damaliger Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der nur wenige Stunden nach dem Atomabkommen als erster hochrangiger westlicher Politiker im Iran eintraf.
Begleitet von einer Wirtschaftsdelegation wollte Gabriel einen raschen Ausbau der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in Gang bringen. Und die Spitzenmanager, die mit Gabriel reisten, träumten von einer rosigen Zukunft. Sie hofften nach Auslaufen der Sanktionen auf neue milliardenschwere Geschäfte. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern könne binnen der nächsten zwei Jahre auf sechs Milliarden Euro steigen – und sich damit mehr als verdoppeln, glaubte damals der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Auf mittlere Sicht seien sogar zehn Milliarden Euro möglich: „Wir haben eine gute Startposition, nun müssen wir selbst etwas daraus machen“, so der DIHK-Vorsitzende. Doch von dieser Startposition aus hat sich Deutschland seither nicht viel weiter bewegt. Und viele Geschäftsleute, die dieser Hoffnung folgten, sind inzwischen ernüchtert.
Iran hat alles, was sich Investoren wünschen
„Sie schwärmen tatsächlich alle für Deutschland und seine Industrieprodukte.“ Der fünfzigjährige Ingenieur, der diesen Satz sagt, gerät ins Schwärmen, wenn er über seine letzte Geschäftsreise in den Iran berichtet. Bei seinem dreiwöchigen Trip habe er Dutzende Betriebe aus verschiedenen Industriezweigen an unterschiedlichen Orten besucht. Eine spannende, lehrreiche, aber auch enttäuschende Erfahrung, resümiert der Manager. Sein mittelständisches Unternehmen aus Rheinland-Pfalz gehört zu den weltweit führenden Anbietern hochwertiger Hightech-Polymerwerkstoffe. Er betreut Kunden rund um die Welt in so verschiedenen Branchen wie Auto-, Öl-, Bau- oder Unterhaltungsindustrie. Denn es gibt inzwischen kaum einen Industriezweig, in dem Polymerwerkstoffe nicht vorkommen. Der polyglotte Fachmann agiert vorsichtig, meidet das Rampenlicht und beharrt auf seiner Anonymität – berufsbedingt, wie er sagt.
Die Potentiale des Iran seien für sein Unternehmen so einmalig, dass er alles andere in der Welt vergessen werde, sollte das Irangeschäft richtig ins Rollen kommen. Das Land müsse in vielen Bereichen praktisch von Null anfangen und habe nach fast vierzig Jahren Isolation einen enormen Nachholbedarf. Ein reiches Land mit 80 Millionen Menschen, die jung, gut ausgebildet und konsumfreudig seien, sagt er unüberhörbar begeistert und spricht von Plänen, die visionär klingen: Im Iran gebe es so viele Ideen und Projekte, die ihn bis zum Ende seines Berufslebens einbinden würden. Er könne sich vorstellen, sich für Jahre in der islamischen Republik niederzulassen, allen bekannten Einschränkungen zum Trotz.
Hürden und Hindernisse
Die Gastfreundschaft der Iraner kompensiere alles, sagt der Manager. Doch die Hürden seien zahlreich, bedauert er. Damit meint er keineswegs die bekannten Plagen und Problemen, die man auch aus anderen Gegenden dieser Welt kennt, wie etwa die grassierende Korruption, die undurchsichtige Bürokratie oder die rechtliche Unsicherheit im Iran. Nein, dies alles gehöre ja zum Geschäftsalltag, sagt er achselzuckend, solche Bürden und Beschwerlichkeiten kenne er in unterschiedlichen Variationen aus verschiedenen Ländern der Welt. Mit all diesen Problemen könne man leben, für all das liesse sich schliesslich irgendwie irgendeine Lösung finden.
Als ob es kein Atomabkommen gäbe
Im Falle des Iran jedoch käme zu alldem noch ein grosses, fast unüberwindbares Hindernis hinzu. Die Banken machten jedes normale Geschäft unmöglich, seufzt er. Und erzählt, wie schwierig es sei, im Iran etwa mit Kreditkarte zu zahlen oder eine Banküberweisung zu tätigen. Von Finanzierungen von Grossprojekten will er gar nicht erst reden.
Als ob im Iran immer noch Ahmadinedschad an der Macht wäre und es kein Atomabkommen gegeben hätte, seien die lähmenden Sanktionen weiterhin da, beklagt der Manager. Diese Sanktionen, die Ahmadinedschad einst als nutzlose Papierfetzen bezeichnete, verunmöglichen tatsächlich immer noch geregelte Wirtschaftsbeziehungen mit der Islamischen Republik – obwohl seit bald fünf Jahren der gemässigte Rouhani das Land regiert und obwohl das Atomabkommen längst unterzeichnet ist und obwohl der Iran sich strikt an seine Verpflichtungen hält.
