Da haben sich zwei Abenteurer gefunden, deren Lebenswege ganz unterschiedlich verliefen, bis sie sich in Basel kreuzten. Aus dieser Begegnung ist nun ein Film entstanden, der auf der Faszination des Einen am Anderen und dem Vertrauen des Anderen in den Einen beruht.
Michael Schindhelm ist der Eine, Uli Sigg der Andere. Und der Film heisst „The Chinese Lives of Uli Sigg“. Im Mittelpunkt stehen die unterschiedlichen Lebensphasen von Uli Sigg. Vor, während und nach seiner Zeit in China.
Bis vor zehn Jahren kümmerte sich Michael Schindhelm (Bild) zehn Jahre lang als Intendant um die Geschicke des Theaters Basel. Dabei hatte in seiner Jugend zunächst nichts in diese Richtung gedeutet. Geboren wurde er in der DDR, dann studierte er Quantenchemie im russischen Woronesch und arbeitete anschliessend an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Dort teilte er sein Büro mit einer gewissen Angela Merkel, die damals noch Physikerin war… Beide schlugen dann aber eine andere Richtung ein. Merkel wurde Kanzlerin, Schindhelm zog es zum Theater und 1996 in die Schweiz.
Vom „Bird’s Nest“ zu Uli Sigg
Über die Architekten Herzog & De Meuron lernte Schindhelm in Basel Uli Sigg kennen, der seinerseits das Architekten-Duo mit dem chinesischen Künstler Ai Wei Wei bekanntmachte. In der Folge spannten die Basler Architekten mit dem chinesischen Künstler beim Bau des Pekinger Olympia-Stadions zusammen. Unter dem Namen „Bird’s Nest“ wurde es weltberühmt. Der langen Rede kurzer Sinn: wie die Zweige eines Vogelnests haben sich auch die Beziehungen der verschiedenen Protagonisten stabil vernetzt.
„Mir war klar, dass es damals, 2002, nicht nur um ein Stadion ging. Es ging der chinesischen Regierung vielmehr darum, ein Narrativ zu finden, um der Welt zu erklären, dass China im 21. Jahrhundert eine Supermacht werden sollte und dass dieses Stadion genau dieses Narrativ bilden soll“, erzählt Michael Schindhelm. Wir treffen uns in Zürich, wo er wegen der Premiere seines Films über Uli Sigg kurz Zwischenstation macht. Michael Schindhelm ist ein Reisender zwischen verschiedenen Welten. Heute lebt er in London und in einem winzigen Dorf mit etwa 25 Einwohnern im Tessin. Seit seiner Zeit in Basel hat er aber auch in Berlin, Rom, Südfrankreich, Hongkong und Dubai gelebt. Rückzugsort war während der ganzen Zeit sein Refugium im Tessin.
Die Geschichte vom „Bird’s Nest“ wurde Schindhelms erster grosser Dokumentarfilm. Und Uli Sigg kam darin auch schon vor. Uli Sigg, dieser ehemalige Wirtschafts-Journalist, der für die Firma Schindler das erste Joint Venture zwischen einer westlichen Firma und der Volksrepublik aushandelte. Uli Sigg, der 1979 nach China ging und dort Schindler aufbaute. Dies zu einer Zeit, als vor allem noch Velo gefahren wurde und die Chinesen einheitlich graue Mao-Anzüge trugen. Uli Sigg, der später Botschafter der Schweiz in China wurde und eine einzigartige Sammlung zeitgenössischer, chinesischer Kunst anzulegen begann, als sich noch kaum jemand um diese Kunstrichtung kümmerte. Für Michael Schindhelm war klar, dass Uli Sigg im Mittelpunkt seines nächsten Films stehen würde. Denn dieser Uli Sigg faszinierte ihn.
China im Aufbruch
„Ein wesentlicher Impuls, warum ich den Film gemacht habe, war die Biographie Uli Siggs, die von der Zeitgeschichte Chinas so extrem gesättigt ist. Und China ist wahrscheinlich die wichtigste Triebkraft unserer Zeit. Einen Film zu machen, in dem die Geschichte eines Einzelnen so aufgeht in der Zeitgeschichte des wichtigsten Landes unserer Gegenwart, das hat mich vor allem interessiert“, sagt Michael Schindhelm. „Uli Sigg war einer der ganz wenigen, die hautnah in dieser ersten Phase des chinesischen Aufbruchs dabei waren. Mehr noch: er war einer der ersten, die die Marktwirtschaft eingeführt haben und damit ausgelöst haben, was dann gekommen ist. Für mich ist dieses erste Kapitel von Uli Sigg ganz entscheidend, es ist vielleicht noch wichtiger als die Kunstsammlung selbst.“
Wie war denn der erste Eindruck, den Michael Schindhelm von Uli Sigg hatte? „Ich habe Uli Sigg als bedächtigen, sehr konzentriert wirkenden Menschen erlebt, der auf einem spektakulären Anwesen zuhause ist, umgeben von seiner chinesischen Kunst in dieser alten schweizerischen Architektur auf seiner Insel. Alles sehr beschaulich und man weiss, dass er im Auge des Taifuns ist, nicht nur als Unternehmer, sondern auch als Kunstsammler.“
Nachdem Uli Sigg zugesagt hatte, bei dem Film mitzumachen, hat Schindhelm ihn näher kennengelernt. „Es war ja auch für ihn eine grosse Herausforderung, sich zu öffnen und sich zur Verfügung zu stellen und als vielbeschäftigter Mann auch die Zeit aufzubringen, die es beim Filmen braucht.“ Zu Beginn der Dreharbeiten hat Schindhelm erst einmal lange mit Uli Sigg gesprochen. „Wir haben uns anderthalb Tage zusammengesetzt und wahrscheinlich etwa zehn Stunden geredet. Ohne Kamera, nur mit einem Aufnahmegerät habe ich ihn erzählen lassen. Das wurde anschliessend fast so etwas wie ein script.“ Später gab es noch einmal eine Gesprächsrunde. „Das war in Mauensee und er hat auch sehr Persönliches erzählt. Er hat nicht nur von Fakten, sondern auch über Stimmungen und eigene Positionen gesprochen. Zum Beispiel, wie er als Jugendlicher erlebt hat, dass zwei junge Leute aus dem Nachbardorf in Nidwalden bei der Weltmeisterschaft in Luzern dabei waren und eine Medaille gewonnen haben. Wenn die das schaffen, muss ich das auch können, habe er sich da gesagt“, erzählt Schindhelm und erklärt: „Da spürt man bei dem doch sehr bescheidenen Uli Sigg, dass da gleichzeitig ein grosses Ego am Werk war, das nach Verwirklichung ruft. Das hat sich dann an verschiedenen Stellen erneut gezeigt, wenn er zum Beispiel sagt, ‚ich war der Erste in China, ich war der Erste, der dort Kunst gesammelt hat…. Das heisst, der Erste sein zu wollen, ist wirklich ein Antriebsmodell für Uli Sigg gewesen. Und dass er das auch im Gespräch so auf den Punkt bringen konnte, zeigt, dass er ein sehr selbstreflektierender Mensch ist und keine Scheu hat, sich entsprechend zu äussern.“
Hoch angesehen in China
Und auch nach China hat Schindhelm Uli Sigg natürlich begleitet. „Da konnte ich erleben, wie er sich auf seinem ‚home-turf‘, also sozusagen auf seinem ‚heimischen Terrain‘ in China bewegt, wie er mit den Chinesen umgeht und wie die Chinesen ihn wahrnehmen und behandeln. Es ist ganz offensichtlich, dass er dort hoch angesehen ist.“
Schindhelm hat sich aber auch für ganz Persönliches in Uli Siggs Biographie interessiert. „Da gab es ganz bestimmte Punkte, die wichtig waren und auch im Film vorkommen mussten. Dass er Ruderer war zum Beispiel, dass er ein grosser Schwimmer ist, aber auch, dass er jahrelang erhebliche Rückenprobleme hatte. Solche Dinge erzählen etwas über das Spannungsfeld zwischen Uli Siggs Ego und den Umständen um ihn herum.“
Untrennbar mit Uli Siggs Leben verbunden ist aber auch seine gigantische Kunstsammlung, von der er einen grossen Teil wieder an die Chinesen zurückgeben will, um sie mit der neueren Kultur des eigenen Landes vertraut zu machen. Dafür wird in Hongkong ein Museum gebaut, das die Werke aufnehmen soll. „Es ist ja wirklich spannend: als Uli Sigg 1979 nach China gekommen ist, gab es auch schon erste Kunstaktionen, auch mit Ai Wei Wei und anderen Künstlern der sogenannten Stars Group. Das hat Uli Sigg aber zunächst gar nicht wahrgenommen. Zehn Jahre später, 1989, bei der ersten Ausstellung, wurde er aufmerksam auf diese Künstler, hatte aber noch keinen Kontakt zu ihnen. Als er Botschafter wurde, mitte der 90er-Jahre, da begann er mit seiner Sammlung.“
Diese Sammlung wurde dann zu einer Art roter Faden in Schindhelms Film. „Die Kunstsammlung ist das Vehikel, um die Geschichte Uli Siggs erzählen zu können: Also wie jemand wie ein Pionier nach China geht, um als einer der Ersten westliche Werte und Marktwirtschaft einzuführen und wie er eine ganz schwierige Umformungsphase in dieser Gesellschaft mitgestaltet.“ So hat Schindhelm sich auch intensiv mit der chinesischen Kunst befasst. „Mich hat an dieser Kunst fasziniert, dass sie so enorm sozial erzählerisch ist, dass sie bildlich so stark widerspiegelt, was in dieser Gesellschaft passiert. Ich wusste gleich, diese Kunstwerke können wie Erzähler auftreten, denn sie bilden ein Stück weit die Realität eines Chinas der Siebziger-, Achtziger- und Neunziger-Jahre ab, das so nicht mehr da ist.“
Pate und Mentor der Künstler
Dass Uli Sigg auch noch einen Kunstpreis ins Leben gerufen hat, den „Chinese Contemporary Art Award“, findet Schindhelm geradezu genial. „Sigg war damals nach seiner Zeit als Botschafter wieder auf dem Heimweg in die Schweiz. Um in der Kunstszene weiterhin präsent zu sein, musste er sozusagen einen Anker auswerfen. Er wusste aber auch, dass er damit ein Instrument in der Hand hatte, um an Informationen über die Kunstszene zu kommen.“ In der Jury sassen Chinesen, aber auch Leute aus dem Westen. Jurypräsident war Harald Szeemann, der seinerseits an der Biennale von Venedig chinesische Künstler ausstellte und ihnen damit den Weg auf den westlichen Kunstmarkt ebnete. „Dieser Kunstpreis war für Uli Sigg als Sammler ein kluger Schachzug aber es war auch eine grosse Promotion-Leistung, die er für chinesische Künstler übernommen hat. Und das haben sie ihm nie vergessen.“ Einige dieser Künstler wurden zu Siggs Weggefährten durch seine Zeit in China und sie sind es immer noch. Schindhelm: „Es war beeindruckend, zu sehen, wie kooperativ sie bei den Dreharbeiten waren. Ganz egal, wie reich und berühmt sie inzwischen geworden sind. Sie betrachten Uli Sigg nach wie vor als ihren ‚godfather‘, als ihren Paten und Mentor.“
Nach seiner Zeit am Theater Basel hatte Michael Schindhelm ein Buch über „Mein Abenteuer Schweiz“ geschrieben, in dem er sich mit dem Land auseinandersetzt. „Mit diesem Film ist ‚mein Abenteuer Schweiz‘ tatsächlich um ein Kapitel bereichert worden“, sagt er heute. „Mich haben an der Schweiz insbesondere die Menschen interessiert, weil ich früh bemerkt habe, dass es ein Irrtum ist, zu glauben, dass es hier fast so wie in Deutschland ist, nur sprechen die Leute ein bisschen anders. Mir ist sehr klar geworden, dass die Schweiz ein Land mit anderen Menschen, einer anderen Tradition, einer anderen Geschichte und einer anderen Mentalität ist. Mein Interesse an diesen Menschen ist gross geblieben und kulminiert nun in diesem Film. Da habe ich mich zwei Jahre lang sehr intensiv mit dem Leben eines Schweizers auseinandergesetzt. Ich glaube, das zeugt auch davon, dass die Schweiz mich nach wie vor beschäftigt.“
"The Chinese Lives of Uli Sigg"
ein Film von Michael Schindhelm
ab 18. Februar im Kino
"Chinese Whispers"
Neue Kunst aus den Sigg-Collections
Kunstmuseum Bern
19. Februar bis 19. Juni 2016
Michael Schindhelm
"Mein Abenteuer Schweiz"
Echtzeit Verlag Basel