Banken, Banken und wieder Banken
Auf dem Papier sind die Sanktionen zwar aufgehoben, doch der Iran besitzt noch immer keinen vollen Zugang zu den globalen Finanzmärkten. Europäische Banken dürfen nur theoretisch Geschäfte mit dem Iran betreiben. In der Realität ist eine Transaktion in US-Dollar nicht möglich. Banken aus Deutschland und anderen Ländern müssen nämlich darauf achten, dass ihre Geschäfte mit dem Iran nicht über amerikanische Finanzinstitute abgewickelt werden. Damit sind Zahlungen in US-Dollar über SWIFT praktisch ausgeschlossen. So einfach ist das. Doch damit nicht genug.
Auch wenn es um andere Währungen geht, halten sich die europäischen Grossbanken aus dem Irangeschäft heraus. Die Unsicherheit der Kreditinstitute beruhe auf „dem fehlenden Gleichlauf europäischer und US-amerikanischer Sanktionspolitik und den zahlreichen weiterhin bestehenden Sanktionen und den Geldwäschevorschriften“, sagt Michael Kremer, Chef des Bundesverbands der Deutschen Banken.
USA diktieren das Iran-Geschäft
Mit anderen Worten: Die US-Sanktionen gegen den Iran gelten weltweit. Mit ihnen stellen die USA die europäischen Grossbanken praktisch vor die Wahl: Sie können entweder den iranischen oder den amerikanischen Markt bedienen, beides zusammen geht nicht. Ist ein ausländisches Finanzinstitut auf dem US-Markt tätig, hat es sich auch an die US-Sanktionen gegen den Iran zu halten. Sonst droht ihm eine saftige Strafe. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben mehrere Banken, darunter die Deutsche Bank und die Commerzbank, wegen Verstössen gegen diese Sanktionen mehr als 15 Milliarden Dollar Strafe an die US-Aufsichtsbehörden bezahlt.
Mehr noch: Sollte bei der US-Behörde der Eindruck entstehen, die bestrafte Bank kooperiere nicht in ihrem Sinne, kann die Höhe der Strafen steigen und eine intensive Beaufsichtigung nach sich ziehen. Atomabkommen hin, Rouhanis Mässigung her, der Iran sitzt weiterhin in der Falle. Was tun?
Von Frankreich lernen
Vielleicht sollten die Deutschen beim Irangeschäft ähnlich vorgehen wie die Franzosen, sagt der enttäuschte Manager und fügt hinzu: „Schauen Sie sich doch an, wie sich Frankreich auf dem iranischen Automobil- und Ölmarkt bewegt!“
Französische Autobauer beherrschen in der Tat bereits den iranischen Automarkt. Renault etwa hat im Iran im ersten Quartal 2017 einen noch nie dagewesenen Umsatzanstieg von 161,5 Prozent erreicht und in dieser Zeit 38‘020 Fahrzeuge verkauft. Und der Autokonzern will weiter wachsen. Nach einem neuen Vertrag will Renault in Teheran eine Fabrik bauen. Dadurch soll die Zahl der verkauften Renaults im Iran auf 350‘000 Fahrzeuge pro Jahr steigen.
Noch spektakulärer ist der Einstieg Frankreichs in die iranische Öl- und Gasindustrie. Der französische Ölkonzern Total ist als erster Energiekonzern aus dem Westen in den Iran zurückgekehrt. Anfang Juli vereinbarte Total mit dem Iran einen Grossauftrag in Höhe von rund 4,2 Milliarden Euro. Der Energieriese und seine iranischen und chinesischen Projektpartner sollen das riesige South-Pars-Gasfeld weiter erschliessen.
Wie machen sie das, wie regeln sie die Finanzierung, fürchten die Franzosen nicht hohe Geldstrafen aus Amerika? Doch auch Frankreich kennt all das nur zu gut. Die französische Grossbank PNB Paribas musste 2014 wegen langjähriger Verstösse gegen US-Sanktionen 8,97 Milliarden Dollar zahlen. Doch Frankreichs Handelspolitik lässt sich kaum mit der deutschen vergleichen.
Ex-Kolonialmacht auf zwielichtigen Märkten
Als ehemalige Kolonialmacht besitzt Frankreich genug Erfahrung, um mit den schwierigen Märkten dieser Welt umzugehen. Dafür hat man entsprechende Finanzinstitute, die sich ausschliesslich darauf spezialisiert haben – fern von den US-Aufsichtsbehörden. Transaktionen zwischen dem Iran und Frankreich bleiben zwar geheim, doch es tauchen regelmässig die Namen regionaler Sparkassen oder kleiner Geldinstitute wie etwa der Banque Wormser oder Delub auf. Wormser betont auf ihrer Webseite ihre Unabhängigkeit und rühmt sich, „auf den schwierigen Märkten“ dieser Welt präsent zu sein – eine „Banque familiale et indépendante“.
Eine solche Bankenlandschaft gibt es in Deutschland nicht. Nur Sparkassen bieten derzeit bei Iran-Geschäften vereinzelt Finanzierungen und Zahlungsverkehr an, die genossenschaftliche DZ-Bank wickelt zumindest kleine Zahlungen ab. Aber damit lassen sich keine deutschen Grossprojekte im Iran finanzieren. Auch für den Mittelstand ist der Iran ein schwieriger Markt. Schaut sich ein Mittelständler die Ratschläge an, die ihm Rechtsanwälte und Wirtschaftsberater erteilen, wenn er es wagt, ins Irangeschäft einzusteigen, dann schreckt er zurück. Ein Beispiel.
Kriminalistische Recherche notwendig
Der deutsche Exporttag empfiehlt jedem deutschen Exporteur, der Geschäfte mit dem Iran in Erwägung zieht, folgende Schritte:
„1. Prüfen Sie den rechtlichen Rahmen, auf dem Ihr Complianceprogramm zur Geldwäschebekämpfung beruht.“ (Mit anderen Worten: Klären Sie vorher, ob Ihr iranischer Geschäftspartner nicht möglicherweise gegen US-Richtlinien zur Geldwäsche verstösst.)
„2. Stellen Sie sicher, dass Ihr AML-Screeningfilter auf dem neuesten Stand ist: Statt eine länderbasierte Screeningmethode anzuwenden, werden Banken einzelne Individuen prüfen müssen.“ (AML steht für Anti Money Laundering, also Aktionen gegen Geldwäsche.)
„Seien Sie darauf vorbereitet, häufiger Checks durchführen zu müssen: Mit der Änderung des geopolitischen Klimas und neuen Rollen der handelnden Parteien wird es nach wie vor Modifikationen im iranischen Sanktionsprogramm geben.“
So mühsam hatte sich die deutsche Wirtschaft das Iran-Geschäft nicht vorgestellt.
Der Traum war kurz
Doch die anfängliche deutsche Iran-Euphorie war nicht viel mehr als ein sehr kurzer Traum. Man musste sich mit einem bescheidenen Wachstum zufriedengeben. Der deutsche Export stieg um 26 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro. Das sind gerade mal 300 Millionen mehr als 2014, auf dem Höhepunkt der Sanktionen. Dabei waren die Deutschen einst auch im Iran Export- und Importmeister und die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen so eng, dass fast die Hälfte der industriellen Infrastruktur des Iran aus deutscher Produktion kam. Doch das ist Geschichte. Und ob sich diese wiederholt, scheint fraglich. Längst bestimmen die Chinesen im Iran den Markt.
Rouhani wird in wenigen Tagen seine zweite Amtszeit beginnen, und langsam beginnen auch die deutschen Manager wieder Hoffnung zu schöpfen. In diesen Tagen nähert sich der VW-Konzern mit gemessenem Schritt dem iranischen Markt. Ab August werde der iranische Partner Mammut Khodro die Automodelle Tiguan und Passat importieren, teilte Volkswagen Anfang Juli mit. Acht Händler sollen die Autos zunächst vor allem im Raum Teheran verkaufen. Der Autobauer knüpft damit an eine lange Tradition an: Bereits in den Fünfzigerjahren war die Marke mit dem Käfer im iranischen Strassenbild präsent. Es folgten der Bulli in den Sechzigern und der Golf in den Neunzigerjahren. Im Jahr 2000 zog VW sich dann vollständig aus dem Iran zurück. Nach dem Neustart soll der Markt nun schrittweise erschlossen werden. Der Konzern verweist auf Prognosen der iranischen Regierung, die mittel- bis langfristig drei Millionen Neuzulassungen pro Jahr erwartet.
Doch ob es je so sein wird, ist ungewiss. Präsident Rouhani wünscht sich das jedenfalls sehr. Denn er muss seinen Landsleuten endlich Früchte seiner Annäherung an den Westen vorzeigen können. Bessere Geschäfte mit Deutschland brächten ihm eine Entlastung im Inneren. Denn seine Gegner, an deren Spitze Revolutionsführer Ali Khamenei und die Revolutionsgarden stehen, ziehen Russland und China vor. Auch Deutschland ist ihnen nicht geheuer, wie ausgezeichnet dessen Ruf im Iran auch sein mag.
Quellen:
die-bank.de , banquewormser.com , delubac.com , carefusion.de , roedl.de , exportmanager-online.de , hamshahrionline.ir
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal